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Die Kolumne am Mittwoch

von Friederike Zelesko
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Die Kolumne am Mittwoch
von  Friederike Zelesko




"Jede Geschichte, die wir über uns erzählen, kann nur in der Vergangenheit erzählt werden. Sie spult sich von dort, wo wir heute stehen, nach rückwärts ab, und wir sind nicht mehr ihre Akteure sondern ihre Zuschauer, die sich entschieden haben zu sprechen."
 (Siri Hustvedt, Was ich liebte 2003)
 
 
Wiederholt stand ich auf der Wiese, sah meinen Vater die Sense schwingen, eine Arbeit, bei der die  Muskeln seiner Oberarme unter dem Stoff des Hemdes spielten. Ich spielte mit den abgeschnittenen Köpfen der Gänseblümchen, legte sie nebeneinander in Vierecken auf die geschorene Wiese wie kleine Gräber. Die Gräber hörten das Gras wachsen. Ich hörte die Sense zischen, hörte, wie mein Vater den Wetzstein an der Schneide des Sensenblattes singen ließ, sah den entblößten Glanz.
Weit ausholend war das Zischen, und in der Schärfe des Glanzes fielen sie. Die Grashalme, die vielen Blüten, die sich bereits für das Morgen geöffnet hatten.
            War die Luft feucht, die Sonne hinter den Wolken, trocknete das Gras zäh und wurde zu Heu das nicht knisterte, nicht roch. Doch auf das Knistern kam es an, auf den Geruch. Wenn es heiß war und die Luft zwischen trocken und feucht und der Wind bissig, hielt sich das Heu, moderte nicht. Ein warmer, bissiger Wind bräunte das Gras, spannte es. Wer Heu erntete, bewegte sich, streckte die Arme in Übereinstimmung mit dem Rechenstiel, leistete Beinarbeit, Hebearbeit, holte ein und aus. Im Wort Heuernte steckt heuern, die Heuer, steckt Arbeit und Lohn.
            Die Erinnerung an meinen Vater war mit einem Geruch verbunden. Mein Vater roch fast immer nach Schweiß, obwohl ich ihn eigentlich nur im Sommer richtig schwitzen sah. Die Furchen der Falten auf seiner Stirn waren dann überflutet und das Gestrüpp seiner Augenbrauen war nur für kurze Zeit ein Damm. Dann floß das salzige Wasser in seine Augen. Wenn wir bei der Feldarbeit waren und an seinen Händen Erde hing, bat er mich oft, sein Sacktuch aus der Zwillichhose zu ziehen, ihm den Schweiß auf der Stirn abzuwischen. Ich bemerkte erstaunt, wie beweglich die Kopfhaut meine Vaters war und wie tief seine Augen in den Höhlen lagen. Seine Augenlider sah man nur, wenn er die Augen schloß. Sie waren glatt und zart, spannten sich über die Augen und sahen dann aus wie zwei goldene Mirabellen.
             Am Sonntag, nach dem Mittagessen, bei schönem Wetter, legte sich mein Vater draußen vor dem Haus unter den Apfelbaum ins Gras. Ich legte mich oft still neben ihn und sah ihn an. Er wußte das und lachte. Manchmal tat er nur so als schliefe er und schnappte plötzlich nach mir. Dann war es mit seiner Sonntagsruhe vorbei. Wir lachten beide und er rückte beiseite, um für mich Platz zu machen, so als wäre sein Wiesenbett viel zu schmal für zwei übermütige Leiber.



© Friederike Zelesko