Der Fisch

von Erwin Grosche

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Der Fisch
 
Er hatte seiner Tochter einen Fisch gekauft. Der war aus Plastik und zum Aufdrehen, hatte 3 Mark 75 gekostet, und von einem Plastikfisch für 3 Mark 75 erwartet man nicht zuviel. Er fand schon im Spielzeugladen, daß der Fisch zu schnell ermüdete. Es dauerte länger, ihn aufzuziehen, als daß er im Wasser herumschwamm.
     Es war Sonntag, seine Frau und seine Tochter saßen in der Badewanne, als er ins Badezimmer kam. Beide schauten auf, eher gestört als überrascht. Sie hörten mit dem Lachen und dem Walspiel auf. Seine Frau spielte immer das Walspiel mit seiner Tochter. Sie fuhr mit zusammengefalteten Händen durch das Wasser, um dann zwischen den Händen eine Wasserfontäne hervorzudrücken, als wäre dort ein Wal. Sie hatte früher das Spiel mit ihm gespielt, und er hatte dabei den Part des bösen Walfängers übernommen. Kinder und Verliebte lachen über die gleichen Spiele nur so lange, wie sie Kinder und Verliebte sind.
     „Ich möchte, daß dieser Fisch mit euch in der Wanne sitzt. Ich habe diesen Fisch unter Einsatz meines Lebens gekauft und möchte, daß er mit euch in der Wanne sitzt“, sagte er und drehte den Fisch auf. Seine Tochter spritzte Wasser aus einem rosa Shampoofläschchen und sagte „nein“, ohne ihn anzuschauen.
     Er mußte nämlich auf dem Weg zum Spielzeugladen an diesem „Rettet den Otter“-Stand vorbei, der seit Tagen die Innenstadt blockierte. Eine junge Frau sprach ihn an, der man ihren Einsatz für Otter nicht abnahm: „Ich heiße Veronika. Mögen Sie Otter?“  Er hatte die hingehaltene Hand geschüttelt und überfreundlich gesagt: „Sie haben mich schon dreimal angesprochen und ich habe ihnen schon dreimal gesagt, daß ich keine Tiere mag und schon gar keine Otter.“ Sie hatte ihn tatsächlich nur zweimal angesprochen, aber er wollte ein wenig übertreiben, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Er war überrascht, wie laut sie dann schreien konnte: „Sie mögen also keine Tiere. Ihnen ist wohl alles egal. Sie sollten sich schämen. Wenn alle so wären wie Sie, dann sähe es in dieser Welt noch schlimmer aus.“
Er fand ihr Empören komisch, weil ihm auch seine Frau noch am Frühstückstisch vorgeworfen hatte, daß ihm wohl alles egal sei. „Was ist denn, Veronika?“, schrie ihr Kollege vom Stand herüber. „Hast du Ärger?“ Der Kollege, der in einem Otterkostüm die weibliche Laufkundschaft ansprach, kam mit großen Schritten herübergelaufen. Das Otterkostüm zwang ihn so große Schritte zu machen, weil er damit nicht schnell laufen konnte.
     Er wußte nicht, ob Otter Menschen anfielen. Er ging lieber schnell fort und hörte, wie die Frau ihm laut ein albernes „Otterfeind! Otterfeind!“ nachrief. Er verschwand im Spielzeugladen um die Ecke und kaufte diesen Fisch, den er schon so oft im Schaufenster betrachtet hatte. Genau diesen Fisch wollte er haben und keinen eingepackten, der sich später als Flop herausstellte. Er drehte den Fisch noch im Geschäft auf und überprüfte seine Schwimmtauglichkeit im Waschbecken auf der Mitarbeitertoilette. Man mußte den Kopf des Fisches beim Aufdrehen festhalten und ihn dann ins Wasser setzen. Nun bewegten sich Kopf und Fischschwanz, und der blaue Fisch zappelte davon.
     „Süß“, sagte er, entdeckte sich dabei im Spiegel über dem Waschbecken und schaute schnell weg. Nach dem Bezahlen verließ er den Laden durch eine Tür, die auf die andere Einkaufsstraße führte. Dort warteten keine Otter auf ihn, die mit einem gezielten Biss in seine Hauptschlagader seinem Leben ein Ende bereiten wollten. „Der Fisch hat Schlagseite und schwimmt gar nicht richtig“, sagte seine Frau und ließ eine Wasserfontäne zwischen ihren Händen hervorschnellen, als müßte der Wal Luft schnappen. „In der Wanne lebt ein Wal. Hier ist kein Platz für deinen Fisch“, sagte seine Tochter. Er setzte seinen Fisch ins Wasser, der tatsächlich Schlagseite hatte, aber nur so lange, bis er sich mit Wasser vollgesogen hatte und unterging. Dort schwamm er zielstrebig auf seine Tochter zu. Er lachte. Nahm den Fisch wieder aus dem Wasser, drehte ihn auf und setzte ihn wieder in Gang. „Ist das nicht süß?“, fragte er und schaute seine Tochter an, die den Fisch einfach auf sich zukommen ließ, ohne ihn zu berühren. Bevor der Fisch an ihren Bauch klatschte, hielt sie ihn mit der Hand so lange auf Distanz, bis er nicht mehr herumzappelte.
     „Katrin ist zu alt für solche Spiele“, sagte seine Frau und nahm den Fisch aus dem Wasser. Er schaute wieder seine Tochter an und hoffte, daß sie widersprach. Sie füllte ihr Shampoofläschchen wieder mit Wasser, spritzte den Wasserstrahl heraus und sah ihn nicht an. Er nahm den Fisch vom Badewannenrand, hielt dabei dessen Kopf fest und drehte ihn auf, „Soll ich dich im Klo fortspülen?“, sagte er. Seine Tochter trank aus dem Shampoofläschchen Badewasser, ohne daß es jemand verbot und schaute endlich auf. Er sagte noch einmal zum Fisch: „Soll ich dich im Klo fortspülen?“, und ließ den Kopf los, der sich ratternd hin und her bewegte. „Nein, nein, nein, nein, nein, macht der Fisch“, sagte er. „Nein, nein, nein, macht der Fisch.“ 
 
 
© Erwin Grosche
Veröffentlichung aus „Lob der Provinz“ mit freundlicher Genehmigung