Die Eroberung der Wand
Ars Sacra und aktuelle Kunst im Arp Museum Bahnhof Rolandseck Vor fünf Jahren wurde das von dem amerikanischen Stararchitekten Richard Meier entworfene neue Arp Museum in Rolandseck eröffnet. Seither thront es in unmittelbarer Nähe des Rolandsbogens und in Sichtweite des Drachenfels wie ein Juwel über dem Rheintal und hat sich unter der Leitung seines Direktors Oliver Kornhoff zu einem herausragenden Ort der Künste entwickelt. Da in unserer schnellebigen Zeit die Halbwertzeiten ständig zu schrumpfen scheinen, reicht heutzutage für ein Jubiläum offenbar ein halbes Jahrzehnt schon aus. So stellt das Arp Museum im „Jubiläumsjahr“ 2012 mit Blick auf Richard Meier seine Aktivitäten folgerichtig unter das Motto „Architektur“. Höhepunkt wird ab Ende September die Richard Meier-Ausstellung „Building as Art“ sein (bis März 2013).
Die Nazarener und Schraudolphs Wandbilder im Dom zu Speyer Mit der derzeit laufenden Ausstellung „Die Eroberung der Wand“ thematisiert das Arp Museum in einer ganz spezifischen Weise den Zusammenhang von Wand und Bild in der Architektur. Während die Architektur der klassischen Moderne, die fälschlicherweise oft pauschal als Bauhaus-Architektur tituliert wird und auf die sich auch Richard Meier bezieht (allerdings eher auf Le Corbusier als auf das Bauhaus), dem Wandbild keinen Platz mehr zuweist, war die Wandmalerei zuvor über Jahrtausende integraler Bestandteil von Architektur. Im 19. Jahrhundert waren es unter anderen die Nazarener, die sich um die Pflege des Wandbildes in der Tradition der Spätgotik und der Frührenaissance bemühten. Bezugnehmend auf den Evangelisten Lukas, Schutzpatron der Maler, hatten sich diese jungen Künstler 1809 zum Lukasbund zusammengeschlossen und 1810 in Rom in dem ehemaligen Franziskanerkloster Sant’Isodoro niedergelassen. In dieser quasi-klösterlichen Gemeinschaft suchten sie nach einer aus tiefer Religiosität gespeisten Erneuerung der Kunst. Da sie wie Jesus von Nazareth lange Haare trugen, wurden sie von den Römern als „Nazareni“ bezeichnet.
Unter dem Einfluß der Nazarener schuf der Maler Johann von Schraudolph 1846 in der Apsiskalotte des romanischen Kaiserdoms von Speyer ein Wandgemälde, das im oberen Teil die Marienkrönung und darunter die Zwölf Apostel zeigt. In den 1950er Jahren wurden die nazarenischen Wandbilder des Doms im Zuge einer rigorosen, dem Purismus geschuldeten Restaurierungskampagne entweder zerstört oder aber in Teilen vom Malgrund abgenommen und auf dünne Trägerschichten übertragen und damit partiell erhalten. So auch die ca. 3,70 m hohen Darstellungen der Zwölf Apostel. Nach komplizierten und aufwendigen Sicherungs- und Restaurierungsarbeiten durch den rheinland-pfälzischen Restaurator Vitus Wurmdobler sind diese goldgrundigen Apostelbilder nun im Arp Museum seit mehr als einem halben Jahrhundert erstmals wieder öffentlich zu sehen.
Zwölf Künstlerinnen im Dialog mit nazarenischer Wandmalerei
Zumal vor dem Hintergrund einer allmählichen Neubewertung der lange abgewerteten Kunst der Nazarener wäre dies allein ein hinreichend interessantes Ausstellungsprojekt. Um aber nicht einem „antiquarischen“ Geschichtsverständnis (Nietzsche) verhaftet zu bleiben und eine rein historische Ausstellung zu zeigen, hat das Museum mit seiner Kuratorin Jutta Mattern die vorübergehend nach Rolandseck translozierten Apostelgemälde mit aktuellen künstlerischen Positionen konfrontiert und so einen lebendigen Dialog eröffnet. Konkret: Es wurden zwölf Künstlerinnen eingeladen, mit ihren spezifischen Konzepten und medialen Instrumenten auf Schraudolphs großformatige Gemälde der zwölf Apostel und/oder auf die Architektur Richard Meiers zu reagieren.
