Dürer revisited
Das Frühwerk des Künstlers im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg Wer sich noch der sensationellen Nürnberger Ausstellung von 1971 anläßlich des 500. Geburtstags von Albrecht Dürer erinnert, wird die Reise in die fränkische Metropole mit hochgespannten Erwartungen antreten, um nun, einundvierzig Jahre später, im Germanischen Nationalmuseum den „frühen Dürer“ zu besichtigen. Ist über Dürer nicht alles gesagt, sind die siebenundzwanzig Regalmeter Literatur über den Künstler nicht genug? Um es vorab zu sagen: Der Besucher, dem Geduld abverlangt wird, um angesichts des enormen Publikumsinteresses Einlaß zu finden, wird nicht enttäuscht werden – weder von der schön inszenierten Ausstellung (trotz des etwas engen Parcours und der aus konservatorischen Gründen abgedunkelten Räume), noch von dem fabelhaften Katalogbuch, das mit seiner Fülle interessanter Beiträge die verschiedensten Aspekte zu Leben, Werk und Wirken Albrecht Dürers vertiefend auslotet und manch neue Erkenntnis zutage fördert.
Im Unterschied zur epochalen Ausstellung des Jahres1971, die dem „ganzen Dürer“ gewidmet war, haben sich die Kuratoren nun auf die erste Lebenshälfte des Meisters konzentriert. 1505, das Jahr der zweiten Italienreise, die allerdings nicht mehr thematisiert wird, bildet die Zäsur. Die folgenden dreiundzwanzig Jahre bis zum Tod des Künstlers 1528 bleiben ausgeblendet.
Gegen den Geniemythos
Ausstellung und Katalogbuch sind das für die Öffentlichkeit sicht- und greifbare Ergebnis eines am Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg seit Jahren laufenden Forschungsprojektes. Galt Dürer unter den Vorzeichen einer nationalistisch geprägten Kunstgeschichtsschreibung insbesondere im
Die Ausstellung ist in vier Abteilungen gegliedert: „Ich und mein Herkumen“, „Abmachen und Neumachen“, „Der Dramatiker“ und „Neue Kunst?“
Den Auftakt bildet das mit dem Silberstift gezeichnete Selbstbildnis (1484) des Dreizehnjährigen aus der Albertina, das die stupende Zeichenkunst des Knaben, der damals eine Goldschmiedelehre bei seinem Vater absolvierte, dokumentiert. Das ist nicht nur brillant gezeichnet, sondern Vorschein jenes durch und durch „modernen“ Selbstbewußtseins, das aus den späteren Selbstporträts des Künstlers spricht. Daß diese in der mit internationalen Leihgaben hochkarätig bestückten Ausstellung fehlen, ist bedauerlich. So vermißt man nicht nur die Selbstbildnisse von 1493 (Louvre, Paris) und von 1498 (Prado, Madrid), sondern besonders schmerzlich auch das „Selbstporträt im Pelzrock“ aus dem Jahr 1500, dessen Ausleihe von den Konservatoren der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in München verweigert wurde.
Kontext Nürnberg
Zu einer auf Kontextualisierung zielenden Darbietung gehört es, daß Daniel Hess und Thomas Eser, das Kuratorenteam, die künstlerische Tradition der Freien Reichsstadt Nürnberg in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, aus der Dürer hervorging, beleuchten. Gezeigt werden Arbeiten von Hans
Diese Meisterschaft wurde ihm früh attestiert, so um 1500 von dem Nürnberger Humanisten Conradus Celtis (eigentlich Konrad Pickel), der Dürer pries als „Albrecht, hochberühmter Maler in deutschen Landen […]. Du bist unser zweiter Phidias und zweiter Apelles […].“
Erste Italienreise
Auf dem Weg zu dieser Meisterschaft spielten sicherlich nach Beendigung der Lehrzeit die Jahre der Wanderschaft 1490-1494 eine maßgebliche Rolle – unter anderem wollte er Martin Schongauer in Colmar aufsuchen, der bei seiner Ankunft aber schon verstorben war –, sowie die Reise nach Italien 1494 bis 1495. Diese „Erste Italienreise“ hat sich in der Dürer-Forschung zu einer heftig umkämpften Gefechtszone entwickelt. Während lange als sicher galt, daß Dürer im Jahr 1494 schon bald nach seiner Hochzeit nach Venedig aufbrach – sei es, um der in Nürnberg wütenden Pest zu entfliehen, sei
