Ruhe der Kindheit

Aus dem „Hyperion“

von Friedrich Hölderlin

Foto © Frank Becker

Ruhe der Kindheit

Ruhe der Kindheit! Himmlische Ruhe! Wie oft steh´ ich stille vor dir in liebender Betrachtung, und möchte dich denken! (...) Ja! ein glücklich Wesen ist das Kind, solang es nicht in die Chamäleonsfarbe der Menschen getaucht ist. - Es ist ganz was es ist, und darum ist es so schön. Der Zwang des Gesetzes und des Schicksals betastet es nicht! Im Kind ist Freiheit allein. - In ihm ist Frieden! Es ist noch mit sich selber nicht zerfallen. Reichtum ist in ihm; es kennt sein Herz, die Dürftigkeit des Lebens nicht. Es ist unsterblich, denn es weiß vom Tode nichts.
Aber das können die Menschen nicht leiden. Das Göttliche muß werden, wie ihrer einer, muß erfahren, daß sie auch da sind, und eh es die Natur aus seinem Paradiese treibt, so schmeicheln und schleppen die Menschen es heraus, auf das Feld des Fluchs, daß es wie sie im Schweiße des Angesichts sich abarbeite.
Aber schön ist auch die Zeit des Erwachens, wenn man nur zur Unzeit uns nicht weckt.
 
 

Friedrich Hölderlin 1797 im „Hyperion“