Wenn der Müllmann zweimal kommt

Karolin Gruber inszeniert Rameaus "Platee" an der Rheinoper

von Dirk Altenaer
 „Platee“
 
Wenn der Müllmann zweimal kommt 
 
Premiere 28.1.2011
 
Als wäre er die geistige Klammer, schleicht zu Beginn und im Finale ein Kapuzenmann mit Müllbeutel über die Rheinopernbühne und klaubt mit seinem Greifarm zerplatzte Luftballons und manch anderes obsolet gewordene Requisit auf. Müll fällt gewaltig an an diesem Abend, auch der, der nicht aufklaubbar ist. Symptomatisch für die im ersten Teil schleppend dahindümpelnde, im zweiten Teil mit albernem Aktionismus Geschwindigkeit suggerierende Aufführung dieses ballet bouffon ist die Szene, in der Jupiter seiner vermeintlichen Angebeteten ein Geschenk zukommen läßt. In endloser Verpackungskunst vom Riesenpaket bis zum finalen Kleinstpäckchen:
 
Gefühlskitsch und Verpackungsmüll, mit der Regisseurin Karolin Gruber den ursprünglichen Sumpf der unglücklich liebenden Nymphe Platee verklappt. Sich Plot und Musik verwehrend sieht sie in der Nymphe ein spätes Mädchen aus der Unterschicht, das sich für was besseres hält und an sich und der Häme der Gesellschaft scheitert. Sozialkritik verbrämt in Sozialkitsch, so vergewaltigt man als Verpackungskünstler eine Gattung, der man nicht trauen will.
Schon der Prolog wirkt fad und gemahnt mit dem Messeambiente (vorgestellt wird das neue Supergesöff Jupiter, eine Mixtur aus Champagner und Wodka, das dich zum Gotte werden läßt, wie frech ein bühnenbeherrschendes Plakat suggeriert) gefährlich an den "Fashion" Flop der Richter-Ära. Vielleicht aber ist auch Roy Spahns überdimensionierte Schuhgondel, die wie ein Mottowagen im Rosenmontagszug wirkt, exemplarisch für diesen Abend: Rameaus Idylle ist für das Regieteam mindestens eine Nummer zu groß und zu groß ist auch die Bühne der Rheinoper für diese Barockoper, die für den intimen Rahmen des Schloßtheaters in Versailles konzipiert war.
Da weder die Regie noch die Choreographie (Beate Vollack) die klaffende Leere mit Leben zu füllen imstande ist, letztere ergeht sich in sinnbefreitem schrillem Gezappel, das eher an Aerobic, denn an Ballett denken läßt, haben es die Musikausführenden besonders schwer.
Konrad Junghänel im hochgefahrenen Graben mit dem bestdisponierten Ensemble Düsseldorfer Hofmusik ist nach allen Kräften bemüht, Flair und barocke Stimmung zu zaubern. Zündende Gewitterausbrüche, das schmachtende Froschkonzert, das Vogelgezwitscher oder die melancholisch verhauchende Trauermelodie am Ende, für alles findet Junghänel die richtige Mixtur.
 
Von diesem exzellenten instrumentalen "Unterbau" profitiert vor allem der spielfreudige und von Gerhard Michalski trefflich präparierte Chor der DOR. Wenn auch die Kostüme von Mechthild Seipel uns die Frösche vorenthalten, die das Liebeswerben Platees kommentieren, gequakt wird herzzerreißend und jede rheinische Amphibie gäbe was drum, Karten für dieses Froschkonzert zu ergattern.
Ansonsten herrschte erschreckendes Mittelmaß, nicht eine überragende Leistung, was es dem in französischer Barockoper noch ungeübten Abonnentenohr umso mehr erschwerte, dem Dargebotenen Genuß abzutrotzen. Zwar war Sylvia Hamvasi als Folie eine gewisse Virtuosität in der Darbietung der einzigen Bravourarie der Oper nicht abzuerkennen, aber ihre Stimme klang schon überzeugender und beim Wahnsinnslachen mischten sich doch recht unsaubere und unschöne Mißtöne ein. Solide Thomas Michael Allen (Thespis/Mercure), Laimonas Pautienius (Momus), Timo Riihonen (Citheron), Alma Sade (Thalie), Iryna Vakula (Amour) und Iulia Elena Surdu (Clarine), aber niemand, der aus seinem Part Funken zu schlagen gewußt hätte. Da wirkten die kurzen Auftritte des streitenden Götterehepaars Jupiter (Sami Luttinen) und Junon (Marta Marquez) fast schon wie solitäre Kleinodien musikalischer Gestaltungskunst. 
 
Das Besondere, das Rameaus Opernkunst auszeichnet, ist der Einsatz einer spezifisch französischen Stimmgattung des sogenannten Haute Contre, einem sehr hochstimmigen Tenor. In Anders J. Dahlin hat man an der Rheinoper einen solchen Vertreter, wie er in der Vorjahresproduktion "Les Paladins" trefflich unter Beweis stellte. Die Erwartung war deshalb hochgeschraubt, wie wird Dahlin die Nymphe bewältigen, gilt es doch, ihr auch Charakter einzuhauchen. Leider enttäuschte Dahlin auf voller Linie, nicht nur blieb seine Platee blaß, fand als Charakter kaum statt. Nun mag man das der unterkühlten Regie der Gruber anlasten, aber auch musikalisch blieb er hinter den Erwartungen zurück. Man muß nicht erst an den großartigen Paul Agnew denken, der in Paris unter Marc Minkowski in dieser Rolle Maßstäbe setzte, um zu verstehen, was in Düsseldorf alles fehlte. Dahlins Tenor wollte nicht so recht anspringen, die Stimme blieb fahl und an die spezifische Höhe war kaum zu denken, alles klang nach brüchiger Mittellage. Da hätte man auch manchen höhensicheren Charaktertenor aus dem Ensemble mit der Nymphe betrauen können.
 
Den folgenden letzten Absatz sähe die Deutsche Oper am Rhein gerne zensiert. Tut uns leid. Einen Zensur-Stempel haben wir nicht, wollen wir nicht. (Anm. d. Red.)
 
Bezeichnend für die Müllhalde dieser Aufführung auch der wie gekauft wirkende Musicaljubel am Schluß aus den schrillen Kehlen herangekarrter französischer Schüler, bis dato hatte man so etwas an der Rheinoper nicht nötig. In Klein-Paris ist Rameau noch weit entfernt davon angekommen zu sein.
 
Redaktion: Frank Becker