Wovor haben Sie Angst?

Volker Pispers fordert auf, mehr Demokratie zu wagen

von Frank Becker

Foto: TheaterKontor_
Wovor haben Sie Angst?
 
Volker Pispers fordert auf,
mehr Demokratie zu wagen
 
 
Wenn es wirklich so um Politik und Staat, Volkswirtschaft und Finanzwesen steht, wie Volker Pispers es an Fakten und Zahlen aufdröselt – und man darf annehmen daß es so ist, dann haben 80 % der Deutschen Anlaß zu nagender Sorge. Viele der Besucher des sich fortlaufend aktualisierenden Programms „…Bis neulich“ werden nach beinharten 190 Minuten des eloquenten Schnellsprechers Pispers mit weichen Knien und brummendem Schädel aus der restlos ausverkauften Remscheider Klosterkirche nach Hause gewankt sein, das würgende Gefühl von Wut im Herzen und den bitteren Geschmack von Hilflosigkeit auf der Zunge.
 
Vom Schlage Beltz

Denn Volker Pispers ist nicht nur witzig, doch, doch, das ist er in reichem Maße, aber er ist auch ein bissiger Kabarettist vom Schlage des zu früh gestorbenen Matthias Beltz. Was wiederum heißt: keine Kompromisse! Seine Kapitalismuskritik legt die Axt an einen mächtigen Stamm, und alleine die Späne, die er an einem langen Abend aus diesem Holz heraushaut, könnten für ein loderndes Feuer reichen. Wenn denn mehr so dächten wie er. Er sorgt für betretenes Schweigen, wenn er über die realen Einkommensverhältnisse im Land referiert. Das ist bitter, das ist erschreckend, doch sein Publikum setzt sich wohl überwiegend aus den 20 % zusammen, denen das Überleben im Kapitalismus problemlos gelingt. Wieso also aufbegehren?
 
Gelegentlich auch daneben

Doch ein jeder/eine jede sieht doch was täglich über die Bildschirme flimmert und durch die Gazetten geistert: einen Außenminister Westerwelle, für den Pispers die Formulierung „Betreutes Regieren“ findet, einen Ex-Bundespräsidenten Wulff, der („so was wie Wulff hatten wir noch gar nicht an der Spitze des Staates“) bei ihm als Unhold des Jahres und als zweibeiniges Payback-System apostrophiert wird, dem zugleich das Unwort des Jahres zuzuschreiben sei: Ehrensold. Unhold des Vorjahres war ja Guttenberg, so sorge die CDU immer für Frischfleisch. Und nicht nur einen grünen Politiker, der sich vom Paulus zum Saulus gewandelt hat, sobald ihm die Macht in die Knochen gefahren war, hat er auf der Liste: Josef Fischer und Otto Schily (jetzt SPD) gehören u.a. dazu. Er schießt bemerkenswert heftig gegen den neuen Bundespräsidenten Joachim Gauck, den er überhaupt nicht leiden kann. Da muß man ihm vorhalten, zu früh zu schießen. Das gilt ebenso für seine blauäugige Einstellung dem Islam gegenüber, dessen Anspruch, Stellung und Schicksal hierzulande er leichtfertig mit dem des deutschen Judentums vergleicht. Das, lieber Herr Pispers, geht nun gar nicht.
 
Ist Lübke in die Merkel gefahren?

Wie haben eine Kanzlerin, sagt Pispers, bei der sich die Frage stellt: „Ist Lübke in die Merkel gefahren?“ Das geht dem Kabarettisten durch den Sinn, wenn er aus einer Rede Merkels, an den US-Präsidenten gerichtet, zitiert: „Lieber Barack, auch wenn wir beide anders aussehen als unsere Vorgänger, haben wir doch viel miteinander zu besprechen…“ Heiligs Blechle! Und Pispers merkt an, daß doch mit einer Physikerin etwas nicht stimmen könne, die heute die Verlängerung Laufzeiten der (absolut sicheren) deutschen Kernkraftwerke gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit erzwingt, nur ein halbes Jahr später jedoch, nach der Katastrophe von Fukushima, verkündet, sie habe nochmal darüber nachgedacht und halte sie nun nicht mehr für sicher. Hallo? „Wäre Zurückrudern eine olympische Disziplin…“. Und daß man jetzt 16 Milliarden Euro aufwenden muß, um die unter ihrer Amtsführung als Bundesumweltministerin in der angeblich sicheren Asse versenkten Atommüll-Fässer zu bergen, sei mal nur am Rande erwähnt. Was jetzt noch fehle sei eine schwarz-grüne Regierung mit Merkel und Claudia Roth an der Spitze: „Da stößt der Alkohol an seine Grenzen!“
 
