Hans Bellmer – Louise Bourgeois Double sexus

Ausstellung und Buch

von Johannes Vesper
Hans Bellmer – Louise Bourgeois
Double sexus
 
Eine Ausstellung der Berliner Nationalgalerie
- Sammlung Scharf-Gerstenberg -
 
 
Zwei Künstler des 20. Jahrhunderts, beide interessiert am menschlichen Körper als Gegenstand von Phantasie und Sexualität, von surrealer Verformung und Entfremdung, werden gemeinsam ausgestellt. Es ist die erste Sonderausstellung in den umgebauten Räumen des östlichen Stülerbaus und des Marstalls gegenüber dem Charlottenburger Schloß. 
 
„Die Herkunft meiner Bilder ist skandalös, weil die Welt skandalös ist“ sagt Bellmer, dessen Werk in der Sammlung Scharf-Gerstenberg gut vertreten ist. Nach einem Besuch im damaligen Kaiser-Friedrich-Museum Berlin (heute Bode-Museum), wo er kleine Gliederpuppen aus der Dürerzeit gesehen hatte, baut und konstruiert Bellmer zerlegbare Puppen, die er in unterschiedlicher Weise wieder zusammensetzt, um dann davon Photos anzufertigen. Durch die wechselnde Zusammensetzung der Puppenteile wechseln Körperteile ihre Funktion, und Freud läßt grüßen. Körperteile werden auch mit  Gliederprothesen kombiniert.  Tröstlich nur, daß als Ergebnis auch ein „Maschinengewehr im Zustand der Gnade“ möglich wird. So entstehen in den 30er Jahren mehr als 100 bestürzende Photographien.
Den Puppenkollagen Bellmers werden Puppen oder Puppenteile mit Prothesen von Louise Bourgeois gegenüber gestellt. Ihre Puppen sind oft aus Stoff und in ihrer Geschlechtlichkeit nicht eindeutig, Single III ist mit Penis, Brüsten und 2 Köpfen Sinnbild eines Ein-Körper-Glücks.  
 
Beide Künstler stellen Körper nicht nur einfach dar, sondern verfremden sie, lösen sie auf und formen sie um (Form-Informe). Weibliche und männliche Körper werden ineinander überführt, gepaart und verdoppelt. So werden analog zu Sigmund Freud Vorstellungen, Neigungen und Ängste skulptural transformiert. Die „Zerstörung des Vaters“  von 1974 ist mit dem Titel wohl ein Schlüsselwerk für ihre skulpturale Sprache. Die Auflösung der Form ist seit Jahrzehnten bei ihr zu spüren. Der Begriff „Informe“ stammt von Georges Batailles, er prägt ihn 1929.
Beide Künstler sind von der vielbrüstigen Diana von Ephesus, der antiken Fruchtbarkeitsgöttin, angetan und inspiriert, was beim Bild vom kostümierten Mann mit mindestens 9 Doppelbrüsten (Bourgeouis: confrontation costume“ 1978) einer gewissen Komik nicht entbehrt. Bellmer abstrahiert Diana und stellt sie bzw. ihr Geheimnis als einen aus zahlreichen Brüsten bestehenden Kegel dar („Das durchdrungene Geheimnis“ 1938 und „La Toupie“ 1965).
 
Eine literarische Quelle der Inspiration für beide, die sich nie persönlich begegnet sind,
ist Georges Batailles Histoire de L`oeil (publiziert 1928). 1945 sollte Hans Bellmer eine Neuausgabe dieses Werkes  illustrieren. Die Studien (Schwarz-Weiß-Fotos) zeigen unmittelbar die weibliche Genitalregion oft mit manipulierender Hand, also eine wahrhaft handgreifliche sexuelle Wirklichkeit, wie sie sich auch in der Pornographie findet. Auge - schon bei Bataille Metapher erotischer, perverser  Phantasien - wird  bei Bellmer mit Penis penetriert, bzw. wird zu Vulva, die ganze Genitalregion ist ein Gesicht und schaut den Betrachter an. Aus der Vagina wächst ein erigierter Penis und die Geschlechter verschmelzen. Auch bei Louise Bourgeois haben die Augenmetaphern Batailles ihren Platz. Das Stoffobjekt „La Maladie l amour“ zeigt zahlreiche Augen auf erigierter Penisspitze. Das sind Bilder surrealer, flüchtiger Alptraumwirklichkeit, wie sie auch die Psychoanalyse an die Oberfläche bringt. „Nacht um Nacht von Worten zu Träumen, zu Fleisch und Trugbildern“. So schreibt Henry Miller, der des Geldes wegen auch Pornographie verfaßt und verkauft hat, im Thema also auf verschiedenen Ebenen zu Hause ist.  
 
Das Wandobjekt  „Selbstportrait“ von Louise Bourgeois (Torso) mit in 2 Reihen untereinander tannenbaumartig angeordneten Auswüchsen, die an Zähne, querliegende Tropfen oder vieles andere denken lassen, ist sicher nicht mit Hilfe von Spiegel oder Foto entstanden und bleibt rätselhaft.
 
