Jacken-Gewohnheiten

von Hanns Dieter Hüsch

© André Poloczek - Archiv Musenblätter
Jacken-Gewohnheiten

Übrigens, ich hätte neulich beinahe wieder mal mein Portemonnaie, also nicht nur mein Portemonnaie, sondern auch alles, was da so drin ist, Personalausweis, Seniorenpaß für die Bundesbahn, Briefmarken und so weiter, beinahe verloren. Ich greife in meine Jackentasche, in meine rechte innere Jackentasche, da habe ich immer mein Portemonnaie, bei mir hat ja alles seinen Platz, ich greife also in die rechte innere Jackentasche und greife ins Leere. Jeder kennt diesen Moment, diesen absolut tödlichen Augenblick, wenn man so ins Leere greift, wo sonst schon seit Jahrzehnten das Portemonnaie steckt. Manche nehmen extra kein Portemonnaie mit, dann können Sie auch nichts ausgeben, beziehungsweise sie lassen sich einladen. Meistens Millionäre, die kann man daran erkennen, daß deren Jacken immer ganz flach und schmal sind, da zeichnet sich nichts ab, nicht so wie bei den Detektiven. Bei denen sieht man unter der Jacke meist das Pistolenhalfter, das wissen Sie sicher auch von den Krimis und bei mir auch. Da ist die Jacke regelrecht gewölbt, so daß ich oft den Mantel nicht zukriegen kann, weil eben das Portemonnaie in der rechten inneren Jackentasche steckt oder steckte. Denn neulich hatte ich tatsächlich wieder mal so einen absolut tödlichen Moment, wo man so ins Leere greift, meistens montags morgens, weil man dann meistens die Jacke wechselt. Dann muß man natürlich den ganzen dringenden Utensilienkram von einer Jacke in die andere tun, also das macht mich oft wahnsinnig, obwohl, wie gesagt, alles bei mir seinen Platz hat. Oder man geht abends noch mal aus und wirft sich rasch, das Wort stimmt übrigens haargenau, wirft sich rasch in eine andere feinere Jacke, schnell, schnell, schnell, weil meine Gute schon sagt:  »Jetzt bin ich wieder mal eher fertig«, also schnell in die andere feinere Jacke. Ich habe so eine, die habe ich mal in Graz gekauft, aber das interessiert sicher keinen, also gut: Wir gehen los in ein sogenanntes Nobelrestaurant, in dem keine Speisekarten aufliegen, sondern der Chef höchstpersönlich alle Speisen auswendig am Tisch heruntersingt, und beim Bezahlen greife ich in meine rechte innere Jackentasche ... da! Ach, ist das peinlich! Und alles wegen der anderen Jacke, und der Schlüsselbund fehlt auch, und mein Notizbuch und meine Tabletten und mein Brillenreinigungstuch fehlen auch, ist das ärgerlich! Und deshalb ziehe ich am liebsten wochenlang immer nur ein und dieselbe Jacke an, da weiß ich wenigstens, wo ich dran und drin bin, bis meine Frau mich so komisch anguckt, dann ziehe ich natürlich die Jacke sofort aus, und die Geschichte fängt von vorne an. 




© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Es kommt immer was dazwischen" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung