Die Rückkehr der Götter

Berlins „verborgener Olymp“ im Mannheimer „Museum Weltkulturen“

von Rainer K. Wick

Aphrodite - Foto © Rainer K. Wick
Die Rückkehr der Götter

Berlins „verborgener Olymp“
in einer Mannheimer Sonderschau
 
 
Während derzeit tout le monde ins Mannheimer Zeughaus strömt, um dort die großartige Ausstellung „Die Staufer und Italien“ zu sehen – die Musenblätter berichteten am 4. Oktober 2010 – macht eine andere hervorragende Ausstellung der Reiss-Engelhorn-Museen im gegenüberliegenden Gebäude „Museum Weltkulturen“ derzeit eher den Eindruck, in einen tiefen Dornröschenschlaf versunken zu sein. Konnten in den ersten vier Wochen seit Eröffnung der Staufer-Ausstellung bereits 50.000 Besucher gezählt werden, scheint das Interesse an der schon seit dem 13. Juni 2010 und noch bis Mitte 2011 laufenden Ausstellung „Die Rückkehr der Götter“ vergleichsweise gering. Zu Unrecht, wie ein Rundgang durch diese schön inszenierte und zugleich überaus lehrreiche Schau zeigt.
 
Götterwelt kompakt
 
Denn selten bietet sich die Gelegenheit, die griechische und römische Götterwelt so konzentriert, so kompakt, so zusammenhängend erleben zu können wie momentan in Mannheim. Dabei ist das hier erstandene Pantheon – was ja nichts anderes bedeutet als ein allen Göttern geweihter Ort – keines jener Kabinette, in denen dichtgedrängt verstaubte Gipsabgüsse antiker Skulpturen ihr jammervolles Dasein fristen. Vielmehr zeigt die Mannheimer Ausstellung hochkarätige Schätze, vor allem

Aphrodite, ca. 150 n.Chr. - Foto © Rainer K. Wick
Skulpturen, aus der Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin, die jahrzehntelang nicht zu sehen waren und nun so etwas wie eine zweite Geburt erfahren. Abgesehen von einigen Abgüssen der Relief-Platten des Pergamonaltars handelt es sich dabei um äußerst qualitätsvolle Originale – von archaischen, schwarzfigurig bemalten Gefäßen über Meisterwerke des Hellenismus bis hin zu römischen Marmorrepliken nach griechischen Skulpturen aus klassischer Zeit. Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen die olympischen Götter Zeus, Poseidon, Hades, Hera und Demeter sowie die „nächste Generation“ griechischer Gottheiten mit Athena, Apollon, Artemis, Aphrodite, Ares, Dionysos, Hermes und Hephaistos. Ohne an dieser Stelle auf die komplexe wie auch komplizierte Mythologie der Griechen und Römer eingehen zu können (hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auf das großzügig gestaltete und inhaltlich ausgezeichnete Katalogbuch), macht die Ausstellung deutlich, daß das Bild, das sich die Menschen einst von den Göttern machten, keineswegs statisch war, sondern im Geschichtsprozeß steten Transformationen unterworfen wurde, was auch an zum Teil markanten formalen Veränderungen ablesbar ist. Dies gilt zum Beispiel für Darstellungen der Aphrodite, die anfänglich von Bildnissen anderer Göttinnen kaum zu unterscheiden sind. Erst seit dem 5. Jahrhundert wird ihre Kleidung freizügiger, Anfang des 4. Jahrhundert ist es dann der Bildhauer Praxiteles, der Aphrodite gänzlich nackt zeigt und damit den klassischen, über Jahrhunderte nachwirkenden Typus prägt. (Zu Aphrodite siehe in den Musenblättern vom 15. Juli 2010 den Bericht über die Zypern-Ausstellung in Hildesheim.)     
 
Spannende Sammlungsgeschichte
 
Zweifellos dürften die Grundzüge der griechisch-römische Mythologie auch zu Beginn des dritten Jahrtausends noch zum allgemeinen Bildungskanon gehören. Fragt man aber, was es mit dem Titel

