Von Leid und Haß

David Bösch inszeniert in Bochum "Der Sturm"

von Andreas Rehnolt
Von Leid und Haß
und Menschlichkeit
 



David Bösch brachte am Schauspiel Bochum einen vor allem
grausig-unmenschlichen "Sturm" auf die Bühne 
 
 
Der in Shakespeare-Inszenierungen geübte David Bösch hat zum Auftakt der Spielzeit 2010/11 im Bochumer Schauspielhaus eine Version von "Der Sturm" auf die Bühne gebracht, die einmal mehr den rauhen, harten und auch dunklen Text hinter aller Eleganz der Sprache sichtbar machte. Seine knapp dreistündige Inszenierung geriet vor allem zu einem grausig-unmenschlichen "Sturm", der nur in den ersten 30 und den letzten 15 Minuten etwas Verzauberndes hatte.
 
Auf der von Dirk Thiele karg nur mit reichlich Sand, einem Baumstumpf, zwei Stühlen und einer Liege ausgestatteten Bühne geriet die Insel von Prospero unwirtlich, rauh und abweisend. Kein Wunder, daß der flügellahme und fluguntaugliche Luftgeist Ariel (grandios Nicola Mastroberardino) vom anfänglichen Meeresrauschen und vom sandigen Eiland fast irre wird und den Geräuschen Einhalt gebietet. Dennoch bringt der quirlige Luftgeist das Schiff mit Prosperos Erzfeinden auf Geheiß seines Herrn in einer Bild- und Geräusch-Orgie zum Kentern.
 
Nach und nach spuckt das tosende Meer dann all die Männer ans Eiland, die ihm vor zwölf Jahren Königreich und Ruhm gestohlen und ihn mit seiner kleinen Tochter Miranda den Unbilden des Wassers überlassen hatten. Haß und Rache spricht aus jedem Wort von Prospero, dem Klaus Weiss eine trotz alledem würdevolle und glaubwürdige Figur verleiht. Wunderschön die Szene, in der Ariel den Prinzen Ferdinand aus dem tosenden Meer rettet und zärtlich an Land trägt, wo er von der etwas zu naiv spielenden Xenia Snagowski als Mirada gefunden wird.
 
So weit, so stimmig. Doch unmittelbar nachdem sich Miranda und Ferdinand von einer auf die andere Sekunde ineinander verliebt haben, beginnt das Chaos auf der Bühne des Großen Hauses in Bochum.  Da werden Gonzalo und sein Herr von Trincolo und Stefano ermordet, die danach auch über den grandios spielenden Florian Lange als Kaliban herfallen. Der ist - fast während der gesamten Inszenierung - die zentrale Figur in Böschs "Sturm". Nicht der alte, von Haß und Rachsucht zerfressene Prospero und auch nicht die zahlreichen Gestalten, die er ins Verderben stürzen will.
 
Kaliban, teils Mensch, teils mit einem plastikumwickelten Arm wie ein Fisch agierend - als ein zwischen stinkendem Monster und Mitleid erweckender Kreatur angelegt, ist in der Inszenierung des neuen Hausregisseurs im traditionsreichen Theater die Hauptfigur. Wie er stammelt, torkelt und am Verlust seiner Mutter fast krepierend immer wieder sein Erbe auf das ungastliche Eiland einfordert, geht in der Inszenierung an die Nieren. Wenn dann die tumben und versoffenen Seeleute Stefano und Trinculo auf ihn einprügeln und ihn zu ihrem Sklaven machen, ist dem Opfer die Sympathie des Publikums sicher.
 
Leider Gottes dauert der Kampf der beiden Seemänner um die Gunst von Kaliban und die Macht über die Insel in Böschs Inszenierung viel zu lange. Warum einem der beiden Seeleute über eine halbe Ewigkeit hinweg nicht nur ein Finger, sondern nach und nach die Finger beider Hände und auch noch die Zunge abgehackt werden müssen, bleibt unbeantwortet und unappetitlich. Auch die Grausamkeit aller Inselbewohner gegeneinander und vor allem gegen Kaliban ist fast unerträglich. Der jedoch schreit eins ums andere Mal aus seiner Pein heraus das Wort "Freiheit", nicht wahrhaben wollend, dass er sich von der unmenschlichen Tyrannei Prosperos in die noch viel brutalere von Stefano begibt.
 
Ursprünglich sollte das Stück - laut Programmheft - knappe zwei Stunden dauern, dann jedoch entschied man sich einen Tag vor der Premiere für ein Auswalzen der Inszenierung auf knappe drei Stunden. Was in Bochum von dieser ersten Bösch-Inszenierung in der Intendanz von Weber bleibt ist hart, ist unerbittlich, manchmal fies - aber vor allem anders. Wer Ariel bislang als eher zauberhaftes, zartes Wesen gesehen hat, der wird in dieser Inszenierung eines anderen belehrt. Ariel ist vor allem eines: Ein nach Freiheit lechzendes Zwitterwesen, das alles tut, um seiner vermeintlichen Freiheit näher zu kommen und dabei auch nicht davor zurückschreckt, die ihm befohlene Unterdrückung und Grausamkeit bis ins letzte Detail auszuführen.
 
Am Ende befreien sich Prosperos Sklaven zwar ihrer Halsbänder. In ihrem Drang nach vermeintlicher Freiheit stehen sie sich jedoch gegenseitig im Weg. Nachdem Kaliban Ariel beide Flügel abgerissen hat, dreht der ihm den Hals um. Zu dem Zeitpunkt ist allerdings Prospero schon längst durch eine Hintertür am Ende der Bühne still und gebeugt verschwunden.
Der Applaus war Bochum-gemäß lang und anhaltend und galt am Premierenabend allen voran dem in seinem Leiden glänzenden Kaliban (Florian Lange) und seinem zeitweise fast liebevoll ihm gegenüber auftretenden Ariel. 


Redaktion: Frank Becker

Die nächste Vorstellung ist am 3. Oktober
Weitere Informationen: www.schauspielhausbochum.de