Musselfränkisch oder Soarfransejsch

Eine moselfränkische Erinnerung

von Rudolf Engel
Rudolf Engel  -  Foto © Frank Becker

Musselfränkisch oder
Soarfransejsch

Eine moselfränkische Erinnerung

von Rudolf Engel
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Musselfränkisch oder Soarfransejsch

Ed ejscht Moal, dat de Leit aus ´m Dörref fier en länger Zeit vun dahaam fort woaren, dat äas gewierscht, wej de Krejsch ausgebrooch äas, Ufang September 39. Ed hot gehääscht, de Krejsch geeng soù wej soù net lang dauern, un dödefier sollten dej, dej äam Waldland Verwandschaft heeten, gucken, bei dennen enner ze kommen.
Mir säan dann mäat oasem Rucksack und Handgepäck ze Foaß los marschiert un hotten ed äa Weiskirchen bei oase Verwandten versejscht. Awer wej mir äam Donkeln bei oase Leiden äa Weiskärchen ukomm säan, dö hotten dej ed Haus schu voll mäat Flüchtlingen aus der Soarbrecker Gejend.

Nödemm mir de Nööt offem kalte Böddem vum Flur iwwernanner verbröht hun, hun mir oas äam annere Morjen nommoal off de Weh gemaach und säan vun Weiskirchen aus weider bes nö Hermeskeil gellaaf Schließlich säan mir mäat all oasen Leiden mäatten äan Thüringen gelandet, äa „Grünen Herzen Deutschlands“, un dat Dörfchin, woù mir, jed Famillisch off nem anneren Bauernhuaf enner komm säan, dat hot ausgerechnet Neuensorga gehääscht. Denn Ort woar soù klään; dö hot ed  kään Kärrich un kään Schoùl gäan. Soù vill eich mich wääß, noch net emoal en Wirtschaft.
Dat neegscht Dörref mäat dem spassijen Nummen Lederhose hot en Schoùl gehott, awer nur äan Schoùlmääschter. Wenn eich mäat meiner Kusingesch, em Friedchin, jede Morjen en goat half Stonn döhin ze Foaß gang säan, dann woar eich den äänzigen äam dräatten Schouljoahr und Friedchin ed ääzicht äam zwääten.
Äan der Paus hun mir zedrejscht emmer platt geschwatt. Dann hun dej anner Käanner de Käpp zesummen gestooch und iwer oas gepichpert. Dat hot och de Schoùlliehrer gesehjn un hot denöö äan der Klass driwer geschwatt:
Weil ed Friedchin und eich soù pechschwoatzes Hoar hotten und dej annern oas Sprooch net verstann hun, hun sei gemäänt, mir wären Fransusen.

Och dej Leit äan Neuensorga wollten zedrejscht neischt mäat oas ze dejn hun. De Bauer, bei dem Tant Anna und ed Gerlinde gewunnt hun, hot sugoar gemäänt, mir wären als Saarfransusen doch besser nö Paris gefüchtet!
Dönöh äas dann mein Oma aktiv gäan. Sei hot schun off der Foahrt nö hei ed Kommando iwerhöll un och hei äam „Bergungsgebiet“ soù en Oart „Sippenoberhaupt“ owgäan, weil jo de Männer net mäat oas geflüchtet säan. Dej woaren entweder schun äagezuh gäan oder se hun missen dahaam bleiwen, „an der Heimatfront“, wej ed gehääsch hot.
De Oma hot jeden vun oas offgefordert, bei den Einheimischen nur noch Hochdeitsch ze schwätzen. Sei hot jo gewoscht, dat oas lothringeische Noobern ed driwen off der anner Soarseit genau soù gemaach hun. Wenn dej ebbes of de Behörden ze dejn hooten, oder wenn se mäat emmes Frimmes schwätzen moschten, dann hun sei och net ed moselfränkisch Platt geschwatt, sonnern soù goat sei ed ewen konnten, fransejsch.
Awer, obwöll mir oas gejeniwer den Thüringern all Mejh gäan hun, mir säan mäat dennen bes zum Schluß net richtisch wärm gäan. Dat Misstrauen gejeniwer den Ongerofenen vun der Westgrenz äas trotzdem gebliff.
Ob dej Thüringer dem Hessen und dem Schwooben, dem Goethe und dem Schiller äa Weimar, dennen hier Heimatsprooch och iwel genomm hun?
 

