Uraufführung von "Todesstation"

Der experimentelle Roman von Susan Sontag als Bühnenstück in Moers

von Andreas Rehnolt
Uraufführung von
"Todesstation"
im Schloßtheater Moers
 

Der experimentelle Roman von Susan Sontag
wartete seit 1967 auf eine Bühnenfassung
 

Fassung und Inszenierung: Ulrich Greb - Bühne: Birgit Angele - Kostüme: Elisabeth Strauß
Dramaturgie: Sabrina Bohl, Felix Mannheim
Besetzung: Patrick Dollas, Matthias Heße, Marieke Kregel, Jakob Schneider, Katja Stockhausen, Frank Wickermann
 

Moers - 47 Jahre hatte der Roman "Todesstation" der amerikanischen Autorin Susan Sontag (1933-2004) auf seine Bühnenfassung gewartet. Ausgerechnet in Deutschlands kleinstem Stadttheater, dem Schloßtheater Moers kam es jetzt zur Uraufführung. Intendant Ulrich Greb hat den rund 400 Seiten starken experimentellen Roman über die Fragwürdigkeit und Brüchigkeit menschlicher Existenz thematisiert, deutlich zusammengestrichen und daraus ein Bühnenstück gemacht, das für den Zuschauer hart, manchmal anstrengend, immer aber packend bleibt.
 
"Todesstation" paßt zum Motto "Hin & Weg" der laufenden Spielzeit im kleinen Moerser Theater, die sich mit tragischen und komischen, grellen und leisen Grenzerfahrungen beschäftigt. Und die stärkste ist nun mal die Grenzerfahrung mit dem Tod. Die rund 100 Premierenzuschauer schauen die ersten 40 Minuten auf ein Bühnengeschehen, das sich hinter einem durchsichtigen weißen Vorhang abspielt. Die Akteure - drei Männer und zwei Frauen liegen auf Tischen, die an eine Intensivstation denken lassen. Über ihnen hängen Mikrofone und kleine Videokameras. Ihre Gesichter werden auf den Vorhang projiziert.
 
Dann springen die Schauspieler auf, ziehen weitere Vorhänge zwischen sich und sind plötzlich Zugreisende, die in einem Abteil zusammen sitzen. Die Kameras beobachten ihre Gesichter, auch ihre Hände, die sich mit irgendwas beschäftigen. Es wird gesprochen. Nicht direkt im Dialog, eher wird erzählt. Die Zuschauer erfahren, daß die Hauptfigur Dalton Harron (großartig Frank Wickermann) auf dem Weg zu einer Konferenz ist. Daß er von allen nur Diddy genannt wird und einen Selbstmordversuch hinter sich hat. Auch die übrigen Reisenden werden kurz beschrieben. Vor allem die blinde Hester, die mit ihrer Tante auf dem Weg in eine Augenklinik ist.


Kregel, Wickermann - Foto © www.nielinger.de
 
Plötzlich hält der Zug an. Mitten in einem Tunnel. Ausgerechnet Dalton steigt aus, tastet sich durch die Dunkelheit, trifft auf einen Gleisarbeiter und erschlägt ihn. Glaubt er jedenfalls. Zurück im Abteil erzählt ihm Hester, er habe den Waggon gar nicht verlassen. Ausgerechnet die blinde Hester sagt ihm das. Er verliebt sich in die junge Frau. Gerät in Streit mit Kollegen. Besucht die Klinik und erfährt, daß Hesters Augenoperation mißlungen ist, sie also weiter blind bleibt. Bei seinem Versuch, herauszufinden, ob er wirklich ein Mörder ist, tarnt er sich als Versicherungsvertreter und besucht die Witwe des vielleicht von ihm getöteten Gleisarbeiters.
 
Grotesk, wie die Figuren mal als Spieler, dann als Erzähler agieren. Die vermeintliche Tante von Hester wird von Jakob Schneider slapstickhaft dargestellt. Manchmal schaut diese Tante Jessie mit einem Blick ins Publikum, daß man meinen könnte Jack Nicholson aus "Shining" hätte in Moers vorbeigeschaut. Immer mehr wirkt das Spielen und Erzählen alptraumhaft, mal rastet Diddy gegenüber seinem Bruder aus, mal gerät er mit einem Arbeitskollegen in Streit, mal prügelt er sich mit Tante Jessie, die dabei ihre grausliche grau-blonde Perücke einbüßt. Überhaupt die Perücken. Alle sechs Darsteller tragen solche Dinger, die aus den 1960er Jahren zu stammen scheinen. Auch die Kostüme sind aus dieser Zeit.
 
Schließlich ziehen Diddy und Hester zusammen. Sie übernimmt als Blinde immer mehr die Organisation des gemeinsamen Haushalts. Er als Sehender verliert offensichtlich den Blick für alles. Das Zusammenleben, anfangs in einer der wenigen zarten Szenen fast süß und unschuldig, reduziert sich immer mehr auf Sex. Schließlich kommen beide nicht mehr aus dem Bett. Die Mitspieler reißen sämtliche Vorhänge aus den Verankerungen, werfen sie auf das seltsame Paar und beschreiben das, was geschieht, geschehen ist und vielleicht noch passieren wird.
 
Und dann, ganz am Ende, scheint Diddy wieder auf der Intensivstation zu sein. Ein Arzt, so wird erzählt, schiebt etwas an das Bett des Mannes auf der "Todesstation", auf der Diddy seine ganzen letzten Tage vor seinem Selbstmordversuch noch einmal durchlebt zu haben scheint. Schließlich wird das Publikum mit einem allerletzten Satz aus dem pausenlosen 130-minütigen Abend entlassen. "Doch Diddy geht weiter", heiß es da. Vielleicht stirbt Diddy jetzt. Dafür spräche auch der Schatten, der im ganz ganz schwachen Bühnenlicht über den Akteuren zu schweben scheint, bevor es gänzlich dunkel wird.
 
Der Applaus am Ende ist lang, verdient und ehrlich. Das Stück läßt den Rezensenten auch während seiner Rückfahrt vom Schloßtheater Moers nach Düsseldorf nicht los. Schwerer Tobak allemal. Wer sich davor nicht fürchtet, erlebt in der Stadt am Niederrhein tolle Schauspieler, eine überzeugende Regiearbeit und einen Stoff, von dem die Autorin zehn Jahre nach Fertigstellung des Romans schrieb: "Der Roman ist umschlossen von seinen eigenen Metaphern, wie Diddy eingeschlossen ist innerhalb seines eigenen Kopfes."


Kregel, Wickermann - Foto © www.nielinger.de
Nächste Vorstellungen: 1., 15., 20. und 21. April jeweils um 19.30 Uhr. Karten gibt es unter 02841-8834110.