Über Gemüse

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Über Gemüse
 
Ich denke manchmal bei Gemüse, das hält sich für was Besseres. Als wenn das Gemüse was dafür könnte, daß es so vitaminhaltig ist. Die Möhre weiß doch gar nicht, dass man sie essen kann. Eine Gurke wäre doch als Zierat völlig überfordert. Ein Radieschen ist doch der Erbse völlig fremd. Sagen wir es doch ganz ehrlich, wenn wir die Kartoffel nicht pürieren würden, gäbe es keinen Kartoffelpüree. Ich finde es sowieso sonderbar, dass man den Knoblauch und die Zwiebel nicht waschen muß, und daß, obwohl sie so stinken.
   Ich habe mal im Supermarkt einen Kohlrabikopf auf die Waage gelegt und trotzdem auf »Fenchel« gedrückt. Die Waage selbst hat keinen Unterschied bemerkt. Recht hat sie, heutzutage schmeckt doch alles gleich, oder? Ich könnte mir sogar vorstellen, daß der Fenchel ursprünglich nicht zum Essen gedacht war. Meine Tochter mag ihn auch heute noch nicht. Ich glaube, daß der Fenchel uns nur zu Willen ist, weil der Mensch immer etwas Neues braucht, um dann das Alte wieder für sich entdecken zu können. Ich glaube, daß der Fenchel nur zufällig anwesend war, als man sich an Möhren satt gegessen hatte, und so auch einmal zum Zug kam.
   Aber auch Gemüse hat es schwer. Daß Plastik etwas ist, durch das man nicht atmen kann, muss gerade für Gemüse ein großer Schock sein. Da hat die Natur die Tomate mit einer natürlichen Schutzhaut versehen, da kommen wir noch mit einer anderen, und die ist aus Plastik. Stellen Sie sich vor, es läge etwas auf Ihnen, durch das Sie nicht atmen können. Stellen Sie sich vor, es läge etwas auf Ihnen, was Sie einschweißt und aus dem Verkehr zieht. Luftdicht abgeschlossen, im ewigen Eis gelagert, bis ein Prinz kommt und Sie wachküßt, auftaut aus Ihrer Erstarrung und Sie dünstet und brät zum Gemüseomelett. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, wenn ich als Gemüse mehrfach eingefroren und aufgetaut worden wäre, würde ich  irgendwann nicht mehr mitzählen. Das erinnert mich an meine dauernd auftretende Flugangst, und dabei bin ich der Pilot. 
 
 
 
 
© Erwin Grosche
Veröffentlichung aus „Warmduscher-Report“ in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung