Liebet euch!

Aus dem Tagebuch

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Liebet euch!

27. September: Auf dem Kopf - Stell doch den Ketchup auf den Kopf/ und nütze seine Reste/ Pack die Gelegenheit beim Schopf/ und drücke sie ganz feste// Stell doch das Shampoo auf den Kopf/ und warte auf die Füllung/ die Liebe ist ein alter Zopf/ und schön ist die Verhüllung// Stell doch die Flasche auf den Kopf/ bis sich das Blut versammelt/ die Suppe brodelt schon im Topf/ drum liebet euch und rammelt
 
28. September: Der Angeber - Hören sich doch auf zu prahlen; wer eine dicke Frau zum Essen einlädt, hat schon Angst ein Vermögen zu verlieren.
 
30. September: Heiliger Hund - Komm heiliger Hund/ Lehre uns Demut/ laß uns folgsam sein und treu/ Wir wollen den Schwachen dienen/ und unser Leben dem Unsinn weihen/ Wir wollen allen/ die müde sind/ einen Platz zum Schlafen geben/ Denn dein ist die Wurst/ das Winseln/ und die Leckerlis//

1. Oktober: Psycho - Es gibt viele unglückliche Menschen in der Stadt. Arme Seelen, deren nächster Zusammenbruch in deinen Armen stattfindet. Viele warten dazu auf einen Wetterwechsel oder ein Treffen mit dir. Mein armer Schatz, was haben sie denn mit dir gemacht? Du trafst mal jemanden, der aussah, als würde er sich die Haare selbst schneiden. Er hatte das Parteiprogramm der FDP in der Hand und lief im Winter mit Sandalen herum. Der Mann sah aus, als wollte er sich jeden Moment ausziehen. Du fragtest sofort: „Sie sind doch kein Psycho?“ Du  hatte keine Lust dich rühren zu lassen von seiner herzzerreißenden Psychogeschichte. Mein armer Schatz, was haben sie denn mit dir gemacht? Du  hattest es auch schwer im Leben und bist doch normal geblieben. Du bist sogar mit einem Psycho verheiratet und Mitglied im Schützenverein, wo du jeden Augenblick damit rechnest erschossen zu werden. Du fragtest also noch mal: „Sie sind doch kein Psycho?“ Dein Gegenüber sah auf den Boden, zog sein T-Shirt, welches er auf links trug, lang und sagte: „Doch, tut mir leid. Ich habe es nicht geschafft.“ Dann fing er an zu schluchzen. Du hattest dich schon abgewendet und die Flucht ergriffen. Das schien aber niemanden zu beeindrucken.
Wir kriegen dich, Mitmensch. Auch du bist schuld an meinem Elend.    
 
 
© Erwin Grosche - für die Musenblätter 2011
Redaktion: Frank Becker