Englisches Barock und Wuppertaler Gegenwart

„Der Drache vom Dönberg“ (The Dragon of Wantley)

von Daniel Diekhans

Foto © Frank Becker
Ritter, Diven und ein „Superdrache“
 
„Der Drache vom Dönberg“
(The Dragon of Wantley)
Oper von John Frederick Lampe
Textfassung von Johannes Blum nach dem Libretto von Henry Carey
 
Musikalische Leitung: Boris Brinkmann - Inszenierung: Iwona Jera - Ausstattung: Dorien Thomsen - Video: René Jeuckens und Grischa Windus
Besetzung: König (Miljan Milović) - Prinzessin (Annika Boos) - Hofdame (Miriam Scholz) – Ritter (Christian Sturm) – Drache (Thomas Schobert) - Der Spezialist / Video (Hans Richter)
Tanzstatisterie; Sinfonieorchester Wuppertal - Photos: Sonja Rothweiler
 

Englisches Barock und Wuppertaler Gegenwart
 
Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist es oft ein kleiner Schritt. Der Komponist John Frederick Lampe wagte diesen Schritt und hatte damit großen Erfolg: 1737 zog er mit „The Dragon of Wantley“ die ernsten Opern seines Zeitgenossen Händel genüßlich durch den Kakao. 2010 grub Johannes Blum, Dramaturg der Wuppertaler Bühnen, Lampes Oper wieder aus und bearbeitete sie zusammen mit Dirigent Boris Brinkmann und Regisseurin Iwona Jera. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit ist „Der Drache vom Dönberg“, der am vergangenen Freitag Premiere in Wuppertal feierte. Er kann sich sehen lassen – gerade weil die drei Bearbeiter sich alle möglichen Freiheiten genommen und die Barockoper in die Gegenwart der bergischen Metropole versetzt haben.
 
Tänzerische Leichtigkeit
 
Alles Mögliche findet auch auf der kleinen Bühne des Schauspielhauses Platz: Ein Barockorchester mit Dirigent am Cembalo, vier HipHop-Tänzer und fünf Opernsänger. Eine Videoleinwand mit Schwarz-Weiß-Bildern von Wuppertal, Kiosk und Bushaltestelle als Kulissen. Aber paßt das alles denn zusammen? Und ob! Die „wilde Mischung“ überzeugt von Anfang an: Wenn der Dirigent den Einsatz gibt und die HipHopper im treibenden Rhythmus der Ouvertüre über die Bühne fegen, scheint es, als sei die alte Musik den jungen Tänzern auf den Leib geschrieben, als hätte sie über 250 Jahre nur auf diesen Einsatz gewartet.
Mit gutem Grund wird Iwona Jera im Programmheft als Choreographin genannt. Sie treibt nicht nur die Tänzer zu Höchstleistungen an. Auch die Sänger setzen den tänzerischen Gestus der Musik konsequent in Bewegung um. Ob Arie, Duett oder Terzett – singend tanzen sie und drehen sich und springen. Wenn gar die Prinzessin singend mit einem Kinderroller Pirouetten dreht, so ist dies im doppelten Sinne eine Bravurarie.
 
Es wird alles, alles gut
 
Die Leichtigkeit und Frische der so überaus beweglichen Tänzer und Sänger trägt die Handlung des

Wilder Drache - Thomas Schobert, Christian Sturm (v.l.) Foto © Sonja Rothweiler
„Drachen vom Dönberg“, die – wie schon im englischen Original – eher dünn ist. Zu Beginn bittet Prinzessin Margareta den Ritter Milek um Hilfe gegen den gefräßigen Drachen, der schon „das ganze Tal verwüstet hat“. (Die Namen spielen auf das polnische Drachenmärchen „Smok Wawelski“ an – und auf die ursprüngliche Heimat der Regisseurin.) Es folgt nun aber nicht der Kampf mit dem Ungetüm, sondern der Kampf zwischen Prinzessin und Hofdame Malgorzata um den Ritter. Erst kurz vor Schluß kommt es zum Showdown. Der „Superdrache“ unterliegt kläglich und nun steht dem Liebesduett von Milek und Margareta nichts mehr im Wege. Alle stimmen fröhlich mit ein – sogar der Drache.
 
Überzeugende Umsetzung
 
Die Story des „Drachen vom Dönberg“ kommt als Leichtgewicht daher, entscheidend aber ist ihre Umsetzung in Sprache, Spiel und Gesang. Die Dreiecksgeschichte sorgt für herrliche Szenen wie die Rachearie der Malgorzata und ein Eifersuchtsduett der beiden Diven, das in einer Messerattacke à la Hitchcocks „Psycho“ endet. Für großes Gelächter sorgt besonders der Text von Johannes Blum, der den komischen Kontrast zwischen stilisierter Verssprache und Straßendeutsch ausspielt: „Er bleibt bei mir, sonst schlag ich zu […] Schlampe!“ Annika Boos (Prinzessin) und Miriam Scholz (Hofdame) zeigen gerade hier nicht nur beachtliches stimmliches, sondern auch schauspielerisches Talent.

Psycho - Annika Boos, Miriam Scholz Christian Sturm - Foto © Sonja Rothweiler
Christian Sturm gibt gekonnt den liebestollen Drachentöter wider Willen und meistert seine Partie – wenn auch der erste Stimmeinsatz etwas danebengeht. Die bescheidene Partie des Königs übernimmt Miljan Milović, dessen Artikulation des Textes manchmal Wünsche offenlässt (schade um den Text!). Schließlich Thomas Schobert, der der Titelfigur ganz zum Schluß seinen volltönenden Baß leiht. Damit seine schauspielerischen Fähigkeiten aber nicht ungenutzt bleiben, ist er als stumme Figur von Anfang an präsent – die elektronische Anzeigetafel kündigt ihn an als „Einer von vielen“.
 
„Einer von vielen“? Einer von vielen, die vor dem Drachen fliehen? Einer von vielen gefräßigen „Drachen“, die wie auf der Bühne den harmlosen Jedermann mimen, tatsächlich aber die Zukunft der Stadt Wuppertal gefährden? „Der Drache vom Dönberg“ beantwortet solche Fragen nicht. Er begnügt sich damit, den vermeintlich gefährlichen Drachen der Lächerlichkeit preiszugeben und dadurch unschädlich zu machen. Spielerisch, unernst und leichtfüßig wie er ist, taugt er nicht zur politischen Satire. Freilich – man vergesse nicht die schwarz-weißen Bilder auf der Videoleinwand. Bühnenveteran Hans Richter agiert hier in der Rolle eines närrischen „Spezialisten“. Drachendarsteller Thomas Schobert ist mit von der Partie – und der Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal. Einer, von dem man Antworten zur Zukunft verlangen könnte. Nicht zuletzt Antworten zur Zukunft des Schauspielhauses, dem Aufführungsort des „Drachen vom Dönberg“. So zeigt sich wenigstens an dieser Stelle, wie ernst es dieser bezaubernden Kammeroper ist.

Weitere Informationen unter: www.wuppertaler-buehnen.de
 
Redaktion: Frank Becker