Über das Verhältnis von Körper und Frau im Allgemeinen reflektiert Elfriede Jelinek, die Literaturnobelpreisträgerin, in ihrem hier erstmalig abgedruckten Text „Körper und Frau (Claudia)“. Sie läßt Claudia in einer verschlossenen Klokabine über ihre rosa Unterwäsche und ihren schönen Körper, der ihr gehöre und dem sie zugewiesen worden sei, mit Computerstimme stöhnen. Dabei sei ihr Körper doch nur eine Grabbeigabe. Ohne ihren Körper sei sie gar nicht mehr da. Nur in ihm bestehe ihre Persönlichkeitsstruktur. Der Text ist wirr, konfus und gibt so Körperschemastörungen und wahnhafte Vorstellungen in literarischer Analogie zu den Körperbildern und Objekten von Bellmer und Bourgeouis wieder.   
  
Bei Henry Miller (Ausschnitt aus Sexus) lesen wir anderes. Er stellt die Sinnfrage, meint völlig aufrichtig nur sagen zu können: „Ich weiß nicht, was ich im Leben soll“ und mißtraut in diesem Zusammenhang vor allem der Arbeit! Arbeit, so schien es ihm schon in früher Jugend, ist eine dem Dummkopf vorbehaltene Tätigkeit. Wie wahr. Das versteht der Leser gerne und will sofort zustimmen. Durch Arbeit und ihre Tretmühle definiert sich Miller jedenfalls nicht. Aber was ist das wahre Ich? Der Text ist unbedingt lesenswert und stimmt nachdenklich wie das unbetitelte Bild Bellmers von 1946/47 auf der letzten Seite des Katalogs. Das Schwein, welches die halb bekleidete, auf ihre skelettierten Unterarme gestützte Untote mit bemütztem Schädel von hinten nimmt und dabei mit dem Rüssel hoch am Oberschenkel des über ihr stehenden Frauenaktes knabbert, ist das das wahre Ich? Ist das die wahnhafte Traumwelt des Menschen im 20. Jahrhundert? 
 
Hans Bellmer geb. 13.03.1902 in Kattowitz, kommt 1922 nach Berlin, wendet sich bald der Malerei zu. Seine Puppeninszenierungen werden Anfang der 30er Jahre unter den Pariser Surrealisten geschätzt. Als entarteter Künstler in Deutschland unerwünscht, emigriert er 1938 nach Frankreich und entwickelt in Castres seinen charakteristischen, feinen und eleganten Zeichenstil. Nach dem Krieg bis zu seinem Tod am 24.02.1975 lebt er in Paris.  
Louise Bourgeouis, geb. am 25.12.1911 in Paris, lebt von 1938 an in New York. Nach dem Abitur studiert sie an verschiedenen Kunsthochschulen in Paris, kommt in Kontakt mit Andrè Breton und Ferdinand Leger. Ihr Ruhm als Künstlerin und Bildhauerin wächst mit zunehmendem Alter und 1982 gibt es im Museum of Modern Art eine Retrospektive dieser wichtigen Künstlerin, deren Werke dann auch auf der Documenta in Kassel wie auf der Biennale in Venedig zu sehen sind. Vor dem Kunstmuseum in Havanna stand ihre riesige Spinne, auch auf dem Grab von James Ensor in Oostende. Sie stirbt am 01.06.2010 mit 98 Jahren nach einem Herzinfarkt. 
 
Zur Ausstellung erschien im jüngst neu gegründeten Verlag „Distanz“ ein in hellbraunem Leinen gebundener auf Hochglanzpapier gedruckter Katalog.
Der Titel ist  im Querformat gedruckt und pinkfarben wie die inneren Umschlagseiten und das gewebte Lesebändchen. Die Beschriftung der Bilder, Anmerkungen und Überschriften jeweils im Querformat lassen den Leser das an sich hochformatige Buch immer wieder in den Händen drehen, was selbst zum Lesen des Buchrückens erforderlich ist. Die fünf Essays von Silke Krohn zu den künstlerischen Aspekten der Ausstellung sind informativ und beleben die Diskussion aller der Fragen, die sich aus dem posthumen Dialog zwischen Hans Bellmer und Louise Bourgeois ergeben.
  
HANS BELLMER – LOUISE BOURGEOIS. Herausgeber: Udo Kittelmann und Kyllikki Zacharias. Mit literarischen Beiträgen von Elfriede Jellinek und Henry Miller. Essays von Silke Krohn. Gestaltung von Boros und David Grabiniok. 154 Seiten, Preis 39.- €. ISBN 978-3-89955-403-8. DISTANZ Verlag GmbH, Berlin (www.distanz.de

Noch bis 15.08.2010 in der Nationalgalerie Berlin (anschließend im Gemeentemuseum Den Haag vom 11.09.2010-16.01.2011)

Redaktion: Frank Becker