Prinzip: Verunsichern

„Perplex“ - Schauspiel von Marius von Mayenburg in Wuppertal

von Martin Hagemeyer

Holger Kraft, Sophie Basse - Foto © Uwe Stratmann

Prinzip: Verunsichern
 
„Perplex“ - Schauspiel von Marius von Mayenburg
an den Wuppertaler Bühnen
 
Inszenierung: Christian von Treskow - Bühne und Kostüme: Sandra Linde, Dorien Thomsen – Licht: Sina Kohn – Dramaturgie: Oliver Held – Regieassistenz: Claudia Schulz – Kostümassistenz: Svenja Göttler – Fotos: Uwe Stratmann
Besetzung: Sophie: Sophie Basse – Holger: Holger Kraft – Juliane: Juliane Pempelfort – Lutz: Lutz Wessel.
 
„Was mir gerade klargeworden ist: Das alles ist nicht echt.“ Sagt Holger zu Sophie, und Sophie erwidert genervt: „Holger, was du meinst, ist Platon.“ Daß wir unseren Sinnen nicht trauen können, weil sie uns vielleicht nur Schatten der wirklichen Dinge präsentieren: Klar geworden ist das Holger (er trägt nur ein Handtuch) gerade unter der Dusche.
Und natürlich ist das Platon. Aber diese Bildungshuberei – ist das hier das Wichtige? Denn er hat ja ganz recht mit seiner Skepsis: Holger und Sophie sind nicht irgendein Paar, sondern 1. Schauspieler, die aber 2. wirklich so heißen. „Wirklich.“ Was heißt das schon.
 
Verwirrung ist Prinzip von „Perplex“, dem Stück von Marius von Mayenburg, das Christian von Treskow an den Wuppertaler Bühnen inszeniert hat. Der Zuschauer weiß nicht, woran er ist, und die vier Menschen auf der Bühne im Kleinen Schauspielhaus wissen es noch viel weniger: Juliane (eben: Juliane Pempelfort) und Lutz (Lutz Wessel), frisch zurück aus dem Urlaub, müssen erleben, wie man ihnen in ihrer eigenen Wohnung höflich die Tür weist, nicht ohne Dank für den netten Besuch. Kurz darauf wird Sophie (überhaupt herrlich heute: Sophie Basse) entgeistert Zeugin davon, daß ihr Mann Holger (Holger Kraft) sich völlig ungeniert mit Juliane vergnügt, die inzwischen als aufreizendes Au-pair-Mädchen Lutz betreut und getröstet hat – den Sohn des Ehepaars.
 
Mehr zur „Handlung“ muß man eigentlich nicht erzählen. Spannender an „Perplex“ ist es, wie vielfältig Irritationen sein können, so wie das Stück sie aufbietet. Das sind natürlich die Klamauk-Bilder: Holger Kraft als mit Lutz kopulierender Elch; oder der Knabe, den Lutz Wessel mühelos als verheulten Trotzkopf vorstellt. Und Sandra Linde und Dorien Thomsen, verantwortlich fürs Kostüm, haben bewundernswert eine aufwändige Wikingertracht fabriziert und einen ebenfalls als Kleidungsstück tauglichen Vulkan, just beim Ausbrechen.
Das sind aber auch die Dialoge, in denen sich manchmal auch eher unauffällige Merkwürdigkeiten verbergen – etwa wenn Juliane in ihrer Wohnung eine ihr unbekannte Topfpflanze entdeckt: „Die gehört überhaupt nicht hierher!“, und Sophie, gefühlt (?) ja ihrerseits die Hausherrin, das als Stilkritik von Frau zu Frau mißdeutet: „Findest du??“
 
Seine witzigen Glanzpunkte hat der Abend indes, wenn eigentlich typisches Gerede zu hören ist, das „normal“ beginnt und bloß in diesem Kontext nicht mehr ganz so normal sein mag: „Lutz, ich hab das Gefühl, es geht dir nur um den Elch“ (Holger Kraft als wirklich komisches Sensibelchen). Und wir lernen bei schlauen Vorträgen wie dem von Juliane Pempelfort zum Thema „Alles ist nur Geflacker in meinen Synapsen“: Es gibt auch Schlauheiten, die genauso Gerede sind.
 
Pempelfort steht sonst mit schön rührender Ratlosigkeit oft für den gesunden Menschenverstand heute Abend … und damit naturgemäß ziemlich alleine da. Am Ende wird ihr als letzte Sicherheit sogar die Kulisse weggetragen – und damit gleich die ganze Bühnen-Situation genommen. Nicht zu unterschätzen. Denn wenn „Perplex“ nicht nur eine unterhaltsame Pointen-Parade sein soll, muß es Mayenburg und Treskow ja um mehr gehen: um die Kunst; und Hinweise darauf ziehen sich quer durchs Stück.
 
Daß „das Theater verschwindet“, wie es die Bühnen selbst formulieren, ist dabei vielleicht nicht der Knackpunkt. So recht interessant macht das Stück wohl ein Grundsatzthema: das Potential der Kunst, mit Gegenwelten zu verunsichern.
An dieses Potential, mehr: diese Aufgabe von Kunst, mußte dringend wieder einmal erinnert werden. Gerade in Zeiten, da Kulturökonomen das kulturelle Angebot einer Gesellschaft wie der unseren komplett vom Spontan-Geschmack ihrer Konsumenten abhängig machen wollen. Droht uns der „Kulturinfarkt“, wie ein aktueller Bestseller behauptet? Ein Abend wie dieser, so die Pointen-Parade ihn denn nicht völlig vereinnahmt, mahnt auch: Eine Kunst, die mangels Förderung nicht mehr „perplex“ machen darf, verliert stattdessen ihr Herz. Auch keine gesündere Perspektive.


Holger Kraft, Juliane Pempelfort, Sophie Basse, Lutz Wessel - Foto © Uwe Stratmann

P.S. Keine Irritation ohne Normalität: Der Adolf (immer schnarrend) und die Tunte (immer tänzelnd) sind längst Standardnummern jeder TV-Comedy … und daher rein affirmativ.
 
Weitere Informationen: www.wuppertaler-buehnen.de

Redaktion: Frank Becker