Aus der Franzosenzeit

Hans Müller-Schlösser - "Schneider Wibbel"

von Robert Sernatini
Wat bin ich eine schöne Leich´!

Es
war beileibe keine heitere Epoche der deutschen Geschichte, als das Rheinland und das Bergische 1804-1815 von den Franzosen unter Napoleon I. besetzt waren. Der Schriftsteller und Dramatiker Hans Müller-Schlösser (1884-1956) hat rund 100 Jahre danach mit seinem Theaterstück "Schneider Wibbel" diese Zeit tragikomisch aufgearbeitet. Das 1913 im Düsseldorfer Schauspielhaus uraufgeführte Stück um den schlitzohrigen Schneidermeister, das nach dem deutschen Triumph über Frankreich 1870/71 und vor der vernichtenden Niederlage 1918 und dem schmählichen Diktat von Compiegne in eine Zeit des wilhelminischen Glanzes fiel, hatte unerhörten Erfolg auf der Bühne und eine Romanfassung zur Folge, von deren andauerndem Absatz jeder Verleger nur träumen kann. Der "Schneider Wibbel" wurde zum ewigen Düsseldorfer Volksgut. Der Aschermittwoch scheint mir der passende Tag für eine kleine Besprechung zu sein.

Weil sich der Schneider Wibbel im Altbier-Rausch mal ordentlich Luft gemacht, die Franzosen als Wanzenvolk bezeichnet und auf den Kaiser gepfiffen hat ("Ich flöt auf den ganzen Amprör!"), wird er vor Gericht gestellt und mit vier Wochen Haft bestraft. Die möchte er aber nicht absitzen und schickt an seiner Stelle seinen gutmütigen Gesellen Peter Zimpel ins Kaschott, damit er an seiner Stelle die Strafe, bei fortgezahltem Gehalt versteht sich, absitze, während Wibbel sich versteckt hält. Als aber Zimpel in der Haft stirbt, wird die Sache problematisch. Denn eigentlich und amtlich ist ja nun Wibbel tot. Nach der feierlichen Beerdigung - wer hat schon die Gelegenheit, beim eigenen Leichenbegängnis heimlich zuzuschauen - muß eine dauerhafte Lösung gefunden werden. Wibbel erfindet seinen eigenen Zwillingsbruder Jean-Baptiste (Schangbaptist), tritt als dieser auf und heiratet nach geziemender Zeit seine eigene Witwe. Das alle kann natürlich auf die Dauer nicht gut gehen - aber Hans Müller-Schlösser gibt dem Roman den einen oder anderen pfiffigen Dreh, bis es dann doch zum guten Ende kommt und sogar die Franzosen abgerückt sind.

Der im Grunde leichte, elegante Humor der Düsseldorfer, der aber durchaus auch schon mal so deftig ausfallen kann wie der berühmte Senf, der heitere Singsang der Mundart und die positive Lebensart des (nieder-) rheinischen
Menschenschlages finden sich in Müller-Schlössers Theaterstück und Roman wunderbar abgebildet. Nicht ohne Grund wurde das Stück in Düsseldorf mehr als 1.000 mal mit Paul Henckels (1885-1967) in der Titelrolle aufgeführt, der als Botschafter des Düsseldorfer Humors ja auch Heinrich Spoerls "Die Feuerzangenbowle" in der Rolle des Prof. Bömmel unsterblich machte. Mehrfach, u.a. ebenfalls mit Paul Henckels, aber auch mit Erich Ponto, Heinz Rühmann und Willy Millowitsch wurde der "Schneider Wibbel" verfilmt - und als Buch und auf der Bühne ist er bis heute Erfolgsgarant.

Beispielbild

Hans Müller-Schlösser
Schneider Wibbel

Eine volkstümliche Erzählung aus dem alten Düsseldorf

© 1938/2007 Droste Verlag
356 Seiten, gebunden, mit Lesebändchen
13,95 €, ISBN 3-7700-1276-3
 
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