Et in Arcadia ego

„Bella Italia“ im Spiegel von Gemälden und Fotografien des 19. Jahrhunderts

von Rainer K. Wick

Carl Blechen, Kloster Sta. Scholastika 1830
 „Bella Italia“
im Spiegel von Gemälden und Fotografien
des 19. Jahrhunderts
 
Mit Werken aus der Zeit zwischen 1815 und 1900
heizt das Wuppertaler Von der Heydt-Museum
zur Sommerzeit die Sehnsucht nach Italien an
 
Et in Arcadia ego
 
„Auch ich in Arkadien“ lautete das Motto der ersten Ausgabe der „Italienischen Reise“ Johann Wolfgang von Goethes, ein Motto, von dem bis auf den heutigen Tag eine erhebliche Anziehungskraft ausgehen dürfte. Arkadien – das ist nicht nur eine Region in Griechenland, sondern auch und vor allem Synonym für das Sehnsuchtsland der Nordländer, nämlich „Bella Italia“.
Die Italiensehnsucht insbesondere der Deutschen hat eine lange Tradition, die bis in die Zeit der Romzüge deutscher Kaiser im Frühmittelalter zurückreicht. In ihrem Gefolge zogen Edelleute und Angehörige der Kurie nach Italien, seit dem Hochmittelalter nahmen Pilger, Kaufleute und Handwerker den beschwerlichen Transit über die Alpen auf sich, dann, seit der Renaissance, auch Künstler und Gelehrte, um den „Delitiae Italiae“, den sinnlichen wie auch intellektuellen Genüssen des Landes – Resultat einer einzigartigen Mischung aus Klima, Kunst und Kultur, aus gebändigter Natur und geschichtlichem Erbe – zu frönen. Einen Höhepunkt in der Geschichte dieser Reiseaktivitäten in den Süden markiert die sog. Grand Tour, die Kavalierstour. Waren die Kaufleute seit eh und je unterwegs, um ihren Geschäften nachzugehen, reisten nun die Zöglinge des Adels nach Italien, um Erfahrungen im Hinblick auf ihre spätere Laufbahn auf dem diplomatischen Parkett oder der politischen Bühne zu sammeln und gleichsam gesellschaftsfähig zu werden. So besuchten diese Kavaliere nicht nur die italienischen Höfe, um die dort agierenden Protagonisten kennenzulernen, sondern nahmen auch an Gerichts- und Kirchensitzungen, militärischen Übungen und Gelehrtenveranstaltungen teil. Ebenso standen Besichtigungen der Sehenswürdigkeiten des Landes – Denkmäler, Prachtbauten, Kunstkammern und Kuriosa – auf dem Programm.
 
Reiseland Italien
 
Noch bevor Thomas Cook unter Nutzung der neuen Verkehrsmittel Eisenbahn und Dampfschiff die

Giorgio Sommer, Makkaroniesser -Neapel um 1865
ersten Pauschalreisen organisierte und damit den Startschuß zur Entwicklung des Massentourismus gab, entstand im 19. Jahrhundert eine Form der Reise, die sich bis heute kaum verändert hat, nämlich die individuelle Bildungsreise bürgerlicher Schichten. Nun waren Reisen nach Italien nicht länger dem Adel vorbehalten, und die Reisenden wurden nicht, wie zuvor die Kavaliere, von einem „Hofmeister“ oder „Reisemarschall“ begleitet; vielmehr befanden sich im Gepäck Reisebeschreibungen, die schon damals in beachtlichem Umfang verfügbar waren und die bei der Festlegung der Reiseroute und der Orientierung vor Ort hilfreich waren. Das bekannteste Beispiel dieser Literaturgattung ist Goethes schon oben erwähnte „Italienische Reise“ – die Beschreibung jener legendären Italientour, die der Dichter in den Jahren 1786 bis 1788 unternahm. Goethe prägte damit einen Literaturtypus halb-autobiographischen Charakters, der das Reisen als maßgeblichen Faktor der Selbstfindung und der Persönlichkeitsbildung des Individuums stilisierte. Eine besondere Form der Bildungsreise war und ist die – manchmal mehrjährige – Studienreise. In diesem Zusammenhang sei an die Italienaufenthalte prominenter Geistesgrößen wie Alexander und Wilhelm von Humboldt erinnert, auch an die Italienreisen von Ludwig Tieck, Wilhelm Heinrich Wackenroder, Carl Friedrich von Rumohr, Barthold Georg Niebuhr, Jacob Burckhardt, Carl Justi und Friedrich Nietzsche, um nur einige Namen zu nennen. Zu erwähnen ist auch der Künstleraufenthalt mit dem Ziel, sich durch Natur und Kultur, Landschaft und Geschichte Italiens inspirieren zu lassen, also das Land als Motivspender zu nutzen und zugleich das eigene Profil als Künstler zu schärfen bzw. die professionellen Kompetenzen angesichts der künstlerischen Höhe und der überreichen Kunstschätze des Landes zu erweitern. Das ist eine Traditionslinie, die auf Dürer zurückgeht und über Rubens, Poussin, Lorrain, Thorwaldsen, Schadow, Schinkel, Klenze, Ingres, Koch, Dahl, Carus, Tischbein, Cornelius, Carlosfeld, Pforr, Overbeck, Corot, Turner, Ruskin, Bonington, Monet, Böcklin, Marées, Thoma und Lenbach bis ins späte 19. Jahrhundert und darüber hinaus reicht.
 
