El Greco und die Moderne
Das Düsseldorfer Museum Kunstpalast
präsentiert „den Griechen“ als Ahnherrn der Avantgarde „Heute entdeckt man El Greco“
Kunstsoziologie und Rezeptionsästhetik verdanken dem Dadaisten Marcel Duchamp eine klassisch gewordene Formulierung, nämlich die, daß es die Betrachter seien, die „die Bilder machen“; oder anders gesagt, daß sich das Kunstwerk erst (und immer neu) im Zuge seiner Rezeption erfüllt. Und Duchamp fährt fort: „Heute entdeckt man El Greco; das Publikum malt seine Bilder dreihundert Jahre nachdem der eigentliche Urheber sie gemalt hat.“ Daß Duchamp zu Anfang des 20. Jahrhunderts ausgerechnet El Greco nennt, ist natürlich alles andere als zufällig. Denn „der Grieche“, wie die Spanier ihn kurz und bündig nannten, erlebte nach einer längeren Phase, in der er weitgehend in Vergessenheit geraten war, um 1900 gleichsam eine zweite Geburt, wurde er nun noch doch gleichermaßen von Kunsthistorikern und Künstlern wie auch vom Publikum mit einem neuen, veränderten Blick auf die Vergangenheit wahrgenommen.
El Greco interessiert in doppelter Hinsicht: erstens als ein Künstler, dessen extraordinäres Œuvre in seiner eigenen Zeit – der zweiten Hälfte des 16. und dem frühen 17. Jahrhundert – absolut singulär ist, und zweitens als ein Maler, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Schaffen zahlreicher moderner Künstler maßgeblich beeinflußt hat. Genau dieses doppelte Interesse markiert auch den konzeptionellen Ansatz der aktuellen Greco-Ausstellung im Düsseldorfer Museum Kunstpalast. Circa 40 meist hochkarätigen Gemälden von El Greco werden rund 100 Arbeiten von Künstlern der Klassischen Moderne gegenübergestellt, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts explizit oder implizit auf Greco bezogen – von Paul Cézanne über Pablo Picasso, Robert Delaunay, Franz Marc, Oskar Kokoschka, Egon Schiele, Max Beckmann, Heinrich Nauen bis hin zu Wilhelm Lehmbruck, um nur einige namentlich zu nennen.
Vom Byzantinismus zum Manierismus
El Greco, 1541 als Doménikos Theotokópoulos auf Kreta (zur damaligen Zeit venezianisch) geboren, entstammte künstlerisch einem durch und durch konservativen Milieu, nämlich dem der griechisch-
Hugo Kehrer, einer der „Entdecker“ Grecos, hat 1920 im Vorwort zur dritten Auflage seines Buches „Die Kunst des Greco“ (1. Auflage 1914) folgendes geschrieben: „Er rüttelte am Quaderbau der Renaissance mit ihrem einseitigen Formalismus. Die Renaissance wußte nicht mehr, was Seele heißt, kannte nicht mehr die Sehnsucht nach dem Unendlichen, das Metaphysische.“ Damit wurde eine Sichtweise auf den Künstler zementiert, die vor allem im frühen 20. Jahrhundert populär war und im Umkreis des deutschen Expressionismus allgemein akzeptiert wurde: Greco als der Maler der Spirituellen, ja als malender Mystiker in Zeiten der spanischen Inquisition. Heute scheint erweisen, daß Greco keine sonderlich ausgeprägten mystischen Neigungen hatte. Eher wird er, der eine große Bibliothek besaß und ein Malereitraktat plante, aktuell als „Intellektueller, [als] ein ‚pictor doctus’“, also als ein gelehrter Maler „im italienischen Sinne“ (Michael Scholz-Hänsel) diskutiert.
Maler des Religiösen
Grecos ausdrucksstarke, affektgeladene Kompositionen verweigern sich entschieden der Norm des Klassischen, die in der Hochrenaissance einige Jahrzehnte zuvor noch als verbindlich galt. Ihre Formensprache ist bewußt antiklassisch, was sich vor allem in den überlängten Körpern, Gesichtern und Gliedmaßen und im manieristischen Figurenideal der „figura serpentinata“ mit ihren verschraubten Drehbewegungen manifestiert. Der gestische Rhythmus der Formen korrespondiert mit einer vibrierenden Farbigkeit, in der schweflige Gelb-, fahle Blau- und kalte Rottöne aufflackern, während das Inkarnat – manchmal fast leichenbleich – in Grau-Rosa-Tönen changiert.
Greco-Manie und Expressionismus
Das alles, gepaart mit dem in Nahsicht enorm lockeren, nervös zuckenden Pinselduktus, mutet an wie eine Moderne avant la lettre, und es ist rezeptionsgeschichtlich höchst aufschlußreich zu sehen, wie
Eine Ausstellung mit 40 Bildern El Grecos aus allen Schaffensphasen – leider fehlen das „Gewitter über Toledo“ (um 1597-1588;) und der „Großinquistor“ (um 1600; beide Metropolitain Museum of Art, New York) – ist allein schon Grund genug für einen Besuch in Düsseldorf. Was die Düsseldorfer Schau aber so anregend, so lebendig und so erkenntnisfördernd macht, ist die Tatsache, daß hier im unmittelbaren Dialog der Bilder anschaulich jene vielgestaltigen Bezüge zwischen Greco und der Klassischen Moderne vorgeführt werden, die seit hundert Jahren zwar prinzipiell bekannt sind, die aber noch nie in dieser Deutlichkeit und Differenziertheit aufgearbeitet wurden.
El Greco und die Moderne
Stiftung Museum Kunstpalast - bis 12.08.2012
Ehrenhof 4-5 - 40479 Düsseldorf
Tel. +49(0) 211-899 02 00 Fax. +49(0) 211-892 95 04 www.smkp.de info@smkp.de Katalogbuch „El Greco und die Moderne“, hrsg. v. Beat Wismer und Michael Scholz-Hänsel, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2012, 416 S., ISBN 978-3-7757-3326-7, gebunden - 49,80 €; in der Ausstellung als Klappenbroschur 39,90 €.
Schon 100.000 Besucher kamen zu "El Greco und die Moderne"
Düsseldorf - Die Ausstellung "El Greco und die Moderne" im Düsseldorfer Museum Kunstpalast entwickelt sich immer mehr zu einem wahren Publikumsmagneten. Wie eine Sprecherin des Museums am Montag mitteilte, kamen seit der Eröffnung der Schau vor gut acht Wochen bereits 100.000 Besucher. Die Ausstellung zeigt erstmals in Deutschland mit 41 Meisterwerken eine umfassende Schau des vor knapp 400 Jahren in Toledo verstorbenen Malers. Dazu präsentiert sie rund 100 Werke von Künstlern der klassischen Moderne, die sich auf El Greco bezogen - von Cezanne über van Gogh bis Picasso, Beckmann, Kokoschka oder Macke. Die Ausstellung ist noch bis zum 12. August zu sehen. (ARe)
Die Ausstellung ist dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr und donnerstags von 11 bis 21 Uhr geöffnet.
Internet: www.museum-kunst-palast.de
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