Mord in der Steinzeit

”Tatort Eulau” - Ein 4.500 Jahre altes Verbrechen wird aufgeklärt

von Friederike Hagemeyer
Mord in der Steinzeit  - 
aufgeklärt nach 4.500 Jahren
 
 
Als die Archäologen im Juni 2005 zum ersten Mal in die Gräber schauen, die kurz vorher in einer Kiesgrube bei Eulau, einem Ortsteil von Naumburg an der Saale, entdeckt worden waren, geht ihnen der Anblick sehr nahe, obwohl sie in ihrem Berufsleben ja schon Hunderte von Skeletten gesehen haben. ”Die innige, sorgfältig ineinander verschränkte Lage der Bestatteten  -  Gesicht zu Gesicht, Hand in Hand  -  rührt jeden Betrachter, selbst über die Brücke der Jahrtausende, die uns von diesen Gräbern trennt” (S. 6). So beschreiben Arnold Muhl und Harald Meller, Herausgeber des Buches ”Tatort Eulau, ein 4.500 Jahre altes Verbrechen wird aufgeklärt”, erschienen im Stuttgarter Theiss-Verlag, ihre Eindrücke.
Die Gräber sind für diese Zeit (ca. 2.550 v.Chr.) so ungewöhnlich, daß man sich entschließt, sie ”im Block”, d.h. mit dem umgebenden Erdreich, zu bergen, um die Skelette im Labor genauer untersuchen zu können. Ein internationales Expertenteam, darunter erstmals auch ein ”Profiler” des Bundeskriminalamtes, macht sich mit den modernsten Methoden an die Arbeit, um Basisdaten zu erheben, wie z.B. Größe, Alter, Geschlecht, Allgemeinkonstitution, Krankheiten, Herkunft und eventuelle Verwandtschaftsbeziehungen; vor allem aber geht es darum Todesursache und -zeitpunkt sowie Bestattungsumstände zu ermitteln.
 
Drei neolithische Kulturen in Mitteldeutschland
 
In der Mitte des 3. vorchristlichen Jahrtausends treffen an der mittleren Elbe drei Kulturen der Jungsteinzeit aufeinander. Von Osten kommen die ”Schnurkeramiker” (ca. 2.800-2.050 v.Chr.), benannt nach der typischen Verzierung ihrer häufigsten Grabbeigaben; ihr Ursprung liegt im Grenzgebiet von Slowakei, Ungarn und Rumänien. In nur wenigen Jahrhunderten breiten sie sich von dort bis in die Schweiz aus.
Etwa um dieselbe Zeit dringen von Westen her die ”Glockenbecherleute” (ca. 2.900-2.050 v.Chr.) ebenfalls in den mitteldeutschen Raum vor. Der Ursprung ihrer Kultur liegt auf der iberischen Halbinsel; entlang der atlantischen Küsten breitet sie sich bis nach England und Schottland aus. Es sind frühbäuerliche Gesellschaften, deren Bewaffnung und Bestattungssitten sehr ähnlich sind. Beide Kulturen bilden Siedlungskammern, die sich an der mittleren Elbe ineinander verzahnen, gemeinsam bewohnte Dörfer sind nicht nachgewiesen.
Die dritte jungsteinzeitliche Kultur in diesem Gebiet wird als Schönfeld-Kultur bezeichnet; sie ist nach dem ersten Fundort in der Nähe von Stendal benannt. Beschränkt auf den mitteldeutschen Raum zwischen Harz, Elbe und Havel, verhindert sie wie ein Riegel die Ausdehnung der beiden anderen Kulturen in Richtung Norden. Ganz unvermittelt taucht sie zwischen 2.800 und 2.200 v. Chr. auf und verschwindet ebenso unvermittelt wieder. Abgesehen von der bäuerlichen Lebensweise gibt es deutliche Unterschiede zu den beiden anderen Kulturen; Pfeilspitzen und Äxte sind anders gestaltet, vor allem aber unterscheiden sich die Bestattungssitten grundlegend: im Gegensatz zur Körperbestattung, meist in Einzelgräbern, der Schnurkeramiker und Glockenbecherleute werden die Verstorbenen der Schönfeldkultur verbrannt, ihre Asche wird in flachen, kunstvoll gestalteten Schalen beigesetzt.
 
Wehrlose Opfer
 
Insgesamt sind es dreizehn Tote, acht Kinder, drei Frauen und zwei Männer, die im Labor nach allen Regeln archäologischer Untersuchungskunst analysiert werden. Was bereits der Augenschein nahe legte, bestätigt sich: die Personen in jeweils einem Grab gehören zu einer Familie, und sie wurden gleichzeitig beerdigt, wie das unversehrte Erdreich über den Leichnamen beweist. Mit ziemlicher Sicherheit wurden alle Toten in den vier Gräbern am selben Tag beigesetzt, und in jedem Grab ist mindestens eine Person durch nachweisbare Waffengewalt ums Leben gekommen; das zeigen zwei Pfeilspitzen im Skelett einer Frau sowie Hiebverletzungen an den Schädeln zweier weiterer Opfer. Auch die anderen Toten dürften Opfer von Gewalt geworden sein. Es fällt auf, daß diese dreizehn Menschen zu den wehrlosesten Mitgliedern der kleinen Dorfgemeinschaft auf dem Hochufer über dem Saaleknie bei Naumburg gehörten: Kinder, ihre Mütter und zwei ältere Männer, die aufgrund früherer Verletzungen nicht mehr über ihre volle Leistungsfähigkeit verfügten. Junge Erwachsene, Frauen aber vor allem wehrhafte Männer, fehlen.
 
Je weiter die Untersuchungen voranschreiten, desto mehr erhärtet sich der Verdacht, daß es sich um Mord und zwar einen geplanten Überfall handelte, dem die Toten zum Opfer fielen. Wer aber waren die Mörder? Und warum mordeten sie?
Das international besetzte Expertenteam findet auch auf diese Fragen eine Antwort und löst schließlich diesen Kriminalfall – wenn auch erst nach 4.500 Jahren.
 
Gelungener Steinzeit-Krimi
 
Wie einen ”echten” Kriminalroman verschlingt man dieses gelungene Buch. Die Mischung  macht's: Deutlich abgesetzt durch Typographie und verschiedenfarbige Seiten wechseln Berichte über Entdeckung, Bergung und Auswertung der Eulauer Gräber ab, mit Experten-Interviews, Exkursen zu den neolithischen Kulturen in Mitteldeutschland und der ”Story”, einer fiktiven Schilderung des Überfalls aus der Sicht der Täter und der Opfer. Das eigentlich Spannende aber sind die Untersuchungsmethoden und ihre für den Laien oft verblüffenden Resultate; bei diesem Jahrtausende alten Fall werden sogar die Biographien einzelner Menschen rekonstruiert.
In verständlicher Sprache sind die komplizierten Untersuchungen dargestellt, und die Texte sind insgesamt wohltuend knapp gehalten. Dennoch liefern sie alle wichtigen Informationen zum zeitlichen, geographischen und kulturellen Hintergrund. Ergänzt werden sie durch hervorragende Fotos und Illustrationen; Karten, Pläne sowie schematische Darstellungen tragen ebenfalls zum Verständnis bei.
Den Herausgebern und dem Theiss-Verlag ist ein spannendes Buch gelungen, das den neuesten Forschungsstand zur späten Steinzeit in Mitteldeutschland dokumentiert und so ganz nebenbei in die Methoden der Archäologie und verwandter Wissenschaften einführt.
 
Empfohlen sei das Buch dem archäologisch interessierten Laien, aber auch jüngeren Lesern, die sich für die deutsche Frühgeschichte interessieren. Auf dem weihnachtlichen Gabentisch wäre es gut plaziert.
 
Arnold Muhl/ Harald Meller/ Klaus Heckenhahn  -  Tatort Eulau”
Ein 4500 Jahre altes Verbrechen wird aufgeklärt
© 2010 Konrad Theiss Verlag, 1. Auflage
160 Seiten mit rund 100 farbigen Abbildungen, 17 x 24 cm. Gebunden mit Schutzumschlag
ISBN 978-3-8062-2401-6  -  EUR 22,90
Weitere Informationen unter: www.theiss.de