Wieder in der Kultur: Die "Geisterbiege"

Eine Erzählung

von Eugen Egner

Foto © Frank Becker

Wieder in der Kultur: Die „Geisterbiege“


Da war die „Geisterbiege“ also wieder in der Kultur! Der große Tag war endlich da. Er zerfiel in fünf Haufen, und fünf Haufen waren, was Lupe und Millibar (vormals Berti und Gerd) gleichzeitig von der Sparkasse erhielten. Lupe und Millibar nannten ihren Laden „Die Geisterbiege“, denn so hatten sie es beschlossen. Bei sternklarem  Himmel schauten sie in die Landschaft und schmiedeten Pläne. Währenddessen heulte der Pfarrer um die Häuser, gerecht oder nicht. Und ob es nun paßte oder nicht, der Pfarrer sprach: „Falsches Wasser braucht falsche Erde!“ Die Kleidung des Pfarrers: Kniehose, Holzbrettchen, Kleid oder Rock für Mädchen, derbe Schuhe, Beutelhemd, Badehose, Abdeckplane, derber Schlafanzug, derbe Metall-Strümpfe, mindestens drei Paar Trainings- Kopfbedeckungen. Beim Einfetten der Kleidung war es die Bescheidenheit, die zu dem Ausruf veranlaßte: „Wir nähern uns der richtigen Verwendung!“ Und außer der Bescheidenheit waren es das Ergreifende, die ewige Treue, die Armbewegung und die Liebe zur Stadt, die von Lupe und Millibar deutlich hervorgehoben wurden.

Gleichzeitig erkannte die Wissenschaft: „Neben  Wohnen und Schlafen spielt Essen in unserem Leben eine nicht ganz unwesentliche Rolle“. Was aber sollte man essen? Das einzig Eßbare im Leben war die Milch. Je nach Landschaft oder Jahreszeit sah sie verschieden aus. Sie verhalf zu frischer Kost, doch mußte sie schnell zubereitet werden. Im Vordergrund stand daher das brauchbare Resultat. Man mußte es auspobieren, jeder sollte es einmal versuchen. Mit Hilfe des Irrtums! Der Pfarrer legte den Topfboden mit einer Schicht Zeitungen aus, ließ aber in der Mitte etwas Platz für die Milch. „Bald schwimmen wir in Speiseresten“, prognostizierte er unter stetigem Rühren. Lupe und Millibar versuchten währenddessen auch etwas, doch das Ergebnis mußte sofort vergraben werden. „Nun sollte es einmal geschwind gehen“, sprach der Pfarrer. Angestrebt war die Festigkeit. So entstand die knochenharte Milch. War dies aber ein Gottesgeschenk? „Es hat eine zerstörende Wirkung!“ riefen Lupe und Millibar. Auf die „Geisterbiege“ hatte die Milch sogar eine verwüstende Wirkung. 


„Schluß mit dem Essen, weiter mit der Geisterbiege!“ verlangten daraufhin Lupe und Millibar. Niemandem konnte es schaden, eine Zeitlang ohne Nahrung zu leben, wenn nur Sommer war. So folgte eine Sommernacht in der „Geisterbiege“. Leider ist kein Photo davon erhalten. Die Benutzung von Blitzlicht verbot sich, denn der Boden mit trockenem Gras oder Moos war zu leicht entzündbar. Es hätte schon Sandboden oder eine steinige Unterlage sein müssen. Der Pfarrer war enttäuscht, denn er hätte sich so schön mit dem Feuer unterhalten können, wie er vorbrachte. Doch wollte man auch andere Dinge im Freien unternehmen, als ewig Photos machen. „Hauptsache, die ‚Geisterbiege’ ist wieder in der Kultur“, fanden alle. Man wickelte den Pfarrer in Decken, nun war es die Hilfsbereitschaft bei nie aufhörender Geschäftigkeit. Gleichwohl wußten Lupe und Millibar nur zu allzu gut, wie dicht neben dem fröhlichen Spiel die besinnliche Stunde am Abend stand. Beim Erwachen des Drangs half der verlorene Blick.
  


© Eugen Egner - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2007