Experimente im Entwicklungslabor

Ein Abend im „Container“ der Wuppertaler Bühnen

von Martin Hagemeyer
Experimente im Entwicklungslabor
 
Ein Abend im „Container“ der Wuppertaler Bühnen
 
Der „Container“ hinter dem Barmer Opernhaus ist erwartungsgemäß ein Metallkasten, aber einer mit Bestuhlung und einer Bühne aus Holzwürfeln – und laut Eigenbezeichnung die „kleinste Spielstätte“ der Wuppertaler Bühnen. Jede Woche versuchen sich hier junge Leute aus der Stadt mit kleinen Auftritten, Lesungen, Konzerten; und nicht jeder der Abende eignet sich für einen grundsätzlichen Artikel. Ein Programmpunkt wie derzeit das Stück „Am Ende gehst du doch…“ von der 16-Jährigen Madita Kretschmer ist aber bemerkenswert, und dies eben auch als Beispiel: für das Potenzial einer solchen Laienbühne, Entwicklungen möglich zu machen; kreative und persönliche.
 
Vor vier Jahren noch vom damaligen Generalintendanten Gerd-Leo Kuck initiiert, will der „Container“ vor allem Heranwachsende als Theaterzuschauer gewinnen, indem er ihnen theatrale Möglichkeiten nach einem frechen und denkbar praktischen Prinzip nahebringt: Er läßt sie selbst auftreten. Betrieben wird der „Container“ von den zwei Theaterpädagogen der Bühnen. Dieser fachliche Hintergrund mag auch irritierende Seiten haben: Ein häufiger Gast des „Hauses“ sagt, bei Unstimmigkeiten schlage zuweilen die eigentlich offene Art von Miriam Rösch und Markus Höller unverhofft um – in einen „amtlich-didaktischen Tonfall“. Das stimmt wohl.
Viel wichtiger aber: Mit der kompetenten und einfühlsamen Unterstützung der beiden Leiter gelingen jungen (und auch nicht mehr ganz so jungen) Aktiven auf den wenigen Quadratmetern der „Container“-Bühne immer wieder sehenswerte kleine Darbietungen – von der grimmigen Clown-Pantomimin bis hin zum philosophisch-musikalischen Projekt.
 
Schauspielerische Übungen gehören zum pädagogischen Angebot vieler Theater. Eine Wuppertaler Besonderheit ist es nun, daß hier die Mitglieder des Jugendclubs einstudierte oder auch improvisierte Szenen im „Container“ einem Publikum präsentieren können. Madita Kretschmer nahm seit der Spielzeit 2009/10 teil an dem wöchentlich stattfindenden Kurs, und Rösch und Höller erkannten schnell, daß sie unter den Altersgenossen eine „natürliche Autorität“ einnahm. Schon bald führte die Schülerin im „Container“ selbstgeschriebene Soloszenen auf und nannte diese bereits damals selbstbewußt „Stücke“ – was auch durchaus einleuchtete, geschlossen und ernsthaft, wie sie waren.
Nun also ein Stück im engeren, genauer: längeren Sinne, das die Autorin darüber hinaus selbst inszeniert hat. Grundsituation: Fünf junge Frauen treten mit unklarem Hintergrund zu einem Experiment an, wohnen zusammen, und unvermeidlich entfalten sich soziale Prozesse. Das Mädchen Helen, gespielt von Rahel Pavlig (Jugendclub-Kollegin Kretschmers, wie alle Darstellerinnen), geht dabei unbekümmert an das Abenteuer heran und spricht direkt zum Publikum: „Ich wollte eh in eine WG ziehen.“ Zu fünft vertreiben die einander bislang Fremden sich die Zeit, bis Bewegung um „Braini“ aufkommt, die niemand mit wahrem Namen kennt: Glaubwürdig gibt Dascha Apter eine suchende Figur, die hartnäckig von den anderen Hilfe verlangt bei ihrem Problem: „Ich weiß einfach nicht, was Liebe sein soll.“ Stark auch Ragna Gerhardts Luise, die Krankenschwester mit Understatement, die ihr darauf kategorisch entgegenhält: „Liebe ist das Elementarste auf dieser fucking earth.“ Maren Christoph als Architektentochter Loofe kommt erst später von draußen hinzu und wird zur Vertrauensperson für Grete, auf die sie sich mit sensiblen Mitteln einläßt: Ausgehend von den gemeinsamen Lektionen in Sachen Liebe zentriert sich nun das Geschehen um zu Charlotte Eben und dem Kindheitstrauma ihrer Rolle, das schließlich zum düsteren Fortgang führt.
 
Regisseurin und Darstellerinnen nutzen einfallsreich die Gegebenheiten des Containers: Es gibt mehrere Spielebenen, eine sogar außen vor der Tür, Musik und eine Kissenschlacht – und etwa wenn zwei der Spielerinnen sich entblößen, seelisch, aber auch ganz unmittelbar: Dann mag, wer dabei war, sich an manche Bühnenideen aus den Solo-Versuchen der jungen Autorin erinnert fühlen, die ebenfalls mehrere Funktionen erfüllten. Bemerkenswert auch, daß die Vorstellung Mut hat zur Langsamkeit: Ausgiebig wird gelesen und Karten gespielt, und allem Anschein nach sagen und tun die Darstellerinnen in dieser langen Anfangsszene einmal ganz ohne konkrete Textvorgabe alles Mögliche, was ihnen gerade in den Sinn kommt.
 
Für die Zuschauer kristallisiert sich die inhaltliche Richtung von „Am Ende gehst du doch…“ denn auch erst allmählich heraus. Aber auch für die Autorin selbst war das Stückthema ein „work in progress“: „Daß es um Liebe gehen sollte, war früh klar“, erzählt Madita Kretschmer, „sonst stand bis vor kurzem nur die Situation des Experiments fest.“ Man möchte sagen: So kann auch junge Kultur sich Schritt für Schritt entwickeln; und eine Klotz-Bühne plus Stühle, Rat und Tat ist vielleicht nicht viel – manchmal dafür aber doch alles, was man braucht.