Der besondere Reiz der Ausstellung mit dem Untertitel „Nazarenerfresken im Blick der Gegenwart“ besteht darin, daß die Einzelbeiträge außerordentlich unterschiedlich sind. So knüpfen einige Künstlerinnen direkt an die Tradition des Wandbildes an: etwa Fides Becker, die in flüssigen Farben ein Raumdetail des Festsaals des alten, historistischen Bahnhofs von Rolandseck auf eine Wandfläche des Richard Meier-Baus übertragen hat, oder Hadassah Emmerich, in deren monumentaler, in schrillen Farben gemalter Komposition der Kopf der gekrönten Gottesmutter den Mittelpunkt bildet. Hier ist der Brückenschlag zur nazarenischen Ars Sacra unmittelbar greifbar, während er in der Arbeit von Ariane Epars eher als leise Andeutung erscheint. Auf drei großen, dem Rheintal zugewandten Fensterflächen hat die Künstlerin ein geometrisierendes Liniengerüst aufgebracht, das an Grundrißschemata denken läßt und in Blattgold ausgeführt wurde, also einem Material, das mit Blick vor allem auf die mittelalterliche Tafelmalerei ohne Umwege sakral konnotiert wird und in diesem Fall das Gold der Schraudolphschen Apostelbilder aufnimmt. So gelingt es, die „neutralen“, rein funktionalen Fensterflächen des Museums symbolisch mit Bedeutung aufzuladen und künstlerisch zu überhöhen.
Eine originelle Erweiterung des klassischen Wandbildes leistet Sonja Alhäuser mit ihrem Bild „Kräuterapostel“. Darin nimmt die Künstlerin die Pflanzenmotive des Schraudolphschen Apostelzyklus auf und ergänzt sie durch reliefplastische Partien aus parfümierter Seife. Im Unterschied zum üblichen musealen Berührungsverbot wird hier der Besucher/Betrachter/Rezipient explizit ermutigt, diese Zonen anzufassen und so zu einer erweiterten (in diesem Fall olfaktorischen) sinnlichen Erfahrung zu gelangen. Dazu dient auch ein kleines, mir Wasser gefülltes Becken an der Wand (wie ein Weihwasserbecken), in dem man die Finger anfeuchten kann, um dann auf einem getreppten Podest auch die höher angebrachten „Duftzonen“ berühren zu können. Andere Künstlerinnen überschreiten bewußt den thematischen Rahmen der Wand, sei es Heike Weber mit einer ornamentalen, an Klöppelspitzen erinnernden großen Bodengestaltung aus weißem Silikon, sei es Christiane Löhr mit überaus zarten, filigranen Flechtstrukturen aus schwarzen Pferdehaaren, die ein kleines Kabinett des Museums auf äußerst subtile Weise artikulieren. Bei aller Verschiedenheit ist beiden Arbeiten ihr Architektur- und Raumbezug gemeinsam.
Zwar thematisiert Johanna Reich in ihrer Videoarbeit „On Fire“ explizit die Gestaltung einer Wand mit Pinsel und Farbe, zugleich stellt sie aber alles in Frage, was ein Bild auf der Wand essentiell ausmacht – seine Materialität und Festigkeit und, damit einhergehend, sein Überdauern in der Zeit. Dies bezieht sich nicht nur auf die Entscheidung der Künstlerin für ein flüchtiges, quasi-immaterielles Bildmedium, sondern auch auf die kleine „Bildgeschichte“, die sie erzählt. Die relativ kurze
Ohne näher auf die Arbeiten aller zwölf Künstlerinnen eingehen zu können, seien jene, die bisher nicht erwähnt wurden, zumindest namentlich genannt: Martina Klein, Zilla Leutenegger, Franziska Nast, Karin Sander und, als prominenteste unter ihnen, Dorothee von Windheim. „Spannend“ ist seit geraumer Zeit ein Modewort, dessen Gebrauch mittlerweile geradezu inflationär ist. Wenn es irgendwo abgebracht erscheint, dann auf jeden Fall in dieser interessanten Ausstellung.
Die Eroberung der Wand. Nazarenerfresken im Blick der Gegenwart
Arp Museum Bahnhof Rolandseck bis 09.09.2012
Hans-Arp-Allee 1 - 53424 Remagen
Der Katalog zur Ausstellung wird im Wienand Verlag, Köln, erscheinen und ab 24.04.2012 verfügbar sein.
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