Von Schwitzflecken, Eisteetrinkern und dem Lauf der Zeit

Aus dem Tagebuch

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Von Schwitzflecken, Eisteetrinkern
und dem Lauf der Zeit

Tagebuch-Notizen, von Erwin Grosche
trotz Musenblätter-Ferien aufgezeichnet

1. Juni: Mit einem langsamen Auto muß man einen Überholvorgang ganz anders angehen als mit einem schnellen. Man wirkt ja mit einem langsamen Wagen wie behindert. Ich habe mal einen Rennfahrer einen langsamen Wagen fahren sehen, da dachte ich, so muß es sein, wenn man alt wird: Man kann nicht mehr, wie man will. Es ist ja überhaupt ein Glück, wenn man mit einem langsamen Wagen einen Wagen trifft, der noch langsamer ist. Langsame Autos werden ja nicht nur von Senioren gefahren, die Frauen sind. Da ist ein Überholvorgang eine zeitraubende Angelegenheit. Das muß ja auch nicht immer klappen. Wenn man sich dann zurückfallen lassen muß, will man trotzdem sein Gesicht wahren. Das Fahren auf der Autobahn hat schon manchen Menschen verändert. Das Stehen im Stau auch.
 
3. Juni: Es war so heiß, daß man automatisch schwitzte, wenn man etwas Falsches sagte. Er hatte unter den Armen Schwitzflecken, die so groß waren wie die Insel Norderney. Kein Mensch wußte, warum er eine Perücke trug, die gar nicht erst den Versuch machte echtes Haar zu ersetzen. Er mußte etwas verbergen wollen, welches deutlich schlimmer war als fehlendes Haar.
 
6. Juni: Der Mann hatte eine 1, 5 Liter Flasche Eistee in der Hand. Es war noch früh am Tag. Der Mann schwitzte gar nicht. Er setzte trotzdem die Flasche an und trank so laut, daß man Angst hatte, er könnte sein Trinkverhalten nicht kontrollieren. Als er die Flasche wieder zuschraubte, sagte ich zu ihm: „Wenn sie die Flasche nun austrinken, haben sie später nichts mehr davon.“ Er schaute mich lange an. Ich dachte erst, er wollte mich töten. Schließlich nickte er. Ich hatte recht und das wußte er.
 
7. Juni: Die Frau humpelte auf mich zu: „Haben sie schon bemerkt, daß ich nur ein Bein habe? Haben sie schon bemerkt, daß ich Hunger habe und arm bin wie eine Kirchenmaus? Haben sie schon bemerkt, daß ich nur so unbeliebt bin, weil ich so einsam bin? Haben sie schon bemerkt, daß ich noch nie im Zoo war und ungern Strümpfe trage? Haben sie schon bemerkt, daß ich vor ihnen stehe und sie mit einem Schuß töten könnte?“
 
11. Juni: In unserm Haus sieht’s lustig aus, in allen sieben Räumen, da trinkt die Maus, da winkt der Klaus, und alle sind am Träumen// In unserm Haus sieht’s lustig aus, in allen sieben Zimmern/ Da wacht der Hund, da lacht der Mund, wenn alle sich erinnern//
In unserm Haus sieht’s lustig aus in allen sieben Kammern/ da strickt der Rolf, da zwickt der Wolf und keiner ist am Jammern//
 
14. Juni: Seitdem mein Mann wieder mit mir spricht, merke ich erst, wie wenig wir uns zu sagen haben. Ich stelle ihm jetzt dauernd die Sitzheizung auf 5, damit ich sehen kann, ob er den Arsch noch hoch kriegt.
 
15. Juni: Der Besuch: Wenn die Hummel den Löwenzahn besucht, dann wackelt der Kopf der gelben Blume. „Ja, ja. So, so.“ Scheint sie zu sagen. „Wir haben wieder Besuch, da ist es gut, daß ich mein gelbes Kleid angezogen habe.“ Die Hummel fliegt dabei schon wieder weiter. Unruhig und rastlos, als verpasse sie sonst was….
 
18. Juni: Lob des Wartens: Der Ast, der im Winter auf dem Eis lag, schwimmt im Frühling mit dem Fluß in die Welt hinein.
 
20. Juni: Wie interessant wir als Kinder waren. Bruno hatte immer eine Y-förmige Astgabel dabei, auf die er seinen Kopf lagern konnte. Er sah dann immer aus, als stände er am Pranger.
„Dies ist mein Kopfaufstützapparat“, sagte er immer. Später wurde er dann Programmierer oder sowas. Eigentlich schade.
 
22. Juni: Witzigerweise wird man auch von Essen, das einem nicht schmeckt satt. Witzigerweise wird man auch von Essen, das einem nicht schmeckt dick. So kann Gott auch sein.
 


© Erwin Grosche - Erstveröffentlichung in den Musenblättern