       

Moselfränkisch oder Saarfranzösisch

Das erste Mal, dass die Leute aus dem Dorf für längere Zeit von Hause weg waren, das ist gewesen als der Krieg ausbrach, Anfang September 39.
Es hatte geheißen, der Krieg würde so wie so nicht lange dauern, und daher sollten die, welche im Waldland Verwandschaft hätten, schauen, bei denen unter zu kommen.
Wir sind dann mit unserm Rucksack und Handgepäck zu Fuß losmarschiert und hatten es in Weiskirchen bei unsern Verwandten versucht. Aber als wir im Dunkel bei unsern Leuten in Weiskirchen ankamen, da hatten die schon das Haus voll mit Flüchtlingen aus der Saarbrücker Gegend.
 
Nachdem wir die Nacht auf dem kalten Boden vom Flur übereinander verbracht hatten, hatten wir uns am anderen Morgen noch mal auf den Weg gemacht und sind von Weiskirchen aus weiter bis nach Hermeskeil gelaufen. Schließlich sind wir mit all unsern Leuten mitten in Thüringen gelandet, im „Grünen Herzen Deutschlands“, und das Dörfchen, wo wir, jede Familie auf einem andern Bauernhof untergekommen sind, das hatte ausgerechnet Neuensorga geheißen. Der Ort war so klein, da hatte es keine Kirche und keine Schule gegeben. So viel ich noch weiß, noch nicht einmal eine Wirtschaft.
Das nächste Dorf mit dem spassigen Namen Lederhose hatte eine Schule, aber nur einen Schulmeister. Wenn ich mit meiner Kusine, dem Friedchin, jeden Morgen eine gute halbe Stunde zu Fuß dorthin gegangen bin, dann war ich der einzige im dritten Schuljahr und Friedchin die einzige im zweiten.
In der Pause haben wir zuerst immer platt gesprochen. Dann haben die andern Kinder die Köpfe zusammen gesteckt und über uns gepichpert. Das hatte auch der Schullehrer gesehen und hatte danach in der Klasse darüber gesprochen:
Weil Friedchen und ich so pechschwarzes Haar hatten und die andern unsere Sprache nicht verstanden, hatten sie gemeint, wir wären Franzosen.
 
Auch die Leute in Neuensorga wollten zuerst nichts mit uns zu tun haben. Der Bauer, bei dem Tante Anna und Gerlinde gewohnt hatten, hatte sogar gemeint, wir wären als Saarfranzosen doch besser nach Paris geflüchtet!
Danach ist dann meine Oma aktiv geworden. Sie hatte schon auf der Fahrt nach hier das Kommando übernommen und auch hier im „Bergungsgebiet“ so eine Art „Sippenoberhaupt“ abgegeben, weil ja die Männer nicht mit uns geflüchtet waren. Die waren entweder schon eingezogen oder sie mussten daheim bleiben, „an der Heimatfront“, wie es geheißen hatte.
Die Oma hatte jeden von uns aufgefordert, bei den Einheimischen nur noch Hochdeutsch zu sprechen. Sie hatte ja gewusst, das unsere lothringen Nachbarn  es drüben auf der andern Saarseite genau so gemacht haben. Wenn die etwas auf den Behörden zu tun hatten, oder wenn sie mit jemand Fremdem sprechen mussten, dann haben sie auch nicht das moselfränkische Platt gesprochen, sondern, so gut sie es eben konnten, französisch.
Aber, obwohl wir uns gegenüber den Thüringern alle Mühe gegeben hatten, wir sind mit denen bis zum Schluß nicht richtig warm geworden. Das Mißtrauen gegenüber den Ungerufenen von der Westgrenze blieb trotzdem.
Ob die Thüringer dem Hessen und dem Schwaben, dem Goethe und dem Schiller in Weimar, deren Heimatsprache auch übel genommen hatten?