„Ach Gott! Die Kunst ist lang...“

Auf dem Kreuzweg mit Hans-Werner Gassmann

von Jürgen Kasten

Hans-Werner Gassmann - Foto © Jürgen Kasten
„Ach Gott! Die Kunst ist lang...“
 
Auf dem Kreuzweg
mit Hans-Werner Gassmann


Es ist ein leidlicher Sonntagmittag, der 3. Juli 2011. Die Glocken im Kirchturm der Beckacker Evangelischen Gemeinde in W-Langerfeld läuten den Gottesdienst aus. Erstaunlich viele Kirchgänger verlassen den Saal und sammeln sich im schön gestalteten Garten des Gotteshauses. Das „Korsett“ wird feierlich übergeben, ein 2,20 m großes Stahlkreuz, von dem Pfarrer Schimanowski sich vorstellen konnte, daß es der Witterung ausgesetzt an der Wand hängt, der Rost die Fassade herunterläuft und so die Vergänglichkeit symbolisiert.
Der Künstler hatte jedoch andere Vorstellungen. Engagiert spricht Hans-Werner Gassmann über die Entstehungsgeschichte des Kunstwerkes und die Bedeutung seiner anderen Kreuze, die weitere kirchliche Gebäude zieren, wobei sie für ihn auch immer eine gesellschaftliche Kritik beinhalten, jedenfalls mehrere Deutungsmöglichkeiten zulassen. Nicht alle seine Installationen haben Namen, wenn aber wie hier auf diesem Kirchplatz, dann wird der freien Interpretation nicht viel Raum gegeben. Die Deutung ist offensichtlich: Zunächst steht ein Holzkreuz im Hang vor der Kirche, nicht etwa einbetoniert, sondern von Stahlverstrebungen gehalten, also von der Basis her getragen. Um das Holzkreuz windet sich das eigentliche Stahlkreuz. Wie ein Korsett schnürt es das hölzerne Kreuzgerüst ein. Die linke Querstrebe weist gebogen nach unten. Flügellahm ist dieses christliche Symbol, dann das gesamte Kreuz noch gebogen. Man sieht es nur von der Seite her betrachtet. Es drängen sich Assoziationen auf: ein Mensch von der Last des

"Korsett" - Foto  Jürgen Kasten
Lebens gebeugt oder ein sich nach vorne beugender Priester, der die Menge segnet. Vieldeutig und spannend, was sich alles mit einem Kreuz ausdrücken läßt. Im Gespräch weist H. W. Gassmann zum Turm hinauf: „Den neuen Wetterhahn habe ich übrigens auch gestaltet.“
 
Spontan beschließen wir, auch alle anderen Werke des Künstlers zu besichtigen und begeben uns einige Tage später auf den Kreuzweg.
Wir beginnen auf den Südhöhen Elberfelds. Dort thront weithin sichtbar der Hauptgebäudekomplex der Universität Wuppertal. Ein helles, in sommerliches Grün eingebettetes Nebengebäude beherbergt die evangelische Studierendengemeinde (ESG). „Golgatha“, die bisher aufwendigste Installation hängt dort im großen Vortragssaal. Jedes der drei Kreuzgebilde mißt 2,20 m in der Höhe, ist 1,50 m breit und ca. 60 kg schwer. Viele Golgatha-Darstellungen wurden von unterschiedlichen Künstlern geschaffen. Dieses hier beeindruckt durch das Nichtvorhandensein von gekreuzigten Personen. Die Kreuze selber beherrschen die Szene. Allein ihre Form und die Art ihrer Oberflächenbehandlung drücken all das aus, was dargestellt werden soll: Das mittlere Kreuz symbolisiert Jesus. Die verschweißten Stahlelemente sind völlig symmetrisch gelegt, die Oberflächenstruktur glänzend, nur der doppelt belegte „Brustbereich“ ist rostig belassen (Das irdische Leben neigt sich dem Ende zu). Jesus „Kopf“ ist vom Betrachter aus leicht nach links gebeugt, weil er sich dem rechts von ihm Gekreuzigten zuwendet.
So heißt das linke Kreuz auch „Zuwendung“. Diese Zuwendung zu Jesus hin hat Gassmann optisch stark unterstützt: Asymmetrisch neigt sich das Kreuz Jesus zu. Allerdings war dieser dargestellte Gekreuzigte ein Verbrecher, der erst in der Stunde des Todes geläutert wurde. Also beginnt das Kreuz am unteren Ende rostig, wird zunehmend glänzender und in seine zuwendenden Seite sind leuchtende Steine eingefügt, erst kleine, dann in Richtung Jesus größer werdend.
Zu Jesus´ Linker (vom Betrachter aus rechts) hängt der „Abgewandte“. Laut Hans-Werner Gassmann soll mit diesem Kreuz die Doppelzüngigkeit, Verlogenheit und der Egoismus der Menschen dargestellt werden. Dieser Gekreuzigte war ein Räuber, der sich von allem abgewendet hat. Seine Seele ist bereits verloren. Der Korpus wurde deshalb rostig belassen und zusätzlich gespalten, was wiederum Assoziationen zuläßt („gespaltene Zunge“ oder „doppelte Moral“).
Der symbolische Charakter der Gesamtinstallation wird durch eine indirekte Beleuchtung noch verstärkt. Anläßlich der Vernissage am 30.03.2006 rezitierte der Schauspieler Bernd Kuschmann gemeinsam mit Hans-Werner Gassmann aus Faust I „Ach Gott! Die Kunst ist lang und kurz ist unser Leben.


