Eine Kindheit in Berlin (7)

Freunschaften in Friedenau, Rudern am Stölpchensee

von E.G.

Foto © Archiv Musenblätter
Eine Kindheit in Berlin
(7)

Mit meinen Erinnerungen bin ich nun wieder zu Hause, in Friedenau. Wir wohnten dort in der Menzelstraße, eine schöne, mit Linden bepflanzte Straße, wie es in dieser Gegend üblich war, mit großen, schönen Mietshäusern mit Vorgärten, eine ganz ruhige Wohngegend. Zu jener Zeit gab es ja noch keine Autos und wir Kinder konnten, wenn wir Lust dazu hatten, gefahrlos auf der Straße „Hopse“ oder ähnliches spielen. Dabei fanden sich viele Kinder aus der Straße zusammen und ich erinnere mich, daß es unter diesen ein Mädchen gab, das wir, ein paar mit mir näher befreundete Mädchen und ich, nicht leiden konnten und dann während des Spiels auch mal ärgerten oder schubsten. Als wir das wieder mal getan hatten, kam gerade ein Schutzmann die Straße entlang (damals hatten sie eine blaue Uniform an und eine Pickelhaube auf, eine richtige Respektsperson!). Ach, bekamen wir Angst, weil wir dachten, er hätte gesehen, wie gemein wir gewesen waren und er würde uns nun verhaften! Da kann man sehen, was wir für einen Respekt hatten, ich fühle heute noch, wie mein Herz vor Angst schlug.
Ich erzählte ja schon, daß wir des öfteren zu Besuch in Lichterfelde bei Tante Lieschen und Onkel Karl waren. Dort hatte ich mich mit einem Mädchen meines Alters angefreundet und wir spielten viel zusammen, turnten am Eisengitter, das den Kellereingang umgab usw.. Diese „Freundin“ muß mich einmal wahnsinnig geärgert haben, ich weiß nicht mehr, womit. Aber ich erinnere mich, daß ich ihr wutentbrannt entgegenschleuderte: „Vergiß nicht, aus Liebe kann auch Haß werden!“ Damals war ich vielleicht 10 Jahre alt.

Freundschaften


In der Schule schloß ich die verschiedensten Freundschaften, die jedoch alle nicht von sehr langer Dauer waren. Bis wir eine neue Mitschülerin bekamen, deren Großmutter in unserem Haus in der Menzelstraße wohnte und bei der sie sehr viel zu Besuch war und auch oft dort schlief. Dann gingen wir immer gemeinsam morgens zur Schule und waren auch jeden Nachmittag zusammen, denn nachmittags war sie meist bei ihrer Oma, die dort mit ihrer Tochter Marthel, der Zwillingsschwester der Mutter meiner neuen Freundin Margot, wohnte. Margots Mutti, die bald meine „Tante Liesel“ war (und meine Mutti war Margots „Tante Lucie“), kam nämlich auch fast jeden Nachmittag dorthin und, wenn sie und Margot dann abends nach Hause gingen, kamen sie auf dem Weg vom Garten zum Vorderhaus ja an unserem Häuschen vorbei und machten es sich zur Gewohnheit, bei uns zu klingeln. Dann saßen wir vier noch gemütlich zusammen, erzählten und Mutti versäumte nie, ein Gläschen Portwein oder Sherry anzubieten und was Leckeres zum Knabbern. Ich glaube, die beiden,

Freundinnen 1 - Foto © Archiv Musenblätter
besonders Tante Liesel, genossen das sehr. Sie war ja nicht besonders verwöhnt. Ihr Mann, Margots Vati, war Koch in einem großen Berliner Restaurant. Köche verdienten damals sehr wenig Geld, darum lebte die Familie in äußerst bescheidenen Verhältnissen. Ihre Wohnung (für drei Personen) war noch um einiges bescheidener als unsere. Es gab keinen Flur, man betrat sofort die kleine Küche, und von dieser kam man in das einzige Zimmer, das für die Familie Wohn- und Schlafzimmer war. Die Toilette war eine halbe Etage tiefer und wurde von mehreren Mietern genutzt. Die Wohnung lag im Hinterhaus einer Mietskaserne in Schöneberg, es war wirklich das einfachste Wohnen, das ich kennengelernt habe. Das erklärt natürlich, warum Liesel und Margot so oft in der Menzelstraße waren. Die Wohnung von „Omchen Memel“ hatte 2 Zimmer, 1 Balkon und ein Bad, das war wirklich ein Unterschied. Sie lag zwar im Garten- aber nicht im Hinterhaus. Das war wirklich ein großer Unterschied in Berlin!