In unnachahmlicher Treue
 
Von der Italienbegeisterung der Maler zeugen derzeit in einer sehenswerten Ausstellung im Wuppertaler Von der Heydt-Museum einige schöne Landschafts- und Figurengemälde zwischen Romantik und Idealismus aus der eigenen Sammlung, so etwa von Carl Rottmann, Carl Blechen, Friedrich Overbeck, Oswald Achenbach, Anselm Feuerbach und Hans von Marées.


Carl Rottman Italienische Landschaft 1826-27

Doch der Fokus der Ausstellung liegt nicht auf der Malerei, sondern auf jenem Medium, das seit den 1830er Jahren einen lang gehegten Menschheitstraum in Erfüllung gehen ließ, nämlich – wie Alexander von Humboldt schon 1839 formulierte – Bilder „in unnachahmlicher Treue“ apparativ herstellen zu können, sprich: auf der Fotografie. Mit rasantem Tempo erschloß seit den 1840er Jahren ein neuer Berufsstand, der des Fotografen, alle nur erdenklichen Lebensbereiche. Dazu gehört auch, daß Berufsfotografen die Italienreisenden mit fotografischen Abzügen bedienten, die die landschaftlichen Schönheiten und die Kulturschätze dieses Landes dokumentierten: Bergpanoramen und Seeblicke, historische Stadtansichten, ganze Straßenzüge, Plätze, einzelne Gebäude, Gemälde und Skulpturen, archäologische Stätten, alles mit bestechender Schärfe und großem Detailreichtum.
 
Zwischen Inszenierung und Dokumentation
 
Berühmt sind hierzulande vor allem die fotografischen Arbeiten der Florentiner Fratelli Alinari, drei Brüder, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts mehrere zehntausend fotografische Platten schufen, die heute unschätzbare Dokumente eines gigantischen, zum Teil schon verlorenen, zum Teil

Fratelli Alinari, Campanile von Santa Maria del Fiore
Florenz um 1855
zwischenzeitlich veränderten historischen Erbes sind. (So zeigt zum Beispiel die Aufnahme des Florentiner Doms mit Campanile noch den Zustand vor Ausführung der historisierenden Westfassade der Zeit um 1870.) Neben den Alinari-Fotos präsentiert die Wuppertaler Ausstellung weiteres umfangreiches Bildmaterial aus der Privatsammlung Dietmar Siegert und der von Ulrich Pohlmann geleiteten Fotosammlung des Münchner Stadtmuseums und lenkt damit den Blick auf eine Fülle mehr oder weniger vergessener Fotografen des vorletzten Jahrhunderts, die ein Italien zeigen, das im heutigen Betrachter ohne Umwege nostalgische Gefühle auslösen kann. Obwohl der Fotografie allgemein die besondere Befähigung zur „objektiven“ Wiedergabe der Wirklichkeit beigemessen wird, dürfen diese Bilder allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie mit den tatsächlichen Lebensverhältnissen im „Land, wo die Zitronen blühn“ (Goethe) oft nur bedingt übereinstimmen. Fotografische Abbildungen von Einheimischen in Folkloretrachten oder von Alltagsszenen – wie Giorgio Sommers „Makkaroniesser“ oder Robert Rives Neapolitaner „Fischerfamilie“ – befriedigten zweifellos die enorme Nachfrage der damaligen Reisenden, denen eher an der Bestätigung eines romantisch verklärten Italienklischees gelegen war und die es vorzogen, den krassen Pauperismus und das soziale Elend breiter Schichten auszublenden. Es waren vor allem zwei deutsche Fotografen, Guglielmo Plüschow und Wilhelm von Gloeden, die mit ihren schwülstigen Aktaufnahmen meist junger Männer, so etwa in den Straßen Pompejis oder in der Landschaft Taorminas, ein antikisch
grundiertes, arkadisches Idealbild Italiens zu beschwören suchten und sich damit weit von den Realitäten des Landes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entfernten. Neben derart idyllischen Inszenierungen gab es aber auch Fotosequenzen, die wie Vorwegnahmen der konzeptuellen Fotografie des letzten Jahrhunderts erscheinen. Erwähnt sei nur Giorgio Sommers eindrucksvolle Serie vom Ausbruch des Vesuv am 26. April 1872, die in nüchterner, fast filmischer Manier im Abstand von genau 30 Minuten die Veränderungen der Aschewolke über dem aktiven Vulkan am Golf von Neapel dokumentiert.
Begleitet wird die Ausstellung von einem großformatigen, reich bebilderten und gut gestalteten Katalogbuch, zu dem Ulrich Pohlmann unter dem Titel „Grand Tour“ einen informativen Textbeitrag beigesteuert hat. Für die sicherlich nicht gerade kleine Gemeinde der Freunde Italiens dürfte das Buch ohne Zweifel ein Leckerbissen sein.
 
Bella Italia – Fotografien und Gemälde 1815-1900
Von der Heydt-Museum, Wuppertal - bis 9. September 2012
Katalogbuch mit demselben Titel, hrsg. v. Gerhard Finckh, Ulrich Pohlmann und Dietmar Siegert, Heidelberg/Berlin 2012, Kehrer Verlag, 248 Seiten, geb., 211 vierfarbig gedruckte Abbildungen., 24 x 30 cm, ISBN 978-3-86828-316-7, im Buchhandel 35,- €, in der Ausstellung 25,- €.
 

Gioacchino Altobelli, Ostermesse auf dem Petersplatz Rom um 1865


Alle Illustrationen im Text: aus dem Katalog