Detail des Kreuzes in der Gemarker Kirche - Foto  Jürgen Kasten
 
Unser nächstes Ziel ist das „Menschenhaus“ auf den Nordhöhen Wuppertals. So nennt die Gemeinde Uellendahl ihr geistliches Zentrum. Im lichtdurchfluteten Gottesdienstraum hängt hinter einem schlichten Altar Kreuz Nr. 4 aus dem Werk des Metallbildners Hans-Werner Gassmann. Wie mit einem Leichentuch bedeckt, ist hier die Kreuzmitte doppelt mit den Metallelementen belegt. Im übrigen zeichnet es sich durch weiche Linien aus.
Eine Kaffeepause bietet Gelegenheit, den künstlerischen Lebensweg Hans-Werner Gassmanns zu erfragen. Es war wohl 1993/94, als auf Drängen der Tochter eine neue Krippe für das weihnachtliche Fest angeschafft werden mußte. Gassmann, gelernter Maschinenschlosser, studierter Ingenieur und Pädagoge griff auf ihm vertrautes Material zurück und fertigte ein Krippenensemble aus Metall, Terrakotta-Figuren und Kiesel. Das fand im Bekanntenkreis solchen Anklang, daß es als

Lichtobjekt 06 - Foto  Jürgen Kasten
Verkaufsobjekt in Serie ging. Die Lust am künstlerischen Gestalten war damit geweckt. Gassmann stöberte auf Schrottplätzen herum, um Material für weitere Projekte zu suchen. Nach verschiedenen Experimenten entstanden Objekte aus Stahlrohren und Stahl-Lichtobjekte. An das Berufskolleg in Barmen, an dem Gassmann unterrichtet, wurde ein neuer Religionslehrer berufen. Er vermißte irgendein Kreuzsymbol in den Schulräumen und kam mit Hans-Werner Gassmann ins Gespräch. Die Idee des Kreuzes war geboren. Das erste entstand unter Mithilfe von Schülern im Rahmen eines Schulprojektes und steht heute in der Gemarker Kirche im „Raum der Stille“.
Die Kirche gilt als historisch bedeutsamer Ort, wurde dort doch im Mai 1934 die „Barmer Theologische Erklärung“ verfaßt, ein „Lehr- und Glaubenszeugnis des Kirchenkampfes in der Zeit des Nationalsozialismus“. Dieses Zeugnis der „Bekennenden Kirche“ wurde von den Delegierten für alle evangelischen Kirchen Deutschlands übernommen.
 
Nächste Station unserer Wanderung ist die Kirchliche Hochschule Wuppertal. In einem Vorraum zum Audimax befindet sich die Installation „Dialog“. Damit ein solcher dort auch stattfinden kann, ist der Raum mit einer gemütlichen Sitzgruppe ausgestattet. Anläßlich einer Ausstellung mit Christusbildern wurde dieses Werk im Juni 2000 in Anwesenheit von Bundespräsident Johannes Rau vorgestellt.
Zwei Kreuze hängen sich hier korrespondierend gegenüber. Links die von Gassmann entwickelte „Standardkreuzform“, rechts ein auf einer Leine abgehängtes Kreuz, wie etwas, das abgelegt wird; etwa die Gesinnung, die Moral oder auch der Glaube. Ein Ausdrucksstarkes Motiv, das die Betrachter animiert zu sagen: „Setzen wir uns, reden wir.“


"Dialog" - Foto  Jürgen Kasten
In der christlichen Welt sind Kreuze sichtbare Zeichen des Glaubens. Der vertikale Balken symbolisiert die Beziehung zwischen Gott und Mensch, der horizontale die Verbindung der Menschen untereinander (reicht euch die Hände). In evangelischen Kirchen erinnern sie an die Kreuzigung Jesu, gelten aber auch als Symbol für Frieden und Erlösung. Hans-Werner Gassmann hat sicherlich eine gefestigte Verbindung zum Christentum und damit auch zum Kreuzsymbol, für ihn läßt sich aber mit dem Kreuz auch immer das menschliche Zusammenleben und der Zustand der Gesellschaft ausdrücken. So befinden sich in „Abgehangen“ wiederum bewußt rostige Elemente, die einige Interpretationen zulassen, jedenfalls keine „heile Welt“ darstellen, während das gegenüberliegende Kreuz mit verstärkten Elementen belegt ist, also standfest und unerschütterlich geerdet ist.
 
