Sibelius, Prokofjew und Peter Sadlo mit Ferran Cruixents „Focs d’artifici“

Das Sinfonieorchester Wuppertal unter Georg Fritzsch bietet auch heute Abend noch einmal ein rares Programm

von Daniel Diekhans


Meister aller Rhythmen
 
Ferran Cruixents „Focs d’artifici“
mit dem Ausnahme-Schlagzeuger Peter Sadlo
im 3. Saisonkonzert des Sinfonieorchesters Wuppertal


Peter Sadlo (Schlagzeug)
Sinfonieorchester Wuppertal - Leitung Georg Fritzsch
 
Das Programm:
Jean Sibelius: „Tapiola” op. 112
Ferran Cruixent: „Focs d’artifici”
Sergej Prokofjew: Sinfonie Nr. 6 es-Moll op. 111
 
„Rhythm is it!“ – Den Worten des Dirigenten Simon Rattle würde Peter Sadlo wohl sofort zustimmen. Sein Gespür für Rhythmus machte ihn zu einem der wichtigsten Solo-Perkussionisten der zeitgenössischen Musik. Der junge Katalane Ferran Cruixent gehört zu den zahlreichen Komponisten, die ihm Stücke auf den Leib schrieben. Vor drei Jahren brachte Sadlo Cruixents „Focs d’artifici“ zur Uraufführung. Am vergangenen Sonntag stand das Werk für Schlagzeug und Orchester auf dem Programm des 3. Wuppertaler Sinfoniekonzerts. Dabei war ursprünglich Matthew Hindsons Klavierkonzert angekündigt worden. Nachdem jedoch das Solistenpaar Pascal und Ami Rogé wegen Krankheit abgesagt hatte, konnte Peter Sadlo für einen Auftritt in der Historischen Stadthalle gewonnen werden. Ein Glücksfall. Denn mit „Focs d’artifici“ brannte Sadlo – unterstützt von den Wuppertaler Sinfonikern unter Leitung des Gastdirigenten Georg Fritzsch – ein wahres musikalisches Feuerwerk ab.
 
Naturgewalten
 
Bevor jedoch das „Focs d’artifici“ die Stimmung aufhellt, geht der Weg zurück zur Natur. Diese Natur ist freilich alles andere als eine Idylle. In „Tapiola“ stellt Jean Sibelius ein letztes Mal die schroffe Landschaft seiner finnischen Heimat musikalisch nach. Das 1926 entstandene Werk bildet den Abschluß seiner sinfonischen Dichtungen und ist zugleich das letzte vollendete Werk des Komponisten. Der Titel geht auf Tapio, eine heidnische Waldgottheit zurück, auf die Sibelius bei der Lektüre des mittelalterlichen Epos „Kalevala“ stieß. So undurchdringlich die nordischen Wälder sind, so unheimlich ist die Musik. Wenn überhaupt, dringt nur fahles Licht durch das Dickicht. Nach schweren Bläserklängen erscheint das Thema in den Streichern, das durch eine Folge von Variationen geht – mal ernst und gemessen, mal von flüchtiger Heiterkeit. Schließlich steigert sich die Musik in ein Crescendo, als ob ein Gewitter aufziehen würde. Wie heulender Wind fahren die Streicher durchs Orchester, und die Pauken sorgen fürs Donnerwetter. Nach dem Sturm klingt das Moll-getönte Werk doch noch in einem erlösenden Dur-Akkord aus.
 
Klangmagie und Karnevalsstimmung
 
Schon die große Batterie an Perkussionsinstrumenten, die für Cruixents „Focs d’artifici“ vor dem Orchester aufgebaut ist, ist ein Hingucker. Doch wenn das Orchester mit gewaltigen Fanfaren einsetzt, fühlt sich der Zuschauer fast wie im Zirkus. Der Auftritt des Solisten ist denn auch dementsprechend spektakulär. In einem glänzend schwarzen Anzug betritt Peter Sadlo die Bühne. Eine kleine Trommel umgehängt, vollführt er rasend schnelle Wirbel. Rasch beugt er seinen massigen Körper über die Batterie, schlägt Trommeln, Tamburine und Becken an, während das Orchester ihm mit lang auf- und absteigenden Melodielinien Kontra gibt. Dann setzt es aus, und Sadlo macht alleine weiter, geht zu Vibraphon und Glocken über. Ein weiterer Bühnengag sorgt für erstes Gelächter: Ganz unvermutet greift Sadlo nämlich zu einem bereitliegenden Kornett und spielt eine Fanfare, als wolle er zu den Waffen rufen. Und tatsächlich greifen die Orchestermusiker zu ihren Instrumenten. Schließlich endet der erste Satz – mit dem sinnigen Titel „Fanfarra de fusta“ – in einer unbegleiteten Improvisation Sadlos, deren Schnelligkeit und Komplexität verblüfft.


