Ein Entkommen ist möglich

Aus dem Tagebuch

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Ein Entkommen ist möglich
und andere Illusionen

21. März: Meine Frau sagte: „Immer sitzt Du vor dem Fernseher.“ Ich sagte: „Das ist eher umgekehrt. Der Fernseher sitzt vor mir.“ Ich sagte: „Mein Fernseher, ist der Hund, den ich als Kind nie hatte. Mein Fernseher ist Susanne Grotewohl, die mich als Jugendlicher abwies, als ich mit ihr zu einer Party gehen wollte und sie dort dann mit Benno Huber erschien, der nun auf Sat 1 eine Pech und Pannenshow hat, die bei meinen Schicksalsschlägen eigentlich mir zustehen würde. Mein Fernseher ist die Insel, die ich nie entdeckt habe, der Schatz, den ich nie gefunden habe. Mein Fernseher ist das Paradies, in das ich nie gelangen werde.“
 
 22. März: Welcher Teufel kam auf die Idee die sprachliche Eigenart des „s“ Betonens mit dem Wort „Lispeln“ zu beschreiben? Ich lispele, du lispelst, er lispelt. Wir lispeln, ihr lispelt, sie lispeln. Welcher Teufel konnte nur derart gemein handeln? (In diesem Satz kam kein „s“ vor).
 
24. März: Ein Entkommen ist möglich. Das kennen sie auch. Man ist fast mit dem Spülen fertig, da durchsucht man das Wasser noch mal nach letzten kleinen Löffelchen und Kuchengäbelchen. Man greift mit der Hand ins Wasser und sucht unter der Lauge noch mal alle Ecken und Stellen durch, um ganz sicher zu sein. Da ist nichts mehr. Das Spülbecken ist leer. Die Aufgabe ist erfüllt. Ich kann aufatmen. Natürlich findet man dann nach Ablaufen des Wasser doch noch ein Plastiklöffelchen oder einen Tortenschieber, der es irgendwie geschafft hat, sich vor den tastenden Händen zu verbergen. Natürlich sollte das Hoffnung geben. Ein Entkommen ist möglich. Man lenkt ab, man paßt sich an, man tut so, als wäre man nicht da und schafft sich eine Nische. Ein Entkommen ist möglich. Das kennen sie auch. Man kramt in allen Taschen. Und was gibt es viele Taschen. Hosentaschen, Manteltaschen. Innentaschen. Man kramt dort herum, um den Haustürschlüssel zu finden. Es ist kalt, es ist dunkel, es ist spät. Man will ins Haus. Man sucht und sucht. Das ist ein überschaubarer Raum. Da wird schnell was gefunden. Hier kommt nichts weg. Alles ist an seinem Platz. Denkste.
Was ist mit Strümpfen. Wie gelingt es diesen unbekannten Dingen, zu verschwinden und uns an der Nase herumzuführen?
 


© Erwin Grosche - für die Musenblätter 2012
Redaktion: Frank Becker