Sternstunden an der Kölner Oper

Moderne und beeindruckende „Aida“

von Peter Bilsing
Sternstunden an der Kölner Oper
 

Moderne und beeindruckende „Aida“

 
Will Humburg dirigiert einen geradezu unerhörten Verdi
 
 
Liebe hartgesottene Aida-Fans! Ich spreche jetzt ausdrücklich die Mitmenschen an, die via ADAC-Nilkreuzfahrten und durch den Besuch von Aida-Mammutveranstaltungen, wie jüngst im Düsseldorfer Rhein-Fußball-Stadion mit vielen Tieren wie Elefanten, Pferden, diversen Raubvögeln, Schlangen und Kamelen sowie unzähligen kostümierten Sandalenfilm-Statisten Erfahrungen mit Bühnen-Gigantomanie  haben. Gemeint ist jener leider völlig falsch verstandene Pappmaché-Schwulst der Arena di Verona, Caracalla-Thermen und ähnlicher Orte, der leider mit der tragischen eher kammermusikalischen Dreiecksgeschichte der Sklavin Aida, Amneris und deren Geliebten Radames in Wahrheit soviel zu tun hat, wie die sprichwörtliche Kuh mit dem Segelfliegen. Menschen, die Euch so etwas vorsetzen, wollen ernsthafte Oper veralbern, den Genius Verdi auf Kirmesniveau verramschen. Oder sie haben die Oper einfach nicht verstanden. Worum geht es eigentlich?
 
Die Königstochter Amneris liebte einst den jungen Heerführer Radames. Doch ihre Liebe wurde von der Sklavin Aida, dem Krieg und einem gnadenlosen Urteil der Priesterschaft zerstört (Programmheft Oper Köln – erste Seite).
Das ist es. Mehr nicht – und weniger auch nicht! Besser, präziser und kürzer kann man die Geschichte kaum umreißen. Pyramidaler Krempel- und Tempelkitsch, Kunstgewerblerisches vom Andenkenstand, Folklore-Versatzstücke, Statuen-Wahn mit Riesensphinxen oder große Aufmarsch-Szenarien mit Tieren sind so überflüssig wie ein Kropf und dem Werk meinem persönlichen Empfinden nach eher abträglich. Denn in der Tiefe und ihrer wunderbaren Schönheit ist die Oper ein überwiegend kammermusikalisches Juwel mit stellenweise nur gehauchten Melodien, aber auch großen tragischen Arien - allerdings ohne das plakative Pathos; eher ein Werk der Stille, auch wenn das seltsam klingen mag.
 
Und so stehen die oben zitierten Zeilen zu Recht am Anfang des hervorragend gemachten Programmheftes, dessen Kern einen lesenswerter Original-Beitrag enthält. Ich habe selten eine bessere und sinnvollere Analyse dieses Werkes und seines Umfelds gelesen, als die von Francis Hüsers. Gratulation auch an die Eheleute Forster für ihre famosen und hoch-künstlerischen Bilder im Programmheft – ein genußreiches Beispiel ästhetischer Theaterfotografie. Überhaupt ist das Programmheft, für welches Dr. Birgit Meyer verantwortlich zeichnet, ein Kleinod und wegen der vielen Farb-Bilder auch noch nach Jahren anschauenswürdig. So sollte ein Programmheft sein.
 
Daß man es in Köln unter der Ägide von Uwe Eric Laufenberg endlich wieder schafft, ganz große Oper zu inszenieren, die Maßstäbe im Bereich des zeitgenössischen Musiktheaters setzt, erfreut auch den Kritiker nach den fast unendlichen Jahren des Grauens und schlimmsten Dilettantismus. Die Zeiten, in denen es hieß „Qual“ statt „Qualität“ sind hoffentlich vorbei. Wann gab es das zuletzt, daß man ein großes und schwieriges Werk mit zwei völlig unterschiedlichen Besetzungen an zwei direkt aufeinander folgenden Tagen in dieser Qualität erleben durfte?
 