Deutschland geht’s gut

Aber Deutschland geht es ja gut. Ach ja, 4,5 Mio. Hartz 4-Empfanger, 3 Mio. Arbeitslose, dazu Krankgeschriebene, die aus der Statistik fallen, Leiharbeiter usw. - macht nichts. Deutschland geht’s gut. Es geht Deutschland u.a. so gut, weil es der drittgrößte Exporteur für Waffen und Minen der Welt ist. „Aber keine Waffen in Spannungsgebiete!“ Natürlich nicht. Das kommt einem so vor, wie Schuhe nur an Bettlägerige zu liefern. Da trifft Pispers den Nagel auf den Kopf. Nebenbei: Deutschland ist auch weltweit führend im Export von Prothesen – ein tolles Kombi-Geschäft: erst Minen, dann Prothesen. Der Schuh paßt.
Wissen Sie eigentlich noch, wem solche Begriffe und Aussagen zu verdanken sind: „Soziale Hängematte“ (Willy Brandt, SPD) – „Soziale Überversorgung“ (Helmut Schmidt, SPD) – „Wer nicht arbeitet, muß auch nicht essen.“ (Franz Müntefering, SPD). Soviel zur „sozialen“ Marktwirtschaft. Johannes Rau (SPD) bezeichnet Pispers scharf als Prediger und Schwätzer, der 40 Jahre lang als Politiker den Fortschritt verhindert habe. „Die SPD ist die Vorhaut der Arbeiterklasse – wenn es ernst wird, zieht sie sich zurück.“ Noch Fragen? 
 
A faint cold fear thrills through my veins

Weil aber im Saal überwiegend die Gutverdiener sitzen, die sich eine Eintrittskarte für etwa 20,- Euro leisten können, werden die klugen Mahnungen und harten Fakten des Zahlenjongleurs und Schnellsprechers in letzter Konsequenz als brillante Unterhaltung verbucht, weniger als Aufruf zur Revolution per Wahlzettel. Seit 29 Jahren mache er Kabarett, habe alle nur möglichen Regierungs-Koalitionen er- und überlebt – aber geändert habe sich am ungerechten System in unserem Lande, das im Grunde dem „Schmarotzpack der Banken“ und wenigen Konzernen gehöre, nichts. „Die 18 Margarinemarken im Supermarktregal kommen von nur drei Herstellern – und ob sie bei SATURN oder MEDIA-Markt einkaufen, sie kaufen immer bei METRO ein.“ Macht und Einfluß von Banken, Waffenhandel, Großproduzenten und abhängigen Medien sowie die Dummheit oder gerne auch die Willfährigkeit der Politik jenen gegenüber macht Pispers mit starken Worten deutlich. Bei Pispers griffigen Erklärungen zum System der freien Marktwirtschaft, zu Statistiken und zur aktuellen Griechenland-Krise fällt mir Shakespeare ein: A faint cold fear thrills through my veins (Romeo und Julia, Vierter Akt).
 
Pervers

Wie pervers das System sei, machten allein die Begriffe der„Leiharbeit“ (die er mit Zuhälterei vergleicht) und der „Teilhabe an der Arbeit“ deutlich, denn von der Teilhabe am von allen erwirtschafteten Volksvermögen sei nirgends die Rede. Daß Pispers dabei dem Sozialismus das Wort redet, nicht dem der SPD notabene, denn die unterscheide sich in nichts von CDU, FDP, Grünen, kann dabei nicht anstößig sein. Anstößig ist wohl eher, was Politiker und Banken aus unserem Land machen, denn „Kapitalismus verhält sich zum Raubkapitalismus wie Wasser zu nassem Wasser“. Allerdings zeigt sich der eigentlich doch gut informierte Kabarettist auch hier mit einem erstaunlich unkritischen Blick zurück auf den Sozialismus der DDR ein wenig als Träumer. Pispers ist gut, hat einen scharfen Blick, doch wo er sonst Recht hat, gelegentlich mit gewissen Sehstörungen.
 
Laut der „Luftblasen absondernden“ Angela Merkel sei es nicht möglich, die Richtung zu ändern. Dann ist es jetzt an der Zeit, sagt Pispers, den Zug, der auf den Abgrund zurast, anzuhalten.
 
Weitere Informationen: www.volkerpispers.de