Der Fliegende Holländer

Eine Einführung in Richard Wagners Oper

von Peter Bilsing

© Peter Klier

Der Fliegende Holländer
 
"Nur eine Hoffnung soll mir bleiben, nur eine unerschüttert stehn:
so lang der Erde Keime treiben, so muß sie doch zugrunde gehen.
Tag des Gerichtes! Jüngster Tag! Wann brichst du an in meiner Nacht?
Wann dröhnt er, der Vernichtungsschlag, mit dem die Welt zusammenkracht?
Wann alle Toten auferstehn, dann werde ich in Nichts vergehn, in Nichts vergehn…
Ihr Welten, endet euren Lauf! Ew’ge Vernichtung, nimm mich auf!"
(Finale Holländer-Monolog - Höhepunkt im 1.Aufzug!)
 
Liebe Opernfreunde,

am kommenden Sonntag feiert wieder einmal Richard Wagners grandiose Oper "Der Fliegende Holländer" eine Premiere, diesmal in Wuppertal unter der musikalischen Leitung von Hilary Griffiths und in der Regie von Jakob Peters-Messer.
 
Um es gleich vorweg zu nehmen: dieser Artikel handelt ausnahmsweise einmal nicht (!) von Wagner als Nazi. Wir sprechen über den "Fliegenden Holländer", ein wirkliches Meisterwerk - Uraufführung: 1843. Das Werk fällt in die Kategorie der Frühwerke des großen Richard, was bedeutet: die Oper liegt deutlich unter drei Stunden! (Netto rund 150 Minuten reine Musik). Nun kann es, je nach Inszenierung, aber auch länger werden. Aufwendige Produktionen wurden schon einmal mit zwei Pausen (nach jedem Aufzug eine) gegeben. In letzter Zeit hat sich eine Pause eingebürgert; die Puristen unter den Regisseuren spielen das Stück aber durch, wenn nicht die Pächter der Gastronomie im Vorfeld dazwischenfunken. Das "Rheingold" (ähnliche Länge) wird ja auch ohne Pause gespielt.
Eigentlich ist es das Frühwerk überhaupt, denn Wagners ganz frühe Blüten (Die Hochzeit 1832, Die Feen 1833, Das Liebesverbot 1838 + Rienzi 1840) hat der Meister für Bayreuth untersagt. Und nur was in Bayreuth auch gespielt wird ist echter Wagner! So gilt es landauf, landab. Die Hitparade der 10 bedeutenden Werke führt also dieser "Fliegende Holländer" chronologisch an. Nummer zehn wäre somit "Parsifal" (1882). Wenn Sie den überleben, dürfen Sie sich mit Recht "Wagnerianer" nennen.
 
Im Gegensatz zu letzterem brauchen Sie hier wirklich keinen Kaffee und keine Aufputschmedikamente, was auch die Blase entlastet, denn das Stück ist spannend, kurzweilig und musikalisch höchst abwechslungsreich! Mittlerweile im Alter, wo das Sitzfleisch welkt, mein Lieblingswerk.
 
Den Inhalt könnte man ganz kurz reimen:
"Seit ewiglicher Rettung sucht
ein Holländer der schwer verflucht
erst Senta die Erlösung bringt
als sie für ihn ins Wasser springt"
 

Aber es geht auch länge, oder Sie schauen sich den Film "Fluch der Karibik" an, in dem hemmungslos aus Wagners Geschichte geklaut wird:
 
1. Aufzug

Ort: Norwegen, Regen. Einsame Meeresbucht, steile Felsen, wildes Sturmgetöse, Peitschende Wogen, Heulen des Sturms hörbar.
 
Dalands Schiff hat seine Anker in dieser Bucht geworfen. Der Kapitän mußte kurz vor seinem Zielort wassern und geht an Land. Die Bucht heißt Sandwike, was aber keinerlei weitere Bedeutung hat, denn wie sein Heimatort heißt, erfahren wir nicht, was eigentlich wichtiger wäre. Er klettert also auf einen Felsen (falls vorhanden) und hält Ausschau.
 
"Kein Zweifel sieben Meilen fort, trieb uns der Sturm vom sichren Port"
So singen gleichzeitig seine Matrosen und fahren fort: "Wer baut auf Wind, baut auf Satans Erbarmen!" Kapitän Daland schickt seine Seeleute in der trügerischen Hoffnung, daß die Gefahr vorbei sei, schlafen "Zur Ruhe denn, mir ist nicht bang!"
 
