Kein Blatt vorm Mund

Schlachtplatte - Die Jahresendabrechung 2010

von Frank Becker
Kein Blatt vorm Mund
 
Schlachtplatte -
Die Jahresendabrechung 2010
 
 
Der vergangene Freitagabend brachte mit „Schlachtplatte - Die Jahresendabrechung 2010“ etwas rar gewordenes auf die Bühne der Kattwinkelschen Fabrik in Wermelskirchen: klassisches Ensemble-Kabarett, wie es das eigentlich schon lange nicht mehr gibt, seit die großen Protagonisten des Kom(m)ödchen, der Stachelschweine, Insulaner oder Lach- und Schießgesellschaft mehr oder weniger von der Bühne des gesellschaftspolitischen Kabaretts abgetreten, Solisten geworden oder der verdünnten Variante „Comedy“ gewichen sind. Das "Quartett der vier Spötter“ Robert Griess, Achim Konejung, Jens Neutag und Wolfgang Nitschke (ein jeder ein gefragter Solo-Star) warf sich mit Giftzahn und Todesverachtung als geballte Ladung in die Gräben der Gegner – ich hoffe, sie verzeihen mir diesen militärischen Ausdruck, doch angesichts des schönsten Kriegsministers seit 1945 muß das erlaubt sein – und die finden die und Sie und ich hierzulande geradezu epidemisch in Politik und Wirtschaft.
 
Da wird der Ackermann zum Taliban und die Merkel zur scheinheiligen Mutter der Nation.  Familienministerin Schröder hat man ja schnell noch zwangsverheiratet, damit sie ihr Amt mit Fug, wenn auch ohne Recht ausüben kann. Nebenbei: kann eigentlich in der Politik jeder alles? Woher nimmt eine kaum der politischen Pubertät entwachsene Göre diese Chuzpe? Zur Revolution ruft das Quartett, und das Volk im Saal steht zwar nicht auf, tut aber beim Skandieren von Parolen gegen die Atomwirtschaft kräftig mit. Geht auch im Sitzen. Man sollte sich daran gar nicht gewöhnen, es hat sich leider schon eingeschliffen: „Die Politiker ziehen uns über den Tisch und erwarten, daß wir die Reibungshitze als Nestwärme verstehen!“ Dabei trotzen immer mehr Bürger der staatlichen (und halbstaatlichen) Willkür, wie beim Widerstand gegen Stuttgart 21 und die jüngsten Castor-Transporte sehr deutlich wurde. Doch auch ihre Proteste werden beiseite gewischt – oder sollte man besser sagen gewasserwerfert? Argument: Bei Versailles hat ja auch keiner auf die Baukosten geachtet!
 
Wir sehen und hören auf dieser unappetitlichen Schlachtplatte (daran sind wirklich nicht die vier eloquenten Kellner schuld, sondern die Köche hinter den politischen Kulissen) die weit im Osten operierende Bundeswehrmacht, Regierungssprecher Steffen seibert, Brioni-Kanzler Gerhard Schröder als Fieberzäpfchen im Anus von Wladimir Putin und Mitglied der Haarfärbe- und Retuschier-Mafia (Putin, Berlusconi, Sarkozy, Schröder) und als Zeugnis jungweiblicher Intelligenz die Auswahl von beflockten Mädchenhemden „Zicke, Schlampe oder wahlweise Che Guevara (von H & M)“. Nuschler Udo Lindenberg, der allen Ernstes 2010 den Jacob-Grimm-Preis für Deutsche Sprache erhalten hat, ist auch dabei und die Hitparade deutscher Mallorca-Schlager. Hier zum Auf-.der-Zunge-zergehen-lassen eine Auswahl: „Schade, dass man Bier nicht poppen kann“, „Wir fahren in die Berge und der ganze Bus muss Pipi“ und seit Jahren unangefochten Nr. 1 „Geh doch zu Hause, Du alte Scheiße“. Da fragt man sich doch ernstlich, wieso die Bundeswehr nicht im Inland eingesetzt wird.
 
Dieses armselige Kulturgut ist genauso ein Hirnriß wie die „Bekenntnisse“ der Nina Hagen, die Wolfgang Nitschke neben einer köstlichen Abrechnung mit der Bachblüten-Therapie für die Abteilung Bestseller-Fressen mitgebracht hat und deren O-Töne über ihre Liebe zu Gott, zu Jesus, die Liebe Gottes und Jesus´ zu ihr, über UFOs (die si gar nicht lieb hat) und mit einem Brief an Benedikt Ratzinger (oder so) über die Liebe zu Jesus, Gott, Ratzi und vice versa im Grunde fast nicht zu glauben, aber doch echt, zumindest gedruckt sind. Heiliger Bimbam! Aber halt, dieses Prädikat gehört ja dem Dalai Lama.
 
Sie brennen ein herrliches Feuerwerk der köstlichsten „politischen Unkorrektheit“ ab, nehmen kein Blatt vor den Mund, unterhalten ihr Publikum weit über zwei Stunden lang, doch ohne Längen und machen mit jeder bissigen neuen Nummer dennoch nachhaltig und aufs Neue klar: Die Lage ist ernst! Den auf die deutsche Privatfernseh-Unterhaltung maßgeschneiderten Evangelisten Matthäus 12, 36 brauchen sie nicht zu fürchten: „Ich sage Euch aber, daß die Menschen müssen Rechenschaft geben am Jüngsten Gericht von einem jeden unnützen Wort, das sie geredet haben.“

Weitere Informationen unter: www.schlacht-platte.de