Versatzstücke der Jungbauernschaft

Christian Lorenz Müller - "Wilde Jagd"

von Helmuth Schönauer
Wilde Jagd
 
Jeder Beruf bringt Schattierungen der Einsamkeit mit sich, denn arbeiten heißt oft auch mit sich alleine in der Berufswelt herumirren. Dennoch gibt es aber diese romantische Einsamkeit in der Arbeitswelt, wie wir sie in den Cockpits der Lokomotiven, unter dem Headset des Callcenters oder am Bauernhof in Randlage vorfinden.
 
Im Roman „Wilde Jagd“ vegetiert der verstockte junge Mann Emmeran auf einem Bauernhof herum, am liebsten wütet er im Wald mit seiner Motorsäge, in seiner Freizeit verkriecht er sich in seine Schnitzwerkstadt und bastelt an einer mechanischen Umzugs-Installation, die er „Wilde Jagd“ nennt.
 
Am Bauernhof wird die wortkarge Idylle höchstens von Unfällen unterbrochen, Traktoren kugeln der Reihe nach um, Bäume fallen gerade noch neben den Holzfällern zu Boden und gleich zu Beginn rennt der Neffe Johannes in die Motorsäge von Emmeran. Das ohnehin wortlose Zusammenleben der Anwohner ist nachhaltig gestört. Das Opfer des Kettensägen-Massakers überlebt den Unfall traumatisiert und stumm, seine Eltern machen dem Übeltäter unausgesprochene Vorwürfe, der Verursacher frißt alles in sich hinein.
 
Das Leben geht für alle vordergründig idyllisiert und hintergründig brachial animalisch seinen Weg. Die Akteure treten wie in einem naturalistische Zimmerstück gegeneinander auf und verkriechen sich gleich wieder. Am Schluß wird es für Emmeran Zeit, den Hof zu verlassen, offensichtlich ist er der Vater eines unterschobenen Kindes.
 
Christian Lorenz Müller erzählt beinahe romantisch von den Verworrenheiten am Rande der Gesellschaft. Die agrarische Welt ist dabei eine grob geschnitzte Kulisse für Dreiecksgeschichten, Unglücke und sexuelle Meta-Stories. Dabei geht es recht ungenau zu. Die Leute haben einen PC, aber nur, um diverse Sachen über e-bay zu verscherbeln. Obwohl ständig die einen Tiere muhen und die anderen Eier legen, gibt es keine politische Aussage zu diesem Playmobil-Stall, offensichtlich durchsubventioniert von der EU. Das Glück findet wie in alten Gedichten in der Kreisstadt statt, wo die Nuttenpreise noch in Mark angegeben werden und wo man sich als Inbegriff höchsten Konsums einen Hut kauft.
 
Natürlich heißt die Hauptakteurin Burgl, in ihrem Treiben wird sie agrarisch-lüstern unterstützt von Frauen wie Zopfenliesl. Alles spielt sich in einer Abferkelbox der Gefühle ab, wer etwas zu sagen hat, schnitzt es und stellt es dann zur Schau.
 
„Jedes Jahr erzählte Burgl noch Tage nach der Vorführung der Wilden Jagd, jedes Jahr bat sie Emmeran, auch einmal etwas anderes, Schöneres zu machen, Krippenfiguren vielleicht oder ein Wegkreuz.“ (55)
 
Ja so stellt sich der ausstiegsbereite Städter vielleicht das Landleben vor, unpolitisch, putzig defekt, aus Versatzstücken der Jungbauernschaft zusammengeklebt. Aber so funktionieren heutzutage nicht einmal mehr Bauernromane, geschweige denn das Bauernleben selbst.
 
 
Christian Lorenz Müller: Wilde Jagd. Roman.
© 2010 Hoffmann und Campe Hamburg - 254 Seiten. EUR 20,-. ISBN 978-3-455-40289-6.
 
Christian Lorenz Müller, geb. 1972 in Rosenheim, lebt in Salzburg.

Weitere Informationen unter:
  www.hoca.de



Veröffentlichung in Zusammenarbeit mit der in Bozen erscheinenden Zeitschrift "kulturelemente"