Medea und Jason in der Migrationsfalle

Wuppertal: Franz Grillparzers "Das goldene Vlies" in einer Neubearbeitung

von Andreas Rehnolt

Foto © Uwe Stratmann
Medea und Jason in
der Migrationsfalle
 
Jenke Nordalm inszeniert in Wuppertal
"Das goldene Vlies"
mit Schauspielern des Ensembles und
Mitgliedern des türkischen
Theaters Elele Tiyatrosu
 

Am immer noch um seine weitere Existenz bangenden Wuppertaler Schauspiel hat Jenke Nordalm am Samstag Franz Grillparzers "Das goldene Vlies" als Migrationsstück mit deutlichen Bezügen zur jüngsten Sarrazinisierung der Migrationsdebatte auf die Bühne gebracht. Mutig und sehenswert dabei auch die gelungene Zusammenarbeit des Ensembles mit der türkischen Theatergruppe Elele Tiyatrosu (Theater Hand in Hand), die der zweieinhalbstündigen Inszenierung viel Authentizität verleiht und zur Premiere zahlreiche türkische Theaterfans ins Opernhaus zog. 
 
Das Bühnenbild besteht vor allem aus einer Welthalbkugel, die im ersten Teil des Stücks für Kolchis, im deutlich intensiveren zweiten Teil für Korinth steht. Die Argonauten mit Jason (Holger Kraft) an der Spitze kommen mit Wurfzelten und Klappstühlen und sind ausstaffiert, als ob sie zu einer Safari aufbrechen wollten. Die Einheimischen sind den Ankömmlingen gegenüber skeptisch und  mißtrausch. Während jene das Gastrecht fordern, betonen die Kolcher: "Wer anklopft, der kommt ungebeten." Nach und nach kommen immer mehr Neuankömmlinge und die Einheimischen fühlen sich überrollt.
 
Während sie anfangs die Argonauten noch mit Bauchtänzen einlullen können, merken sie schnell, daß "die unsere Traditionen gegen uns selber ausnutzen" und ihnen ihre Kultur aufdrücken wollen. "Warum lebt ihr hier, wie ihr hier lebt?" fragen die Gäste und erhalten die Antwort: "Wir ignorieren einander und jeder bleibt, wie er ist." Medea (Maresa Lühle) indes verliebt sich in Jason, verschafft ihm das begehrte "Goldene Vlies" und flieht mit ihm und einigen Getreuen aus der Heimat. 
 
Nach der Pause sind 'zig Jahre vergangen. Immer und immer wieder wurden die Flüchtlinge - ob der gefürchteten Zauberkunst von Medea - zur Weiterfahrt gezwungen. Asyl und eine neue Heimat wurde ihnen stets verwehrt. Kein Wunder, das Jason versucht, in seiner alten Heimat Korinth Aufnahme zu finden. Korinth ist in diesem zweiten Teil der Inszenierung Deutschland. König Kreon (Martin Molitor) ist zwar bereit, dem Jugendfreund seiner Tochter Kreusa (Juliane Pempelfort) und die beiden kleinen Söhne aufzunehmen.
 
Medea und die Gefolgschaft aber will er in seinem Land nicht haben, obschon die Königstochter von Kolchis bereit ist, ihre Kleidung, ihre Haare und ihr Auftreten anzupassen und die sich deshalb vor sich selber ekelt. Kreon gibt blasiert und vermeintlich diplomatisch den Fremdenfeind. Er zweifelt am Integrationswillen von Medea und betont: "Wir können uns keine Schläfer in unseren Reihen erlauben." Zugleich verspricht er Recht. "Was Recht ist, muss Recht bleiben. Aber unser Recht, nicht ihres." Und er schürt Überfremdungsängste: "Was macht das mit uns, wenn sie hier unter uns bleibt?" fragt er.
 
Und an die Gruppe der Kolcher gewandt fügt er hinzu: "Lassen wir einfach jeden rein. Oder wollen wir vorher einmal kurz abwägen, ob die, die zu uns wollen, für uns ein Gewinn sind oder eher eine Last?" Wer "bei uns ins Boot will, muß auch was geben", wettert Kreon, der in dieser Phase des Stücks überdeutlich an Thilo Sarrazin erinnert. Er fordert den Willen zur Änderung als Voraussetzung zum Bleiberecht und betont - während ein Zugewanderter mit dem Namen des Fußballers "Özil" auf dem Rücken an ihm vorbeistolpert: "Aus uns wird niemals ein wir." Den Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit weist Kreon zurück: "Alles, was ich sage, ist doch nur, wir sind anders. Deshalb gehört ihr nicht hierher. Es kann doch nicht sein, daß alles, was wir lieben, hier unter die Räder kommt."
 
Am Ende tötet Medea ihre beiden Söhne, die bei ihrem Vater in Korinth bleiben sollten. Und sie tötet Kreusa, der sie eine gemeinsame Zukunft mit Jason nicht zugestehen will. Dafür wird sie auch von den ihren als Ausgestoßene behandelt. "Das goldene Vlies" von Franz Grillparzer hat Kai Schubert zeitgerecht bearbeitet und das Stück so zu einer Trägödie über die Migrationsdebatte hierzulande gemacht.
 
Die nächsten Vorstellungen sind am 9., 11. 19. und 27. Februar im Wuppertaler Opernhaus.
 
Weitere Informationen: www.wuppertaler-buehnen.de