Einzig der Steuermann soll Wacht halten "Mit Gewitter und Sturm aus fernem Meer" träumt er von seiner Geliebten "Mein Mädel, bin Dir nah!" Refrain: "Hohojo! Hallohoho! Jollohohoho! Heho!" Wagner machte es keinem leicht, denn diese eigentliche Minirolle ist gemein hoch zu singen. Wirklich hundsgemein... Haben Sie bitte Mitleid mit dem Sänger und spendieren Sie ihm (am Ende!) viel Beifall. Das ist so ungefähr die undankbarste Nebenrolle, die man singen kann.
Bei dieser schönen Melodei schläft der Steuermann ein und kriegt demzufolge nicht mit, wie mit rasselnden Ankerketten (Wagner schreibt diese ausdrücklich im Orchester vor) ein Geisterschiff nebenan Anker wirft.
Es ist das Schiff des legendären "Fliegenden Holländers", der mit seiner Crew auf ewig verdammt ist, die Meere zu durchkreuzen und der nur alle sieben Jahre an Land gehen darf, ein Mädel zu suchen, welches ihn liebt, Treue schwört und heiratet. Dann erst, so will es der Fluch, wird er erlöst. Heute ist es mal wieder soweit. In seinem monströsen Holländer-Monolog erklärt er aber noch einmal die Geschichte mit eigenen dramatischen Worten und einem furiosen unter die Haut gehenden Orchesterglissando.
 
"Ihr Welten, endet Euren Lauf! Ew´ge Vernichtung. nimm mich auf!" Dann folgt dieser wunderbare Quarten-Quinten-Intervall des Holländermotivs; wie ein Aufschrei letzter Worte tönen die Blechbläser aus dem Orchester. Wow! Nicht nur meine Lieblingsstelle!
 
Das Getöse hat Daland geweckt, der sich darauf recht freundlich mit dem Holländer nach Besichtigung von dessen golden-diamantener Mitgift darauf einigt, ihn zum Schwiegersohn zu nehmen. Auf gut Deutsch: Er verschachert sein Tochter Senta. Ihr gilt es im >>> zweiten Aufzug.
 
2. Aufzug

Ort: großes Zimmer in Dalands Haus, eine Spinnstube. VHS-Kurs: "Spinnen auf alten Handspinngeräten". Die rund 16 Mädels, die fleißig ihre Spinnrädchen drehen, bieten ein buntes schönes Bild. An den Wänden Seemannskrempel und das riesige Ölgemälde eines großgewachsenen Hünen vor wilder See, welches ungemein dem Bild des Holländers aus dem ersten Akt ähnelt. Daher braucht der Sänger des Holländers schon eine gewisse athletische Figur, im Gegensatz zu Daland.
 
"Summ und brumm, du gutes Rädchen, munter, munter dreh dich rum!
Spinne, spinne tausend Fädchen gutes Rädchen, summ und brumm!"
 
Was war dieser Wagner doch für ein toller Librettist und Sprachbeherrscher!
 
Doch weiter: Senta ist auch unter den Spinnerinnen. Doch sie legt ihre Hände in den Schoß und erzählt bzw. singt lieber den vielen Mädels die Ballade mit der Lebensgeschichte jenes Fliegenden Holländers vor, die wir ja schon aus dem ersten Akt kennen. Solche Wiederholungen sind wagnertypische Ingredienzien, die sich in jeder Oper finden, was später auch ein Grund für die enorme Länge seiner Opern wurde. In der größten und längsten Oper aller Zeiten (nein, ich meine nicht Stockhausens "Woche aus Licht"!), sondern den "Der Ring des Nibelungen" (16 Stunden) wird im jeweils folgenden Teil der Inhalt der bisherigen Teile mindestens dreimal wiederholt, was bei dem zunehmenden Handlungsstrang dazu führt, daß allein der erste Akt der dreiaktigen "Götterdämmerung" schon zweieinhalb Stunden dauert. Aber zurück zum Holländer.
Senta also träumt von dieser unheimlichen Geistergestalt, obwohl sie einen Freund hat, mit Namen Erik. Auch wieder so eine undankbar kleine, aber teilweise sauschwere Sangespartie.
 