Christliche Themen
So sehr Dürer als autonomes Individuum und emanzipierter Künstler, der genaues Beobachten zur Richtschnur seiner Kunst machte, ein Mensch der heraufziehenden Moderne war, so sehr blieb er der Glaubenswelt seiner Zeit verbunden. Davon zeugen neben den Tafelbildern mit religiösen Themen vor allem seine ausdrucksstarken frühen grafischen Zyklen, so die Holzschnittfolge der „Apokalypse“ (1497/98) und des „Marienlebens“ (1502-1504/05), Blätter, die gleichermaßen durch
Erfindungsreichtum, Formbeherrschung und handwerkliche Perfektion beeindrucken. Was die Gemälde mit christlichen Stoffen anbelangt, so spannt sich der Bogen von der stillen „Haller Madonna“ (um 1498; National Gallery of Art, Washington) über den so genannten Jabach-Altar (um 1503/1505), dessen beide Flügel aus dem Städel in Frankfurt (Hiob auf dem Misthaufen) und dem Wallraf-Richartz-Museum in Köln (Pfeifer und Trommler) für die Dauer der Ausstellung zusammengeführt werden konnten, bis hin zur prachtvollen „Anbetung der Könige“ (1504; Uffizien, Florenz). Neue Erkenntnisse
Obwohl Dürer vielfach als Detailfanatiker wahrgenommen wird, versammelt die Nürnberger Ausstellung eine Reihe seiner besten Landschaftsaquarelle, die zum Teil erstaunlich „frei“ und „modern“ wirken. Gleichwohl weisen die Kuratoren die aus der Pleinairmalerei des 19. Jahrhunderts gespeiste Vorstellung zurück, es handele sich um Studien, die vor Ort im Freien entstanden seien. Vielmehr halten sie diese Aquarelle für „durchkomponierte, gestalterisch überformte Werke“, die „weit weg von der tatsächlichen Natur“ entstanden seien, was Dürers stetes Ringen um die (end)gültige Form bestätigen würde.
Zu den Erträgen des Nürnberger Dürer-Forschungsprojektes gehören die Ergebnisse aufwendiger naturwissenschaftlicher bzw. kunsttechnologischer Untersuchungen zahlreicher Gemälde des Künstlers. Infrarot- und Röntgenaufnahmen haben die unter den Farbschichten befindlichen Unterzeichnungen sichtbar werden lassen und machen es nun möglich, Veränderungen während des Werkprozesses, auch solche konzeptioneller Art, nachzuvollziehen. Sie belegen, daß sich die Kunst Dürers nicht der spontanen Eingebung eines Genies verdankt, sondern daß sie das Resultat beharrlicher Arbeit, auch im Sinne von Trial and Error, gewesen ist. Auf der Suche nach künstlerischer Vollendung und einer „Neuen Kunst“ – so die vierte Abteilung des Ausstellung – entwickelte sich um 1500 Dürers zunehmendes Interesse an der anatomisch korrekten Darstellung des menschlichen Körpers, wie sie in Italien schon seit längerer Zeit geläufig war. Dazu betrieb er intensive Proportionsstudien und schuf zahlreiche Konstruktionszeichnungen, die später in sein 1528 publiziertes Opus Magnum, die „Vier Bücher von menschlicher Proportion“, einmündeten. Niederschlag fanden diese einem neuen Schönheitsideal geschuldeten Untersuchungen u.a. in dem berühmten Kupferstich „Adam und Eva“ von 1504, um nur ein prominentes Beispiel zu nennen. Dürer war überzeugt, daß die Schönheit des menschlichen Körpers auf rational erfaßbaren und meßbaren Größen beruht. Und doch blieben ihm Zweifel, wie sein Bekenntnis „Was die Schönheit sei, das weiß ich nicht“ belegt. Wer die großartige Nürnberger Ausstellung gesehen hat, wird diese Zweifel kaum teilen können.
Der frühe Dürer bis 02.09.2012
Germanisches Nationalmuseum Nürnberg Kartäusergasse 1 - D-90402 Nürnberg
Telefon + 49 911 13 31-0 Telefax + 49 911 13 31-200
Katalogbuch „Der frühe Dürer“, hrsg. von Daniel Hess und Thomas Eser, Nürnberg 2012, 604 S., 230 farbige Textabbildungen, 202 Farbtafeln; im Museumsshop 34,50 €, im Buchhandel € 46,- €;
ISBN 978-3-936688-59-7 |