Laufenberg hat die Quadratur des Kreises geschafft und die große traditionsreiche Kölner Oper wieder dahin gebracht, wo das Haus auch hingehört – nämlich unter die Top 5 in Deutschland, neben München, Stuttgart, Essen und Frankfurt (pers. Bewertung). Daß wir uns alle noch nicht so richtig und ehrlich freuen können, liegt an der Tatsache, daß ähnlich wie in Essen das hohe Qualitätsniveau und die gewaltige künstlerische Arbeit augenscheinlich von der Lokalpolitik jedweder Couleur nicht anerkannt werden. Immer noch steht eine Schließung des eben erstarkenden Hauses wegen unnötiger Sanierung bis 2015 im Raum. Ein Betrieb mit dauernd wechselnden Alternativspielstätten über vier Jahre wäre der sichere Tod der Kölner Oper; dafür ist die Konkurrenz in Bonn und Düsseldorf zu nahe.
 
Zurück zur „Aida“.
 
Prima la musica! Daß ich mit dem wirklich begnadeten Gastdirigenten Will Humburg anfange, hat seine Gründe, denn lange, sehr lange hat man nicht so eine Weltklasseleistung des Kölner Gürzenich Orchesters gehört. Dieser Teufelskerl Humburg dirigiert eine Aida, die nicht von dieser Welt zu sein scheint. Es ist nicht nur das forcierte, teilweise geradezu kühne Tempo, welches nachhaltig beeindruckt, sondern es ertönen wahre Feuerpyramiden, eruptive Vulkanausbrüche aus dem Orchestergraben, im begnadeten Wechsel mit samtweichen, zart strömenden und geradezu melismenhaft betörenden Linien und Lyrismen. Was für eine Aida! Dabei verzichtet Humburg keinesfalls auf das Große, das Schmetternde z.B. beim Triumphmarsch oder dem kongenial arrangierten Auftritt der furiosen Chöre aus allen Türen, Öffnungen und Rängen des Opernhauses (Hilsdorf läßt grüßen!); sogar die echten Aida-Trompeten fehlen nicht. Aber dieser Klang hat Souveränität, hat Präzision und nichts von der üblichen Beliebigkeit des „Rumtata“ trivialer Kirmesmusik, wie wir sie ja leider fast überall präsentiert bekommen. Hier glimmt eine Zündschnur, hier brodelt es im Unterbewußten, mögen die Fanfaren auch noch so golden brillieren. Wir entdecken diesen Triumphmarsch neu. Unerhört evoziert diese Musik plötzlich Adrenalinstöße, wo man sich früher gähnend abgewandt hat. Das geht wahrlich unter die Haut, der Puls beschleunigt sich. Bravo, Bravissimo! Ein unerhörter, vielleicht endlich der wahre Verdi.
 
Kühn ist auch die Deutung von Regisseur Johannes Erath und seinem Team.
 
Was wäre denn, wenn die Kreuzzüge im achten Jahrhundert nicht im Desaster geendet hätten, sondern erfolgreich gewesen wären? Dann läge das heutige Ägypten und vieles andere im Herrschaftsbereich des Vatikan. Ab und zu müssen seine Truppen noch einmal losziehen um abtrünnige Ungläubige zu bekehren. Da läßt es sich der heilige Vater auch nicht nehmen persönlich vor Ort zu sein und die Weichen zu stellen. Geht es doch auch darum, seiner Tochter Amneris einen würdigen, streiterprobten Ehemann angedeihen zu lassen. Es muß aber ein echter Feldherr sein, kein Metzger a la Lawrence von Arabien. Gefangene sind erst einmal erwünscht. Gefangene sind auch nützliche Sklaven – wie die Kriegsgefangene Aida sinnvoll unter Beweis stellt. Sie ist natürlich keine Putzfrau, wie weiland unter Konwitschny. Sie arbeitet im Kranken- und Verletzten-Pflegedienst, wenn wir ihre Schwesterntracht richtig deuten.
 