Forcieren wir ein wenig: Vater Daland kommt und stellt seiner Tochter ihren neuen Bräutigam vor. Und es funkt sofort. Senta verspricht Treue bis in den Tod. "Hier meine Hand! Und ohne Reu, bis in den Tod gelob ich treu!" Geld regiert bekanntlich die Welt. So schnell wechseln die Schwiegersöhne. Die ganze Geschichte soll im >>> dritten Aufzug mit einem großen Schiffbesäufnis besiegelt und gefeiert werden.
 
3. Aufzug

Ort: Seebucht mit felsigem Gestade und einer Hafenmauer. Die Schiffe Dalands und des Holländers liegen Seite an Seite vor Anker. Während das Norwegerschiff erleuchtet ist - man feiert ausgelassen - bietet das dunkle unbelebte Holländerschiff einen unheimlichen Kontrast.
Laut ertönt der Norwegerchor mit dem berühmten Lied (die absolute Nummer Eins aller Opern-Chor-Hitparaden) "Steuermann! Laß die Wacht! Steuermann her zu uns! Ho! He! Je! Ha! ...." Liest sich furchtbar, klingt aber ganz toll. Bitte nicht mitklatschen, wenn Ihnen ihre Gesundheit lieb ist, auch wenn der einfache Rhythmus (Fußaufstampfen bei 1 und 3) vielleicht dazu einlädt. Da verstehen Wagnerianer keinen Spaß!
 
Wir nähern uns dem musikalisch absoluten Höhepunkt dieser Wagner-Oper, denn langsam erwacht das Geisterschiff zum Leben und es entsteht ein choristisches Wett- und Niedersingen - quasi ein Sangesstreit zweier Chöre - das in der Operngeschichte einmalig ist. Auch das Orchester spielt immer wilder auf. Dagegen ist Webers Wolfsschlucht-Musik Kinderkram. Geradezu panikartig haben die Norweger ihr Schiff verlassen und es wird wieder ruhig. Zeit und Raum für Eriks Cavatine "Senta! Oh Senta!" mit der er den einstigen Treueschwur seiner Verlobten zitiert.
Leider hört dies der Holländer mit und fühlt sich verraten "In See, in See für ew´ge Zeiten!", was zu dem dramatischen Schluß führt, daß er zurück auf sein Schiff eilt und Senta sich, ob dieser Fehldeutung, selbstmörderisch ins Meer stürzt. "Preis´ deinen Engel und sein Gebot! Hier steh ich - treu bis zum Tod!" (Platsch!) - Ende des 3. Aufzugs.
 
Schlußbild "Happy End": Als Senta sich ins Meer stürzt, versinkt mit einem fürchterlichen Krachen das Schiff des Holländer, das Meer türmt sich hoch auf und sinkt dann in einem Wirbel zurück. - Der Holländer und Senta, beide in verklärter Gestalt, entsteigen engumschlungen dem Meer (Erlösungsmotiv).
 
Doch holla, Achtung! Nicht alle Regisseure gönnen uns diesen wunderbaren, verklärenden Schluß - Hand aufs Herz: Ist ja auch nicht leicht darzustellen. Da ist es viel einfacher, wenn sich Senta einen Gummireifen um den Hals hängt, mit Benzin übergießt und anzündet (Wiener Staatsoper). Auch gab es Aufführung, wo Senta in Blutrausch verfällt und erst Erik, dann ihren Vater und am Ende sich selbst erschießt. Freuen Sie sich nicht auf Schiffe, die hab ich in den letzten fünf Jahren bei keiner Produktion mehr gesehen. Gleiches gilt für das Meer. Einst in Bonn ertränkte sich Senta, wie Weiland Barschel, sogar in der Badewanne.
 
Egal wie es wird in Wuppertal - Viel Spaß! Das ist eine phantastische Oper.
 
P.S.:
Es gibt für mich nur eine ultimative Referenzaufnahme: DECCA - Covent Garden: Antal Dorati (Dirigent), George London (Holländer), Leonie Rysanek (Senta)... mit echten klirrenden Ketten. Zur Zeit für 12,- € bei Amazon.

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Redaktion: Frank Becker