Literarische Feinkost

Diogenes veröffentlicht ausgewählte Romane Georges Simenons

von Robert Sernatini
Literarische Feinkost

Diogenes veröffentlicht ausgewählte
Romane Georges Simenons


"Ich erzähle eine Geschichte.
Und das ist alles."

Georges Simenon

Wer im deutschen Sprachraum den französischsprachigen belgischen Autor Georges Simenon auf seine gewiß vorzüglichen Kommissar Maigret Kriminalromane reduziert, was vermutlich noch immer gelegentlich geschieht, hat etwas ganz entscheidendes versäumt: nämlich das übrige, wesentlich umfangreichere Romanwerk des
aus Lüttich stammenden Schriftstellers zu würdigen. Denn was André Gide, Gabriel Garcia Marquez und Patricia Highsmith erkannt und genannt haben, ist nur zu wahr: der Romancier Georges Simenon gehört zu den größten Erzählern des 20. Jahrhunderts.

Weit über 400 in alle Weltsprachen übersetzte Romane hat Georges Simenon geschrieben - Romane, die (abgesehen von den an Grundfiguren gebundenen 75 Maigret-Krimis und der Reihe um den "Kleinen Doktor) keinerlei Schema oder Klischee folgen. "Non-Maigrets" haben die Buchwelt und der Verlag sie leider beinahe ein wenig abwertend genannt - dabei bin ich der Meinung, daß das Hauptwerk Simenons eben gerade hier zu suchen und zu finden ist. Das hat auch der Zürcher Diogenes Verlag nach seiner Gesamtausgabe der Maigret-Kriminalromane entsprechend gewürdigt und ist jetzt dabei, eine Auswahl von 50 Romanen in einer hervorragende Edition herauszubringen, eine hervorragende Gelegenheit, das Simenonsche Hauptwerk ans Lesepublikum zu bringen. Nicht, daß Diogenes das nicht schon seit Jahrzehnten in seiner erlesenen detebe-Reihe täte, jetzt aber werden die Bände in der chronologischen Folge ihrer Niederschrift, in revidierten Übersetzungen und mit festem Einband geliefert, dazu mit Lesebändchen und zu einem so geringen Preis (nur 9,- € pro Band), daß es jeden Simenon-Anhänger locken muß, sich diese gediegene Reihe zuzulegen. Alle 14 Tage erscheint nach dem Plan des Verlages ein neuer Band, für Leser ein ausreichender Zeitraum, mit Genuß die zwischen ca. 160 und 200 Seiten starken Bände zu lesen und dem Kopf Raum für den jeweils nächsten Band zu geben. Denn das ist bei Simenons Romanen wichtig: nach den auch ohne Krimi-Stoff unerhört spannenden, an fesselnden Schicksalen reichen Romanen Atem zu schöpfen, um Platz werden zu lassen für Simenons intensive Zeichnung von Charakteren, Schicksalen und  Liebe, Leidenschaft, düsterer Verwicklung und Obsessionen.

Sicher spielen auch in den Romanen Simenons Verbrechen, ja Morde eine Rolle, dennoch
unterscheiden sie sich grundsätzlich von seinen Krimis. Wo dort die Aufklärung des Verbrechens und seiner Hintergründe das Thema und der Kommissar die zentrale Figur ist, lotet Simenon in seinen Romanen in der Hauptsache die schicksalhaften Verflechtungen seiner Figuren aus. Dabei wechselt er bei der Wahl der Ereignisorte problemlos zwischen dem nebligen Belgien und dessen (und den französischen) Kolonien in Äquatorial-Afrika. Simenon versteht es, im frostigen Klima, der klammen Kälte Nordwesteuropas, unter der milden Sonne Südfrankreichs oder in der brütenden tropischen Hitze Afrikas menschliche Ausnahmesituationen in Szene zu setzen, die mitreißen, fesseln und mitleiden lassen. Spannung weiß Simenon unterkühlt wie brodelnd zu vermitteln, seine Protagonisten von extrovertiert bis beinahe autistisch zu zeichnen.
Simenon widerlegt mit
den zum Teil grandiosen Würfen seiner Romane beeindruckend seine bescheidene Selbstkritik: "Ich werde niemals einen großen Roman schreiben. Mein großer Roman ist ein Mosaik all meiner Romane". Ich erlaube mir, ihm zu widersprechen und deute dabei auf Titel wie "45 Grad im Schatten", "Der kleine Heilige", "Der Bericht des Polizisten", "Die Ferien des Monsieur Mahé", "Tropenkoller" oder "Das Haus am Kanal".
Der Romancier Georges Simenon ist für jeden eine Neuentdeckung wert.

Weitere Informationen unter:
www.diogenes.ch