Frieda und der Fußball

Hanns Dieter Hüsch

© André Poloczek / Archiv Musenblätter
Frieda und der Fußball
 
Es war ein einem Sonntagnachmittag, der Nachmittag der Jünglinge und kleinen Mädchen, der grellen Schlipse und der überfüllten Tanzdielen.  
 
Überall spielen die „Vier lustigen Spatzen“ oder es singen die „Fidelen G’sellen“, und die Geschmacklosigkeit nimmt kein Ende. An so einem Sonntagnachmittag sagte meine Frieda:
„Du, hör doch mal, hör doch mal, mach doch mal das Fenster auf, hör doch mal das Geschrei vom Fußballplatz.“
Ich hörte nichts.
„Da wieder! Hör doch mal das Geschrei, ich glaube, bei Concordia geht ein Licht auf. Hörst du denn gar nichts? Das macht der Wind, die schrein ja immer noch“, sagte die Frieda.
„Na, und?“ sagte ich. „Als ob das schon etwas wäre! Was soll denn das überhaupt heißen: Bei Concordia geht ein Licht auf?“
„Stand doch in der Zeitung“, sagte die Frieda und stöberte in der Brottrommel, in die wir manchmal unsere Zeitungen legen.
„Hier, Zeitung von gestern, Sport auf einen Blick, geht bei Concordia ein Licht auf, Frage des Abstiegs noch nicht geklärt, morgiges Spiel mehr als ein Spiel, Torverhältnis kann schon entscheidend sein!“
Jetzt hörte ich das Geschrei ebenfalls.
„Wie viel werden das sein?“, sagte ich. 
„Zweitausend“, antwortete die Frieda, blätterte in der Zeitung und sagte: „Der Mittelstürmer kommt immer hier vorbei, so ein großer mit Dauerwellen. Ob der die meisten Tore schießt?“ „Weiß ich doch nicht", sagte ich, „interessiert mich auch gar nicht. Woher weißt du denn den ganzen Kram?“ 
„Ooch, ich... öh, ich hatte doch mal einen Freund“, sagte die Frieda, „der war aber nur rechter Läufer.“
„Der Mittelstürmer ist ein Idiot“, sagte ich, „Mittelstürmer und Dauerwellen!“
„Laß man“, sagte die Frieda, „wenn er die meisten Tore schießt, ist er fein heraus. Mein Freund, der war ja nur rechter Läufer, aber er hat einmal aus dreißig Meter Entfernung ein Tor geschossen!“
„So“, sagte ich, „und da war er fein heraus.“
„Nein“, sagte die Frieda, „das Spiel ging nach Verlängerung verloren, und da haben die Zuschauer den Schiedsrichter verprügelt, und mein Freund hat mich nicht mehr angeguckt, weil ich gesagt habe, das wäre doch nicht nötig gewesen.“
Jetzt hörte ich wieder das Geschrei.
„Dreitausend sind’s bestimmt“, sagte ich. „Jedes Spiel müßte unentschieden ausgehn!“
„Das geht nicht“, sagte die Frieda, „dann sind die Zuschauer nicht zufrieden.“
„Dann schmeckt ihnen das Bier nicht“, sagte ich.
„Ja“, sagte die Frieda, „das Bier schmeckt ihnen nicht, und sie sind die ganze Woche nichts wert. Einer schiebt dem andern die Schuld in die Schuhe, und sie singen auch nicht. Sonst singen sie immer: Der Rasensport, der Rasensport und so. Und manchmal hält der Bürgermeister sogar eine Rede und sagt, wie hat er doch immer gesagt? Jungens... will nicht viel Worte machen... wieder einmal mehr bewiesen, aus welchem Holz ihr geschnitzt seid!“ Ich mußte lächeln. Ich konnte es gar nicht glauben, daß die Frieda darüber so gut Bescheid wußte.
Ich legte die Zeitung wieder in die Brottrommel und dachte an den rechten Läufer.
Aus dreißig Meter ein Tor geschossen, und das an einem Sonntagnachmittag, an einem Nachmittag, wo man nicht mehr wagt, vor die Tür zu gehen.


Aus: Meine Geschichten (1996) / Der Große Hüsch, Band 2 (2011)

© Chris Rasche-Hüsch/ Verlag Kiepenheuer & Witsch
Veröffentlichung aus "Der Große Hüsch, Bd. 2" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung