Angenagte Herzen

„Gut gegen Nordwind“ im TiC-Theater Wuppertal

von Frank Becker
Angenagte Herzen
 
Daniel Glattauers E-Mail-Dialog
„Gut gegen Nordwind“
im TiC-Theater Wuppertal
 
 
Regie: Ralf Budde – Bühne: Iljas Enkaschew – Kostüme: Wiebke Fichte - Fotos: Martin Mazur
Besetzung: Petra Koßmann als Emmi Rothner und André Klem als Leo Leike
 
Nicht neu, aber originell
 
Es ist im Zeitalter der E-Post offenbar beinahe unmöglich, ein Zeitschriften-Abonnement zu kündigen, zumindest wenn man sich konsequent bei der elektronischen Adresse vertippt. Das passiert Emmi Rothner (Petra Koßmann), als sie das LIKE-Magazin abbestellen will und durch einen permanenten Tippfehler immer wieder im PC-Postfach des Kommunikationsberaters und Sprachpsychologen Leo Leike (André Klem) landet. Die gleichermaßen charmant unterhaltsame wie dramatisch überzeugende Geschichte, die Daniel Glattauer aus der nicht gänzlich neuen Idee („The Shop around the Coner“/“E-Mail for you“) entwickelt hat, wurde von Ralf Bude mit sicherer Hand auf zweigeteilter Bühne im Wuppertaler TiC-Theater in Szene gesetzt. Aus dem anfangs schnippischen, wenn auch neugierigen Austausch von Belanglosigkeiten entsteht bald ein reger Dialog zweier Menschen, die sich nicht kennen, aber ganz offenbar das Bedürfnis haben, sich jemandem zu öffnen. Spitzfindig, wortreich, humorvoll, ironisch – ja, auch frivol, entwickelt sich das ewige Spiel der Geschlechter, wobei Emmi jene ist, die dabei die Köder auslegt, welche von Leo zu gerne geschluckt werden.
 
Petra Koßmann zieht alle Register
 
Ist Emmi wirklich verheiratet, wie sie im Moment der ersten Möglichkeit einer wirklichen Begegnung

Petra Koßmann als Emmi - Foto © Martin Mazur
behauptet? Hat sie Angst vor einem „richtigen“ Kontakt? Und schiebt das zum Schutz vor? Es sieht ganz so aus, denn natürlich ist sie nicht verheiratet, mutmaßt der Zuschauer, die Zuschauerin, werden doch Emmis Avancen beim zweiten Anlauf intimer, erotischer. Leo hingegen räumt seine Schwachstelle, seine „Ex“ Marlene offen ein, die ihm auch jetzt noch im Kopf herumspukt. Wer und was beide aber sind, wissen sie geschickt voreinander zu verbergen, wobei Emmi den Schleier dichter hält als Leo. Während Leos verliebtes Emmi-Dossier wächst, spielt Emmi ihr Spiel – durchaus durchtrieben und gelegentlich sogar ein bißchen perfide. Petra Koßmann, eine brillante Charakterdarstellerin, deren „Fräulein Else“, „Iphigenie“, „Camille Claudel“ oder die „Blanche“ in „Endstation Sehnsucht“ noch vital in Erinnerung sind, zog alle Register der Schauspielkunst, ließ dabei die tiefe Emotionalität erkennen, die in der scheinbaren Leichtigkeit des Stoffes liegt. So wie ihre Emmi ziemlich durchtrieben ihr Mail-Gegenüber Leo bei gelegentlichem Wechsel des Kräfteverhältnisses über die entscheidenden Strecken des Stückes führt, hatte auch Petra Koßmann mit brillanter Sprache, Körpersprache und Mimik stets den Faden des Geschehens in der Hand. Ob schmelzend sehnsuchtsvoll oder verführerisch lockend, fordernd zornig oder melancholisch betrübt, verzagt ängstlich oder forsch geradeaus, provozierend erotisch oder abwartend zögerlich – sie beherrscht nicht nur ihren (linken) Teil der Bühne (Iljas Enkaschew).
 
Angenagte Herzen
 
Fast unmerklich entwickelt sich der elektronische Flirt zu einer wenn auch berührungslosen, aber doch handfesten Affäre mit unverhüllten erotischen Begehrlichkeiten, schäumender Eifersucht, vorbehaltlosen Liebesgeständnissen „Leo, Sie sind phantastisch gut gegen Nordwind!“ und unverhüllten Angeboten – wobei die erotischen Impulse genauso wie die kalten Duschen von Emmi ausgehen.
Die dramatische Wendung tritt mit einer aus dem Off gelesenen Mail von Emmis Ehemann Bernhard

André Klem als Leo - Foto © Martin Mazur
an Leo ein Er existiert tatsächlich, ebenso wie offenbar die Kinder des Paares. Doch hier gelingt es Glattauer nicht ganz, die eigene Vorgabe spritziger Intelligenz, mit der er den Stoff angegangen ist, zu halten – es wird verstörend kitschig, wenn auch notwendig für die Katharsis. Leos Lage wird unhaltbar. André Klem vermittelt den Schockzustand, in den Leo dadurch tritt, nachvollziehbar. Doch auch trotz seines festen Entschlusses, von Emmi zu lassen, die für die Phase des ersten Erschreckens ebenfalls Abstand zu nehmen vorhat, läßt sich Leo erneut auf das Spiel mit dem Feuer ein, erliegt der – Verzeihung meine Damen – typisch weiblichen Manipulation Emmis in typisch – Verzeihung meine Herren – männlicher Bereitschaft, sich verführen, überreden zu lassen. Die verhängnisvolle Affäre steuert unter großer Spannung auf eine Entscheidung zu…     
 
Dramatisches Kammerspiel
 
Ralf Budde hat das sich dramatisch zuspitzende Kammerspiel auf der originellen Bühne in großer Dichte umgesetzt und dabei vor allem mit Petra Koßmann, einer mit allen Wassern gewaschenen Schauspielerin einen wirklichen Glücksgriff getan. Gelegentliche Unsicherheiten bei ihrem Partner André Klem werden sich in der Praxis der Aufführung abschleifen.
 
Die nächsten Aufführungen gibt es am 24., 29. und 30. Juni
Weitere Informationen unter: www.tic-theater.de