© Peter Sadlo

Der langsame Mittelsatz bringt verhaltene Klänge. Subtil nutzt der Solist hier die dynamischen und klanglichen Möglichkeiten von Vibraphon, Marimba und Gongs. Nach Zirkus und Theater kommt die kürzlich eingeläutete fünfte Jahreszeit zu ihrem Recht: Der Titel des Finalsatzes, „Correfocs“, bezieht sich direkt auf den traditionellen katalanischen Straßenkarneval, in dessen Verlauf Trommler unter sprühendem Feuerwerk in den Straßen paradieren. Sadlo geht noch einmal in die Vollen, rast mit Trommelstöcken und Paukenschlegeln über Bongos, Congas und Becken hinweg, führt mit einer Trillerpfeife das Orchester an wie der Chef einer Sambaformation. Nach Bläserfanfaren, die auf den ersten Satz verweisen, spielt Klangmagier Sadlo ein letztes Mal eine freie Solokadenz, die er mit zarten Glockentönen zu einem gelungenen Abschluß bringt. Frenetischer Beifall setzt ein, in den sich herzhafte Bravi mischen. Auch die Musiker auf dem Podium sind tief beeindruckt. Arm in Arm verlassen Sadlo und Dirigent Fritzsch die Bühne. Doch damit ist Sadlos Auftritt noch nicht beendet. Noch einmal kehrt er zurück, um „Crossover“, ein Solostück für kleine Trommel aus der Feder des österreichischen Komponisten Wolfgang Reifeder, zum Besten zu geben. Marschmusik und Wiener Walzer, Schuhplattler und lateinamerikanische Rhythmen wechseln sich spielerisch ab, und der Solist hat die Lacher auf seiner Seite, wenn er nicht nur die kleine Trommel, sondern auch seinen Stuhl, das Dirigentenpodest und den Notenständer „bespielt“. Nach so einem unterhaltsamen Auftritt kann man nur hoffen, daß Peter Sadlo bald wieder einmal den Weg nach Wuppertal findet. Der Komponist Ferran Cruixent, der beim Konzert zugegen war, zeigte sich im anschließenden Gespräch mit den Musenblättern über die Aufführung glücklich und äußerte sich mehr als zufrieden.
 
Trauermusik
 
Nach der Pause wird es ernst. In einer ebenso engagierten wie kenntnisreichen Ansprache bringt Dirigent Georg Fritzsch dem Publikum Prokofjews 6. Sinfonie näher. Wie bei Sibelius’ „Tapiola“ handelt es sich um ein Spätwerk. Unheimlich war Prokofjew freilich nicht die Natur, sondern die Gesellschaft, in der er lebte – die sowjetische Gesellschaft unter Stalin. Anders nämlich als seine 5. Sinfonie, die den Sieg der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg feierte, ist die zwischen 1945 und 1947 entstandene Sechste ein Werk voller Trauer und Schmerz. Eine düstere Stimmung durchzieht bereits im ersten Satz an. Elegisch ist das Hauptthema, das in gedämpften Streichern exponiert wird. Nur widerwillig scheint die Musik in einen Marschrhythmus überzugehen. Schmerzvoll endet der Satz in zwei dissonanten Crescendi. Der Mittelsatz hat den Charakter eines Klagegesangs. Selbst der Optimismus des Finalsatzes, der in der „Heldentonart“ Es-Dur steht, verblaßt schnell. Nach einem heiteren Einstieg steigert sich das Orchester in einen schauerlichen Tanz hinein. Das Hauptthema in den Geigen wird von dröhnenden Pauken und Blech konterkariert. Ein Seitenthema erklingt in den Holzbläsern. Die zwei Themen werden anschließend ausgeführt und am Ende miteinander

© Georg Fritzsch
kombiniert. Ein klagendes Fagott greift die melancholische Obenmelodie des ersten Satzes auf. Als Störelemente erklingen erneut die dröhnenden Pauken und Bläser. Erst ganz am Schluß – nach einer Attacke der hohen Blechbläser – erklingt ein Es-Dur-Akkord, der jedoch den düsteren Gesamteindruck nicht relativieren kann. Fritzsch ist hier ganz in seinem Element, dirigiert mit eindringlichen Gesten, ballt die Faust und reckt die Arme. Eine angemessene Interpretation eines Werks, das im Gesamtschaffen Prokofjews für sich steht. Schwere Kost in jedem Fall, worauf das Wuppertaler Publikum aber mit dankbarem Applaus reagiert. Auch Georg Fritzsch nahm sich im Anschluß noch Zeit für ein Gespräch und ließ seine Freude über den Erfolg dieses auch in seiner Zusammenstellung außergewöhnlichen Konzerts erkennen.   
 
Wiederholung heute!
 
Heute, Montag, 20.00 Uhr, wird das Konzert wiederholt. Eine Einführung in das Programm des Konzerts gibt um 19.00 Uhr Prof. Dr. Lutz-Werner Hesse.
 
Weitere Informationen unter: www.sinfonieorchester-wuppertal.de  und  www.sadlo-percussion.de
 
Redaktion: Frank Becker