Doch auch der Papst hat Feinde; sein Erzbischof (nein, es ist nicht Meisner, obwohl es bei diesem Kolorit und dann noch in der Erzbischofsstadt Köln inszeniert ja nahe liegen könnte…) bleibt der kirchlichen Linie (keine Gnade für Ungläubige!) treu und ermordet das Kirchenoberhaupt während des den Feinden gespendeten „Ego te absolvo“. Anschließend meucheln seine Militärs die meisten Gefangenen – sind Soldaten vielleicht doch Mörder? Pause!
 
Die Schlußakte laufen im Stile eines stillen Kammerspiels ganz im Sinne der Musik ab. Alle Chöre sind hinter die Bühne verbannt und die Regie konzentriert sich alleine auf die drei Protagonisten. Im Düsteren einer fast klaustrophobisch sich ständig durch verschiebbare Wände verändernden Bühne – großartige Installation von Kaspar Glarner – vollzieht sich das Schicksal der Liebenden nach Verdi relativ werkgetreu, wenn der Zuschauer es akzeptiert, daß man auch durch Giftgas langsam ersticken kann. Amneris, welche die Geschichte eigentlich retrospektiv erzählt, ist nur noch als eine Geistererscheinung anwesend - unberührt und unbeirrt von der grausamen Realität. Das ist so beeindruckend (Licht: Johannes Erath / Nicol Hungsberg) in Szene gesetzt, daß nach den fast lautlosen letzten Tönen das Publikum erst einmal betroffen schweigt. (Bravo!) Dann setzt stürmischer, orkanartiger Beifall ein, wie wir ihn in Köln lange nicht erlebt haben. Kein einziges „Buh“ für das Regieteam, und es ist Regisseur Johannes Erath, hoch anzurechnen, daß er auch bei der B-Premiere am Sonntag anwesend war. Auch dort kein einziges „Buh“.
 
Die Aida von Hui He (A-PR) ist von gewaltiger Stimme, aber auch nach Rücksprache mit den Kollegen, auf die ich mich hier verlassen kann, geht der erste Preis an Adina Aaron (B-PR) für die gefälligere und einfühlsamere Rolleninterpretation. Und noch dazu ein Traum von edelstem Pianissimo! Dalia Schächter (B-PR) ist als Amneris tadellos, der Schönklang ihrer Stimme liegt in der Zurückhaltung, ihre überragenden darstellerischen Fähigkeiten ergänzen die tolle Rollenauslegung in idealer Weise. Die Amneris der A-PR (JovitaVaskeviciute) hat den drei von mir interviewten Pressekollegen, die in der Samstag-Vorstellung waren, nicht so gefallen. Ähnliches verlautet über den Radames von Scott MacAllister in der A-PR; dagegen zog Vsevolod Grivnov in der B-PR alle Register  und überzeugte sowohl als wahrer Meister der Spitzentöne, als auch mit genügend lyrischem Anteil in der Stimme. Gewaltige Amonasros: Samuel Youn (A-PR) und Jorge Lagunes (B-PR) erhielten uneingeschränktes Lob und Zustimmung. Wobei ich letzteren für einen echten Geheimtip halte. Beim Ramfis lagen sowohl Michail Kazako (A-PR), als auch Roman Polisadov (B-PR) gleichauf. Kollege Martin Freitag wird über die nächste Aida-Aufführung (18.1. - wieder mit der A-PR-Besetzung) noch ausführlich berichten
Last but not least ein Riesenlob an Andrew Ollifant für die diesmal wegen der raumübergreifenden Präsenz des Chores recht schwere und komplizierte Arbeit und ein Extra-Opernfreund-Stern für den bekannten Couturier Christian Lacroix für die Kostümvielfalt und Raffinesse.
 
"Der Opernfreund" gibt volle 5 Sterne. Spannenderes Musiktheater ist kaum vorstellbar! Und, wie gesagt, die Musik scheint von einem anderen Stern zu kommen. Danke Will Humburg.
 

Eine Übernahme vom Magazin "Der Opernfreund"
Redaktion: Frank Becker