Auf UN-Mission in Afghanistan

Tom Koenigs – „Machen wir Frieden oder haben wir Krieg?“

von Jürgen Kasten
Auf UN-Mission
in Afghanistan
 
Wer sich für Politik interessiert, wird Tom Koenigs kennen: 1944 geboren, Arbeiter bei Opel, Buchhändler, Taxifahrer, Bankenlehre, studierter Betriebswirt, Übersetzer, seit 1983 Mitglied der Grünen, Dezernent für Umwelt, Stadtkämmerer in Frankfurt, Sondergesandter der UN im Kosovo, Vorsitzender der Menschenrechtskommission im Bundestag. Das ist nur ein kleiner Teil seiner vielen Betätigungsfelder. 2006 bis 2007 war er als Chef der UNAMA in Afghanistan (United Nations Assistance Mission Afghanistan).
 
Auf seinen vielen Reisen stellte er fest, daß in allen Buchläden der Welt mehr als genug Bücher über Afghanistan liegen. Trotzdem hat er sich letztenendes überreden lassen, denen ein weiteres hinzuzufügen. Das ist ein Glücksfall, denn es fällt aus dem Rahmen der üblichen Politikanalyse. Koenigs Buch ist eigentlich eine Ansammlung von Briefen, die er ständig per E-mail an Freunde, Bekannte und Familie versandte. Das rein Familiäre wurde für das Buch weggelassen, der Leser erhält so eine An- und Einsicht von Afghanistan, wie sie so wohl einmalig ist. Koenigs beschert uns Originaltöne seiner Gesprächspartner, die öffentlich nie gesprochen würden. Einiges verewigte Koenigs in Berichten und Analysen unter anderem für die UNO, wo ihm entsprechende Passagen wieder gestrichen wurden oder auch für die afghanische Regierung, wo sie unter Verschluß blieben - zum Beispiel, daß die Taliban von Pakistan aus ungestört operieren und vom Geheimdienst unterstützt werden. Niemand sprach das zu dieser Zeit öffentlich an. Koenigs versuchte auch die Selbstmordattentate zu ergründen. Pro Jahr sind es einige tausend, denen selten Militärs zum Opfer fallen, sondern hauptsächlich zivile Personen und Familien. Auch diese Attentäter kommen ausschließlich aus Pakistan, werden dort ausgebildet und mit dem Versprechen in den Tod geschickt, sie würden im Paradies erwartet und ihre Familien hätten ein Leben lang ausgesorgt. Über ihre Motivlage gibt es keinerlei Untersuchung. Koenigs versuchte zu recherchieren, erfuhr aber auch nur, daß es überwiegend junge Männer ohne jegliche Bildung sind.
 
Wir erfahren, welchen Eiertanz Präsident Karsai veranstalten muß, um seinen korrupten Gouverneuren, von denen laut Koenigs viele vormals grausame Kriegsverbrecher waren, seiner eigenen Familie, den Warlords und den sogenannten Schutzmächten gerecht zu werden. Abermillionen angeblicher Aufbauhilfe verschwinden in dunklen Kanälen. Die Amerikaner geben am meisten. Dafür machen sie dann auch was sie wollen. Was die anderen Schutzmächte wollen, interessiert sie herzlich wenig.
Ich kann hier nicht alles aufzählen, was Tom Koenigs in den zwei Jahren, in denen er in Afghanistan tätig war, erlebt und selbst mitgestaltet hat. Es ist unglaublich viel und hat doch nichts verändert. 2007, so schreibt er selbst, bestand Hoffnung, daß sich alles zum Besseren wendet. 2011 war er noch einmal dort, als Deutscher Menschenrechtler und Beauftragter des Bundestages und sieht ein Afghanistan, dessen Schutzmächte sich mehr und mehr einmauern, mit Stacheldraht und hohen Mauern umgeben, Zeppeline über die Städte fliegen lassen, die per Video alles im Blick haben sollen und doch keinen Erfolg darin haben, das zerrissene Land zu kitten und zu stabilisieren. Kein schöner Ausblick. Der Krieg ist eindeutig verloren.
Abseits des Krieges berichtet er aber auch über kleine Erfolge: Die Infrastruktur wurde verbessert, ein halbwegs funktionierendes Bildungssystem wurde aufgebaut (vor allem von Deutschen) und die Gespräche gehen weiter.
 
Gespräche hat Tom Koenigs ohne Ende geführt, mit Botschaftern, Militärs, Geheimdienstlern, mit der afghanischen Regierung, mit Karsai und quer durch die Welt mit den Regierungen sämtlicher Schutzmächte, dem UN-Vorsitzenden, mit Merkel, den Chinesen, den Russen, und und und…
Allein seine Schilderung dieser Gespräche macht das Buch mehr als lesenswert.
Mit den Taliban redete niemand, obwohl das unumgänglich ist, um etwas zu ändern, so Koenigs. Er hat das vielfach ungehört angemahnt. (Inzwischen scheint sich das ja zu ändern, wie man der Presse entnehmen kann.)
Einer seiner liebsten Gesprächspartner war übrigens der damalige Außenminister Afghanistans und jetziger Berater Karsais. Ein Grüner, wie Koenigs selber. „It´s hard to be green“, wurde ihm einmal gesagt. Der vormalige Kommunist Koenigs, wie auch sein Vorwortschreiber Joscha Schmierer, findet das nicht. Beide sind mit Leib und Seele dabei. Übrigens, auch Joschka Fischer und Daniel Cohn Bendit, Freunde Koenigs, finden Eingang in seine „Erzählungen“.
Ein tolles, spannendes, erhellendes Buch, mit großem Wortwitz geschrieben.
Die vielen Abkürzungen und genannten Personen werden im Anhang ausführlich erklärt.
Unbedingt lesen!
 
Tom Koenigs – „Machen wir Frieden oder haben wir Krieg?“
© 2011 Verlag Klaus Wagenbach, herausgegeben von und mit einem Vorwort von Joscha Schmierer - 269 Seiten, Gebunden mit Schutzumschlag, Personen- und Sachindex, Photographien - ISBN: 978-3-8031-3637-4
€ 19,90 (D), € 20,50 (A), sFr. 3,50 (CH)
 
Weitere Informationen: www.wagenbach.de - www.tomkoenigs.de