Nicht schneuzen, hochziehen!

Hagen Rether leidet an der Welt

von Frank Becker

Foto: Veranstalter © Klaus Reinelt

Nicht schneuzen, hochziehen!
 
Hagen Rether findet das alles nicht lustig
 
Sein Programm heißt seit Jahren „Liebe“, aber die ist ihm angesichts der Verhältnisse im Lande und in der Welt offenbar vergangen. Hagen Rether, der die leisen Töne (oft an der Grenze zur Hörbarkeit) anschlägt, um Aufmerksamkeit zu fordern, leidet an der Welt. Am vergangenen Mittwochabend litt er in der ausverkauften Kattwinkelschen Fabrik in Wermelskirchen zusätzlich unter einem Schnupfen, den er mit dem Rat seines Arztes auslebte: „Herr Rether, nicht schneuzen, hochziehen!“ Das beherzigte er, doch das Publikum, das dann für Momente nicht an seinen Lippen, sondern an seiner Nase hing, nahm es hin.
 
Wenn das mal mit der Tagespolitik und der Ungerechtigkeit der Welt auch so ginge, einfach hochziehen. Da mußte sich der Kabarettist, der sich selbstverliebt zum mitunter arg moralisierenden Gewissen der Nation entwickelt hat, denn doch fürs Schneuzen entscheiden, denn all den Dreck möchte man ja aus dem Kopf haben. Aber wo er Recht hat, hat er Recht, ob er dringend fordert, die Lobbyisten aus dem Reichstag zu vertreiben wie in der biblischen Geschichte, als Jesus die Geldverleiher aus dem Tempel jagte, ob er fordert, Religion – gleich welche – aus staatlichen Schulen zu verbannen und anstelle dessen Ethik zum Pflichtfach zu machen oder ob er darauf hinweist, daß sich unser Wohlstand auf Leichenbergen der Dritten Welt gründet. „Versuchen Sie mal, hier einen Trainingsanzug zu kaufen, der nicht in einer Diktatur hergestellt wurde.“
 
Rethers Wahrheiten sind oft bitter, so elegant er sie auch präsentiert. Er macht die Mechanismen der Politik und der mit ihr untrennbar verwobenen Wirtschaft transparent, entlarvt die Lüge als deren allgemeingültiges Prinzip und erschreckt damit – obwohl jeder im Saal das längst weiß. Nur sagt es keiner. Rether tut es, nimmt den Leuten das Denken ab. Terroristen sind nicht staatsgefährdend? Das mag widersinnig klingen, doch mit der vergleichenden Feststellung, daß es seiner Ansicht nach eher staatsgefährdend sei, wenn ein Bandarbeiter bei Daimler dreimal so viel verdient wie eine Kindergärtnerin oder eine Hauptschullehrerin 1.000,- € weniger bekommt als eine Gymnasiallehrerin öffnet er die Augen für ein Problem.
 
„Haben Sie Angst vor dem Islam?“ fragt Rether und setzt gleich entgegen: „Im letzten Jahr sind 70.000 Menschen am Alkohol gestorben – hamse Angst vor Riesling?“ Das ist ein wenig zu leichfüßig. Es ärgert ihn, daß man die NPD nicht verbieten könne, weil so viele V-Leute drin seien. „Ja dann nimm se doch raus!“ – „Aber jedem harmlosen Fluggast die Zahnpastatube ausdrücken und die Klöten röntgen!“. Das bringt ihm ebenso jubelnde Zustimmung ein wie die Bemerkung, daß Westerwelle der authentischste Politiker sei: „Seit 15 Jahren gleich doof.“ Auch Guttenberg ist ihm noch immer einen roten Faden durch das Programm wert, ebenso wie Angela Merkels Frisur oder Thilo Sarrazin. Das wirkt wie Nachtreten.
 
Genau da steckt die Crux dieses außergewöhnlich beliebten und klugen Kabarettisten, denn er setzt auf genau die populistischen Effekte, die er den Zielen seines Spotts, darunter den Medien und seinen kabarettistischen Kollegen vorhält. Rether macht sich über die lustig, die man populärerweise jetzt durch den Kakao zieht, schlägt sich, so gut und unterhaltsam er ist, auf die Seite eines zu billigen, publikumswirksamen Mainstream und zugleich in vorhandene Kerben. Das amüsiert das Volk im Saal, das sich anbiedernd auf die Schenkel schlägt – und manche können sich kaum halten vor Lachen. Wohl um zu zeigen, daß sie alles verstanden haben. Aber das ist nicht immer lustig.

Weitere Informationen:  www.hagenrether.de