Asklepios, ca. 150 n.Chr. - Foto © Rainer K. Wick
der Ausstellung „Die Rückkehr der Götter“ sowie dem Untertitel „Berlins verborgener Olymp“ auf sich hat, sieht man sich auf die spannende Sammlungsgeschichte der Berliner Antikensammlung verwiesen, die keineswegs als bekannt vorausgesetzt werden darf.
Sie beginnt im Jahr 1698 mit dem Ankauf einer Kollektion von Antiken durch den brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III. Entscheidende Zuwächse erfuhr die Sammlung unter  Friedrich II., dem Großen, der während seiner langen Regierungszeit (1740–1784) nicht nur aus großen Privatsammlungen kaufte, sondern dem auch die Antikensammlung seiner Lieblingsschwester Wilhelmine nach deren Tod zufiel. 1747 hatte der kunstsinnige Preußenkönig die hellenistische Bronze des „Betenden Knaben“ erworben und in Sanssouci aufstellen lassen – bis heute eines der Prachtstücke der Berliner Sammlung – , zwanzig Jahre später gelang ihm der Kauf einer exquisiten Porträtbüste Julius Cäsars.
Napoleon ließ bedeutende Werke aus Berlin nach Paris bringen, doch konnten nach der Rückführung der von ihm geraubten Kunstschätze Planungen für ein eigenes Berliner Antikenmuseum beginnen. 1830 fanden dann in der Rotunde des von Karl Friedrich Schinkel errichteten Museumsneubaus 214 griechische und römische Skulpturen Aufstellung. Durch systematische Neuerwerbungen, vor allem aber durch Grabungskampagnen auf dem griechischen Festland und in Kleinasien, wuchs die Berliner Sammlung schnell weiter. Da der Schinkel-Bau rasch aus allen Nähten geplatzt war, wurde 1859 in unmittelbarer Nähe des nunmehr „Alten Museums“ das von Friedrich August Stüler entworfene „Neue Museum“ eröffnet. (Durch Bomben im Zweiten Weltkrieg schwer getroffen, überdauerte es die DDR als Ruine und erlebte nach einer langwierigen, von dem englischen Stararchitekten David Chipperfield geleiteten Rekonstruktions- und Restaurierungsphase im letzten Jahr ein glanzvolles Revival.) Da auch dieses „Neue Museum“ nach den Grabungen im ostgriechischen Pergamon zu klein geworden war, wurde im Jahr 1901 ein erstes, noch bescheidenes Pergamonmuseum eingerichtet, das wegen baulicher Mängel und seiner unzureichenden Dimensionen aber schon 1908 geschlossen und abgerissen wurde. An seine Stelle trat der von Alfred Messel entworfene, zwischen 1910 und 1930 errichtete Monumentalbau eines neuen Pergamonmuseums. Neben spektakulären Werken wie der hocharchaischen sog. „Berliner Göttin“ oder der frühklassischen „Thronenden Göttin“ von Tarent bildeten die ausdrucksstarken hellenistischen Reliefs des Pergamonaltars den absoluten Höhepunkt der Antikensammlung der Reichshauptstadt.
 
Krieg, Raub, Rückgabe, Neugeburt
 
Um die Schätze der Berliner Antikensammlung während des Zweiten Weltkriegs vor Bombenschäden zu schützen, wurden sie zum Teil an sichere Orte ausgelagert, zum Teil auch eingemauert. Das

Hermes, ca. 150 n.Chr. - Foto © Rainer K. Wick
Pergamonmuseum erlitt erhebliche Gebäudeschäden. Nach der Kriegsniederlage Deutschlands wurden 1945 große Teile der Sammlung von der Roten Armee in die Sowjetunion verbracht, bevor sie 1958 an die DDR zurückgegeben wurden. Es ist interessant zu lesen, mit welch euphemistischen Formulierungen noch im Jahr 1976 die damalige Direktorin der (Ost-)Berliner Antikensammlung Elisabeth Rohde den Kunstraub der Sowjets und die Rückgabe der Museumsschätze an das „sozialistische Bruderland“ umschrieben hat. So bemerkt sie über die Reliefs des Pergamonaltars, daß diese nach Kriegsende angesichts der gravierenden Bombenschäden, die eine „gesicherte Unterbringung der kostbaren Friese“ ausgeschlossen hätten, „unter der Leitung sachverständiger sowjetischer Kunstschutzoffiziere nach Leningrad in die Ermitage gebracht“ und „von den dortigen Kollegen sorgfältigst betreut worden“ seien. Und sie fährt fort: „Für diese uneigennützige Hilfe sind wir dem sowjetischen Volk zu großem Dank verpflichtet“ – Rhetorik, die zweifellos den politischen Zwängen der Zeit geschuldet war.
Zahlreiche der von den Sowjets restituierten Kunstwerke verschwanden allerdings für Jahrzehnte im Depot. Erst im Jahr 2008, fünfzig Jahre nach der „Rückkehr der Götter“ nach Deutschland, erlebten sie ihre längst fällige Auferstehung, die einer Neugeburt gleichkam. Aufwendig restauriert, wurde „Berlins verborgener Olymp“ zunächst einem begeisterten Publikum in mehreren Städten Brasiliens präsentiert, dann – 2009 – in einer Sonderschau des Pergamonmuseums auf der Berliner Museumsinsel und nun, noch bis zum 13. Juni 2011, im Mannheimer „Museum Weltkulturen“ der Reiss-Engelhorn-Museen, das sich seit Jahren mit herausragenden Archäologieausstellungen profiliert hat.
 

Satyr und Nymphe, 1. Jahrhundert n.Chr.
 - Foto © Rainer K. Wick

Sämtliche Fotos (© Rainer K. Wick) wurden 2009 in der Sonderschau „Die Rückkehr der Götter“ im Pergamonmuseum Berlin aufgenommen.
 

Zur Ausstellung ist im Verlag Schnell & Steiner ein großformatiger, umfassender und reich bebilderter Katalog mit dem Titel „Die Rückkehr der Götter. Berlins verborgener Olymp“ erschienen; 424 S.; Preis der Museumsausgabe 19,90 Euro, ISBN 978-3-7954-2114-4.
 
Weitere Informationen unter:  www.rem-mannheim.de
sowie unter:  www.schnell-und-steiner.de