Bella Italia

Eine Sommerausstellung mit Fotografien und Gemälden aus der Frühzeit der Fotografie 1815-1900

von Frank Becker
Eine Sommer-Ausstellung
 
„Mit dem Eintritt in Italien, in sein Volk, seine Luft, seine Altertümer
fühlt man sich von jenem Geiste des Realismus angehaucht,
aus welchem die Alten ihre Größe in Kunst und Staat schöpften.“
(Friedrich Theodor Vischer, 1839)

 
Von der Heydt Museum Wuppertal:
Bella Italia – Fotografien und
Gemälde aus der Frühzeit der
Fotografie (1815-1900)
 
Sie ist der Jahreszeit angemessen, die stimmungsvolle Ausstellung von Fotografien und Gemälden aus den Sammlungen Siegert, Münchner Stadtmuseum und Von der Heydt-Museum, die morgen in Wuppertal eröffnet wird. Während die einen in diesen Tagen ihren Koffer für eine Reise in den Süden packen, können die anderen im Wuppertaler Museum eine leise Zeitreise mit seltenen Fotografien und inspirierenden Gemälden eben dorthin machen. Es ist, so Museumsdirektor Dr. Gerhard Finckh im Gespräch, „eine Sommer-Ausstellung“. Seltene Fotografien, darunter auch Daguerreotypien aus der Frühzeit dieses die Malerei in Frage stellenden Mediums, kostbare Dokumente eines künstlerischen Aufbruchs, sowie einige zeitgenössische Gemälde von u.a. Anselm Feuerbach, Carl Blechen, Oswald Achenbach und Hans von Marées haben die Kuratoren Gerhard Finckh, Ulrich Pohlmann und Dietmar Siegert aus den oben genannten Sammlungen zu einem eindrücklichen Italien-Panorama der Jahre 1815-1900 zusammengestellt.
 
Nicht erst nach 1950
 
Nicht erst mit dem Wirtschaftswunder und der Reiselust der 1950er Jahre ist das Sehnsuchtsland

Domenico Bresolin, Venedig (ca. 1851) - Sammlung Siegert
Italien ins Blickfeld vor allem deutscher und englischer Reisender gerückt und zum erklärten Lieblings-Reiseziel geworden. Wo vor 60 Jahren die friedfertig gewordenen Teutonen in Sandalen, Tennissocken und Shorts, die Agfa Clack vor dem Bauch und D-Mark in der Brieftasche mit Isetta, Goggo, Lloyd Alexander und Campingzelt aufschlugen, hatten 100 Jahre zuvor und früher bereits andere – unter weit schwierigeren Bedingungen per Kutsche und zu Fuß italienische Reisepfade beschritten. Denken wir nur an Johann Gottfried Seume („Mein Spaziergang nach Syrakus“), J.W. von Goethe („Italienische Reise“, 1786/88) und Johann Gottfried Herder („Italienische Reise“, 1788/89). Den Dichtern und Malern des späten 18. (wie Angelika Kauffmann und J.H.W. Tischbein) und frühen 19. Jahrhunderts (wie Friedrich Müller und Adolph von Heydeck) folgten mit der Entwicklung der Fotografie durch Niépce und Daguerre analog zu den Künstlern von Barbizon die Fotografen nach Italien. Mit schwerem Gepäck, notabene, denn für die ersten Ausrüstungen mußten bis zu 30 Träger angeheuert werden, um sie zum Objekt der Begierde zu bringen. Auch war das Reisen vor allem im italienischen Süden (Kalabrien, Apulien, Basilicata) durch das Brigantentum ein waghalsiges Unternehmen. Ein wenig bequemer und sicherer wurde es durch die Vereinigung Italiens, das Risorgimento unter Garibaldi 1860/70, und nicht zuletzt touristisch durch das Aufkommen der Gesellschaftsreisen, organisiert von Unternehmen wie James Cook und Carl Stangen, sowie die erläuternden Reiseführer von Baedeker u.a.. Für die Fotografen läutete nach 1870 technisch die Erfindung der Momentaufnahme durch die Gelatine-Trockenplatte ein neues Zeitalter ein.
 