Insgesamt neun Kreuze hat Hans-Werner Gassmann bisher geschaffen, die alle öffentlich zugänglich sind. Der Kirchenkreis Wuppertal hat dazu ein kleines Faltblatt veröffentlicht. In Kürze wird noch ein spezieller Wanderführer erscheinen, der alle Ausstellungsräume und weitere interessante Anlaufpunkte miteinander verbindet. Die letzte Station unserer „Wanderung“ führt uns in das Atelier des Metallbildners in die Brandströmstraße. Neue Arbeiten sind dort bereits in Planung. In einem kleinen Ausstellungsraum sind Hans-Werner Gassmanns Rohrplastiken und Lichtobjekte versammelt. Auch der Malerei widmet er sich neuerdings. Entstanden ist die Idee durch die Zusammenarbeit mit dem Wuppertaler Künstler Leif Skoglöf. Gassmann verwendet als Grundelement wiederum Metall, schneidet mit dem Brenner Figuren, zum Beispiel Herzen heraus, die dann wiederum mit den Grundfarben Rot, Grün, Blau und Gelb unterlegt werden.


Lichtobjekt - Foto  Jürgen Kasten
Hans-Werner Gassmanns Kreuze dokumentieren auch seine Verbundenheit mit dem Bergischen Land, der Region, die durch ihre Schneid- und sonstige Werkzeuge weltbekannt wurde. Die benutzten Stahlelemente sind überwiegend Schmiedegrate, Abfall aus der Produktion von Zangen oder Maulschlüsseln. Die ersten Stanzreste fand er auf Schrottplätzen. Später bezog er sie direkt aus ortsansässigen Firmen, was zunächst einer großen Überredungskunst bedurfte, da die Originalelemente Aufschluß über die Herstellungsmethoden gaben und somit Firmengeheimnis waren. Doch Gassmann bearbeitet sie ja: Zunächst wird ein Modell aus Pappe hergestellt, sodann darauf die Grate gelegt, um die Form des Kreuzes zu modellieren. Anschließend wird mit dem Schweißgerät und dem Brenner gearbeitet. Die abschließende Oberflächenbehandlung wird je nach gewünschtem Ausdruck und Effekt unterschiedlich ausgeführt: teilweise wird gar nichts behandelt, dann wieder der Rost verstärkt, die Original Zunderbeschichtung belassen oder runter gebürstet. Besonders aufwendig war die Behandlung des „Korsett“, das als einziges im Freien steht und vor Witterungseinflüssen geschützt werden muß. Das Holzgerüst besteht aus heimischer Eiche. Das stählerne Korsett wurde zunächst hier glasgestrahlt und anschließend in einer holländischen Firma pulverbeschichtet und in einem speziellen Tauchbad lackiert.


Objekte - Foto  Jürgen Kasten

Hans-Werner Gassmann widmet sich darüber hinaus auch den Kreuzgebilden anderer Künstler. Dabei nähert er sich ihnen nicht nur philosophisch, sondern auch fotografisch. So entstand inzwischen ein imposanter Bildband mit Kreuzdarstellungen aus ganz Europa, der allerdings noch einen Verleger sucht.
 
Vita:
geboren bei Winterberg im März 1949
nach Lehre und Studium - Maschinenschlosser und Ingenieur
nach Studium in Pädagogik und Politik - Lehrer am Berufskolleg
seit 1990 mit Metallausbildung und als Autodidakt zur Kunst - Metallbildner
 
Ausstellungen:
1996   Metall und Licht I       Sprockhövel
1997   Metall + Licht             Wettbewerb Koblenz
1997   Metall und Licht II      Lichtbogen Wuppertal
2000   Präsentation             Erlöserkirche Wuppertal
2000   Christusbilder           Ausstellung KiHo Wuppertal
2000   Metall und Licht III     Piano Faust Wuppertal
2001   "Stadtgalerie"           Projekt der Stadt Wuppertal
2004   Metall und Licht IV    Commerzbank Wuppertal
2006   Kreuz in Licht u. Schatten     ESG Wuppertal
2007   Präsentation             City-Art-Kaden Wuppertal
2009   Präsentation             City-Art-Kaden Wuppertal
 
 
 Redaktion: Frank Becker