Margot und Inge

Jedenfalls wurden Margot und ich enge Freundinnen, da wir später fast unsere gesamte Freizeit zusammen verbrachten. Sehr gern gingen wir auch gemeinsam in die Sonntagsnachmittags- Kinovorstellung für 50 Pfennige. Für Margot war es schwer, dies Geld von ihren Eltern zu bekommen und ich erinnere mich, daß ihr mein Onkel Emil, ein Kusin meiner Mutti, der fast jedes Wochenende bei uns war, oft das Geld dafür spendierte. Meist durften ihre Eltern gar nicht wissen, daß wir im Kino waren und sie gab vor, auf den Friedhof zu gehen, auf dem eine Schwester ihrer Mutti, die sehr jung verstorben war, ihr Grab hatte. Wir aber genossen unsere Kinobesuche. Der Genuß wurde nur manchmal geschmälert, wenn Tante Roni plötzlich mit der kleinen Inge, meiner 8 Jahre jüngeren Kusine, zu Besuch kam und wir die „Heulsuse“ - das war sie nämlich damals für uns- mit ins Kino nehmen mußten.
Ja, sie heulte damals sehr viel - damit erreicht man ja als keines Kind einiges und das hatte sie natürlich längst heraus! Und sie war 8 Jahre jünger, eine Beleidigung für eine 12-13-Jährige, mit so einem „Baby“ ins Kino gehen zu müssen! Als Inge wirklich noch ein Baby war, habe ich sie heiß geliebt, erinnere mich jedoch, daß sie auch als Baby schon ihr „Böckchen“ hatte und ich damals immer dachte, wenn Du erst einmal groß bist, dann erzähle ich Dir, wie Du mich als Baby geärgert hast. Na, das ist so lange her -- dazwischen liegt ein ganzes Leben und dies ließ uns mit allen Höhen und Tiefen , die wir durchlaufen haben, zusammenwachsen, so daß wir uns heute eigentlich wie Geschwister fühlen und wirkliche Freundinnen wurden. Die Freundschaft mit meiner Freundin Margot hielt bis heute.
 
Sport und Schule

Mit der Einschulung in die „Fontane-Schule“, machte mir der Schulbesuch noch mehr Freude als vorher. Ich war ja von Anfang an gern zur Schule gegangen, das Lernen fiel mir nicht schwer, sondern war mir eine Freude. Am Lyceum wurden wir nun noch mehr gefordert, etwas, was ich wohl brauchte. Als erste Fremdsprache lernten wir Französisch, zwei Jahre später kam dann Englisch hinzu und

Freundinnen 2 - Foto © Archiv Musenblätter
freiwillig konnte man auch noch Spanisch-Unterricht nehmen, was ich mit Begeisterung tat. Wir hatten als ersten Klassenlehrer einen älteren Herrn, unseren „Papa“ Görsch, wie ihn alle nannten. Ich habe ja schon vorher von ihm erzählt.
Eine sehr große Rolle spielte an unserer Schule auch der Sport, diese Schule war in dieser Hinsicht bestimmt ihrer Zeit voraus. Dazu kam, daß auf unserem Schulgelände eine moderne Turnhalle neu errichtet wurde, die für die damalige Zeit richtungweisend war. Selbstverständlich gab es an der Schule auch einen Turnverein, dem man beitreten konnte, und es war für mich ebenso selbstverständlich, da einzutreten. Ein Nachmittag in der Woche gehörte jetzt dem Turnverein. Der Turnabend fand in unserer eigenen Schulturnhalle statt. Ich kann eigentlich gar nicht richtig zum Ausdruck bringen, mit welcher Begeisterung ich all diese Dinge tat. Später, ab Untertertia, konnten wir, wenn wir Lust dazu hatten, der Ruderriege beitreten. Natürlich trat ich bei. Ich habe ja auch davon schon erzählt. Zum Rudern fuhren wir hinaus an den Stölpchensee, wo unser Bootshaus war. Mit dem Turnverein machten wir Wanderfahrten und mit der Ruderriege im letzten Schuljahr eine große Tour in ein Schullandheim, wo sich dann die ganze Klasse traf. Es machte mir besondere Freude, als ich in der Ruderriege zu 1. Vorsitzenden gewählt wurde und als solche u.a. die Aufgabe hatte, bei Versammlungen die Anwesenden (unseren Protektor und Schuldirektor u.a.) zu begrüßen.
Und ich glaube, meine Mutti war sehr froh über meine derartigen Aktivitäten, wußte sie mich dabei doch gut untergebracht, wenn es auch immer etwas kostete! Wir schwammen ja nicht gerade im Geld, aber dafür hat sie es bestimmt immer gern geopfert.


Freundinnen 3, im Ruderverein am Stölpchensee - Foto © Archiv Musenblätter
 
Lesen Sie nächsten Sonntag hier die letzte Folge dieser Berliner Kindheit.

Redaktion: Frank Becker - © 2011 Musenblätter