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Die Kolumne am Mittwoch

von Friederike Zelesko
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Die Kolumne am Mittwoch
von  Friederike Zelesko


            Es ist bekannt, daß Musik einen bedeutenden Anteil in der Auswirkung der Kur einnimmt, denn das psychische Moment der Kur ist in seiner Einwirkung auf die organische Heilung nicht zu unterschätzen. Und diese große, schöne und dankbare Aufgabe erfüllt das Kurorchester. Seine Aufgaben sind sehr vielfältig. Neben der üblichen Kurmusik bei den Früh- und Nachmittagskonzerten, bei denen die Kurgäste ihre Brunnen trinken und promenieren, finden dreimal wöchentlich Abendkonzerte statt, die selbstverständlich den Charakter seriöser Konzerte haben. Es ist sehr aufschlußreich zu beobachten, wie gerade diese Abendkonzerte ein überaus dankbares Publikum finden, das seiner Begeisterung durch langen Beifall freien Lauf läßt.
            Neun Musiker sitzen auf der Bühne der gläsernen Wandelhalle des Kurortes. Sie sieht aus wie ein aufgestellter Schuhkarton. Zu beiden Seiten wehen rote und blaue Bahnen aus glänzendem Stoff. Sie erinnern an den plötzlich einsetzenden Sturm ekstatischer Schreie im Stadion. Rot und blau sind die Farben der englischen Fußballfans. Ekstatisch klirren auch die Glasscheiben der Wandelhalle im einsetzenden Herbststurm. Die aufgeklebten schwarzen Flugbilder der Vögel auf den Glasscheiben zittern. Außen ist das Innen sichtbar. Das Vogelbild dient als Warnung. Das Publikum wandelt sicher, die Heilquelle trinkend, durch gläserne Gänge. Es weicht der Zertrümmerung aus.
            Ein Teil des Publikums sitzt in der Halle, umarmt bequeme, gepolsterte Stühle. Die Musiker umarmen ihre Instrumente. Das Publikum trinkt mit einem Plastikröhrchen das heilende Wasser. Das Trinkglas ist mit einem runden, eisernen Plättchen versehen. Eine Nummer ist eingestanzt. Jede Nummer ist unverwechselbar. Es ist immer die gleiche Spannung vor dem Konzert. Die Geige läßt sich vom Bogen streicheln, das Klavier berührt sanft die Tasten und die Flöte steigt ununterbrochen auf der Tonleiter in die Höhe. Das Publikum wartet. Der Halm im Trinkglas wird langsam zu den Lippen geführt, ein hörbarer, musikalischer Schluck genommen. Der Konzertmeister mit dem polnischen Akzent unter dem Schnurrbart und einer Perücke auf dem Kopf blättert in den Noten.
            Ein Wunschkonzert ist angesagt. Das Publikum hat viele Wünsche. Gesundheit und ein langes Leben. Ein Lied von Nico Dostal für Monika oder ein Potpourri von Strauß Sohn. Jemand im Publikum wünscht sich zum fünfundzwanzigsten Mal das Wolgalied. Fünfundzwanzig Jahre lang der gleiche Wunsch. Ein Jubiläum. Der Konzertmeister ist sich der Bedeutung des Wunsches bewußt und läßt bei der Ansage seinen besten Akzent ins Mikrophon schlüpfen. Die Ansage von Heinzelmännchens Wachparade liegt bereits auf seiner Zunge. Die Mechanik des Spiels findet statt. Die Harnblasen sind gefüllt. Die Zertrümmerung der Nierensteine kann beginnen.




© Friederike Zelesko - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2010