Liebevoll gehängte Reise
 

Plattenkamera, um 1840 - Foto © Frank Becker
Die Kuratoren folgen mit der liebevoll gehängten Ausstellung den Spuren berühmt gewordener Lichtbildner wie Carlo Naya, James Anderson, Giorgio Sommer, Robert MacPherson, Giacomo Caneva und Domenico Bresolin, um nur einige von fast 50 zu nennen. Sie zeigen den „Ton-Reichtum“ der historischen Abzüge, die monochrom in s/w, Duoton oder handkoloriert Stück für Stück die durchaus malerische Intention der frühen Fotografen zeigen. Auch die aus heutiger (nicht damaliger) Sicht peinlich unappetitlich wirkenden pädophilen Sujets von Wilhelm von Gloeden und Wilhelm Plüschow sind vertreten. Heute fliegen Männer mit solchen Interessen nach Thailand. Die Reise/Ausstellung ist geographisch von Nord nach Süd, vom Veneto bis nach Sizilien angeordnet, beginnt in der Lagunenstadt Venedig und dem Beflissenen nicht zuletzt durch Shakespeares Dramen damals bekannten Verona. Mit Stationen in den Piemonteser Metropolen Turin und Mailand, durch die Lombardei mit Bologna, die Toscana und dem ersten touristischen Höhepunkt Rom geht es über Neapel, Capri und Amalfi bis nach Palermo und Taormina. Das Interesse der frühen Fotografen galt Landschaften, Kunst, Architektur und historischen Gebäuden (Belichtungszeiten bis zu 48 Stunden!), Menschen des Alltags im Lebensumfeld und regionalen Trachten. Einige nötigten ihre Landsleute zu gestellten Posen, andere nahmen die Realität 1:1, wo es möglich war.

Carlo Baldessare Simelli, Rom, Wolkenstudie (va. 1862), Sammlung Siegert
 
Das Gegenüber von Literatur, Malerei und Fotografie
 
Zu den Portraits, Landschafts- und Genre-Aufnahmen der hervorragenden Präsentation gesellen sich begleitend aufschlußreiche literarische Italien-Zeugnisse von Goethe bis Friedrich Theodor Vischer, Friedrich Nietzsche und Theodor Fontane. So schreibt Hippolyte Taine in Philosophie de l’art en Italie. Voyage en Italie: „Meiner Meinung nach ist Rom nichts als ein großer Kramladen (…)“ – und „Im allgemeinen in ganz Neapel hat man Lust, sich die Nase zuzuhalten.“ (1864). Favell Lee Mortimer hingegen weiß im Vergleich mit Rom Lobendes über Neapel zu berichten: „Neapel ist viel schöner als Rom. (…) Neapel ist eine fröhliche Stadt. Die Leute sind immer unterwegs und sprechen sehr schnell. (…) In Rom sind die Menschen ernst und still, aber in Neapel sind sie fröhlich und machen viel Lärm.“ (zitiert aus „F.L. Mortimer/Todd Pruzan: „Die scheußlichsten Länder der Welt“, 2007 Malik Verlag/Piper).
 
Zur Ausstellung ist im Verlag Kehrer ein umfangreicher Katalog erschienen, der alle Exponate in ausgezeichneter Qualität und der Gegenüberstellung von Fotografie und Malerei wiedergibt. Den Abschnitten zwischengeschaltet sind die literarischen Zeugnisse. Angehängt finden sich ein Werkverzeichnis, ein Glossar, eine Bibliographie, die Biographien der Fotografen, eine Chronologie der Geschichte Italiens und ein Artikel Ulrich Pohlmanns über das Risorgimento, der Vereinigung Italiens unter Giuseppe Garibaldi, denn auch die politischen Verhältnisse des wie Deutschland bis 1870 in König- und Herzogtümer zerrissenen Italien spielen eine bedeutende Rolle.


Adolph von Heydeck, Blick auf Rom - Foto © Frank Becker
 
Bella Italia – Fotografien und Gemälde 1815-1900
© 2012 Kehrer Verlag, 248 Seiten, geb., Fadenheftung m. Schutzumschlag, 211 vierfarbig gedruckte Abb., 24 x 30 cm, ISBN 978-3-86828-316-7
35,- € (in der Ausstellung 25,- €)