Artistik aus dem Reich der Mitte

Der Chinesische Nationalcircus mit Akrobatik, Clownerie und Taschenspielerei

von Frank Becker


Foto: Chinesischer Nationalcircus

Artistik aus dem Reich der Mitte

Der Chinesische Nationalcircus verzaubert in seinem neuen Programm „Seidenstraße“ mit Akrobatik, Clownerie und Taschenspielerei
 
Gelegentlich möchte der Verstand nicht glauben, was das Auge sieht, wenn die jungen Artisten dieser außergewöhnlichen Truppe die Gesetze der Schwerkraft aufzuheben scheinen, Körper sich geradezu angsteinflößend verbiegen oder eine nicht abreißende Flut von Spielkarten aus der schlanken Hand einer Zauberkünstlerin sprudelt. Das in Zusammenarbeit von Schoregges Entertainment GmbH mit dem Kulturministerium der VR China entstandene brandneue Programm „Seidenstraße“ des Chinesischen Nationalcircus, mit dem dieser seit gut 14 Tagen und noch bis Ende April 2012 in Mitteleuropa tourt und das am Silvestertag dem Remscheider Teo Otto Theater zweimal ausverkauftes Haus bescherte, hält einige circensische Spitzenleistungen bereit, die dem Publikum mal um mal begeisterte Aaahs… und Ooohs… entlockten. Jahr für Jahr bereist Raoul Schoregge die Artisten-Schulen Chinas, um mit jungen Talenten aller circensischen Disziplinen für die jährliche Europa-Tournee neue Programme zusammenzustellen.
 
Dabei sind die Inhalte einzelner Nummern aus Akrobatik, Balance, Kontorsionistik, Jonglage, Equilibristik, Illusionistik und Clownerie inhaltlich gar nicht einmal gänzlich neu, doch die zur Musik von Mani Neumanns Farfarello choreographierte Show hat durch wunderbare Kostüme und geschickte Lichtregie zum einen ihren eigenen fernöstlichen Charme, zum anderen das Plus der fließenden Eleganz. Produzent Raoul Schoregge und der als „Teufelsgeiger“ bekannte Mani Neumann sind alte Bekannte, was zu dieser erstmaligen Begegnung der all-europäischen Musik von Farfarello und der Artistik aus der Volksrepublik China führte. Die solide, bisweilen umstritten strenge Ausbildung an chinesischen Artistenschulen, die Disziplin und die Leistungsbereitschaft chinesischer Artisten sind legendär, was - eindrucksvoll unter Beweis gestellt - für atemberaubende Einzelleistungen den Boden bereitet. Die ganz wenigen kleinen Pannen stören die Perfektion einer solchen Show nicht, sie zeigen, dass alles „echt“ ist und machen es damit nur menschlicher.


Foto: Chinesischer Nationalcircus
Sämtliche phantastischen Kunststücke des Wirbels von 20 Nummern hier zu würdigen, würde den Rahmen sprengen, doch verdienen einige der herausragenden Leistungen stellvertretend für alle besondere Erwähnung. Was Xiong Wen solo mit absoluter Körperbeherrschung an der senkrechten Stange vorführt, macht aus der landläufigen Vorstellungskraft von den Möglichkeiten menschlicher Muskelkraft Makulatur. Horizontal wie vertikal scheint er nicht den Gesetzen der Physik unterworfen zu sein - ebenso wie in seiner eleganten Partner-Akrobatik gemeinsam mit Dou Dou, die sich als rückwärts gebogener Ring um ihn legt – nur ein Meisterstück der Kontorsionistik dieses Abends

Foto: Chinesischer Nationalcircus
voller unbegreiflicher Gelenkigkeit, jedem normalen Knochenbau zuwider. Verblüffend auch, was die Damenriege in ihren mit rasanter Akrobatik kombinierten Jonglagen mit Diabolos, Papierschirmen, Tellern und Trommeln, zeigt – nicht weniger fesselnd, was die Herren mit Alu-Koffern und schweren Porzellan-Blumentöpfen anstellen. Nicht zu Nachahmung für den Hausgebrauch empfehlen sich die equilibristischen Balancen auf sieben übereinander gestapelten Stühlen, mit denen Li Shuang das Publikum hinriß und die immerhin zehn (!) Personen auf einem Fahrrad.
 
Berückend schön, hinreißend grazil und verwirrend geheimnisvoll ist die Illusionistin Zhang Yan, bei deren Maskentanz auf rätselhafte Weise mehr als 30mal die Farbe der Maske wechselt bis diese ganz verschwindet, die in einer anderen Nummer ungezählte Fächer aus ihrem Gewand zaubert und bei ihrer dritten Nummer nach fingerfertigen Kartenkunststücken schließlich einen sich nicht erschöpfenden Regen von Spielkarten wie aus dem Nichts über die Bühne flattern läßt. Phantastisch!
Für die heitere Seite sorgen Chef Raoul Schoregge und Tian Xue Bing mit ihren liebenswerten Clownerien, die manche Lachträne fließen lassen, gelegentlich ganz unaufdringlich auch das amüsierte Publikum beteiligen und zeigen, daß das Lachen die Menschen rund um den Globus verbindet. Ein runder, ein schöner Abend.
 
Weitere Informationen und Termine: www.chinesischer-nationalcircus.com