Heinrich Heine Gymnasium

von Horst Wolf Müller
Heinrich Heine Gymnasium
 
In der U-Bahn sitzen ein paar Schüler mit Baseball-Mützen, das Schild teils nach vorn teils nach hinten gedreht. Einer der Schüler, die Schuhe auf den gegenüberliegenden Sitz gelegt, erzählt von einer Klassenfahrt nach Dachau.
„Unser Lehrer wollte, daß ich in dem Museum die Mütze abnehme. Hab ich nicht gemacht. Ich nehm doch vor den Schaufenstern da die Mütze nicht ab. Wie kommt der Mann mir denn vor. Erzählt mir das was von Gedenkstätte, daß das die deutsche Schande darstellt und und und. Wer bin ich denn, daß ich überall die Mütze abnehme. Ich hab doch niemanden vergast, oder? Ist doch nicht mein Problem, wenn die nach 50 Jahren da immer noch nicht klar kommen. Könnten’s ja langsam mal bewältigt haben. Wir bewältigen unsere Probleme ja auch, oder? Überhaupt, dem sein ganzer Geschichtsunterricht, da schalt ich schon lange ab. Immer hör ich bloß, die häßlichen Deutschen. Die alles versaun. Also echt. Wenn das Geschichte ist, dann pfeif ich auf Geschichte. Die Deutschen, die tun doch nix. Die beißen doch nicht. (Gelächter) Schaun Sie sich mal um in der Welt, Herr Meichnser, sag ich zu dem, wer da rumsaut. Alle saun mehr rum als wir. Wir verkaufen höchstens ein paar Panzerfäuste. Na und? Können wir was daran machen, wenn alle die haben wollen. Wenn die sich alle gegenseitig massakrieren wollen? Können wir die daran hindern? Da kann der Mann nix drauf sagen. Geschichte, das ist der letzte Dreck.“
Die U-Bahn hält am Heinrich Heine Gymnasium, die Schüler verschwinden wie ein Spuk.
Vielleicht sollten Schulen keine verpflichtenden Namen tragen. Vielleicht sollten sie nach Totem-Tieren benannt werden oder nach Gesteinsarten. Dann wären die moralischen Erwartungen nicht so hochgespannt.
Ich schaue die Mitfahrenden in der U-Bahn an. Niemand schient durch den schwadronierenden Schüler aus seiner Ruhe aufgestört worden zu sein. Auch wird die U-Bahn gleich den Untergrund verlassen, und man wird den Frühlingssonnenschein genießen, den man so lange entbehrt hat.
 
 
 
 
© 2011 Horst Wolf Müller – Erstveröffentlichung in den Musenblättern