Bonn-Röttgen

Stadtbilder II

von Friederike Zelesko
Stadtbilder II
 
„.. . als Luftveränderung kann Bonn für Stunden Wunder wirken."
Heinrich Böll, Ansichten eines Clowns
 
Bonn-Röttgen
 
An den Dozentenhäusern vorbei, die seitlich neben der Akademie stehen, kann man in Richtung Kottenforst laufen, rund um eine ehemalige Tongrube, die jetzt mit Wasser gefüllt ist. Wenn ich spazieren gehe, nehme ich meist den Weg um diesen Tongrubensee. Frühmorgens schweben weiße Dunstschleier darauf. Es ist  wie in der Szene eines Märchenfilms. Das stimmt mich schon ein wenig auf das Märchen- und Mythenseminar ein, das die nächsten Nachmittage stattfinden soll.
 
Die Dunstschleier steigen vom Ostufer auf, das dicht mit Weiden und Schilf bewachsenen ist und sie lösen sich an der Stelle, wo die Strahlen der Sonne auf das Wasser treffen. Je höher die Sonne steigt, desto mehr verschwindet die luftige Masse. Die Entenschar ist sicher schon lange wach, schnattert lebhaft, taucht nach Nahrung. Ein paar Einzelgänger schwimmen weit draußen. Ich bleibe stehen, und schaue ihnen lange nach. Niemals hätte ich es für möglich gehalten, daß ich in einer großen Stadt bin.
 
Mit der Buslinie 624 fährt man nur eine Viertelstunde, dann ist man mitten im Bonner Zentrum, ganz in der Nähe des Münsters. Der untere Teil des großen Turmes wird gerade renoviert und gesäubert. Die beiden kleineren Türme, die das Seitenschiff flankieren, kann man ohne Gerüst bewundern. In der Mitte ist ein Kreuzgang. Hier scheint ein anderes Zeitalter in einer schönen Stille gegenwärtig zu sein.
 
Vor dem Altar  feiert ein Paar gerade Hochzeit. Es sind sicherlich Freunde, die einen Text von Khalil Gibran, aus "Der Prophet" lesen. Worte über Liebe und Zusammenleben:
 
Wenn die Liebe Dir winkt, folge ihr, sind ihre Wege auch schwer und steil. Und wenn ihre Flügel dich umhüllen, gib dich ihr hin, auch wenn das unterm Gefieder versteckte Schwert dich verwunden kann und wenn ihre Stimme deine Träume zerschmettern kann wie der Nordwind den Garten verwüstet. Denn so, wie die Liebe dich krönt, kreuzigt sie dich auch.
 
Der Widerhall der Worte begleitet mich hinaus. Vor der Eingangstür sitzt ein bedauernswerter Mann. Sein Bein ist nach hinten gezogen. Es sieht verkrüppelt aus. Ein Krückstock liegt neben ihm. In der Blechbüchse glänzen einige Markstücke. Ich werfe einige dazu. Als wir nach Stunden vom Busbahnhof wieder zurück zur Akademie fahren, überquert er mit schnellen Schritten die Straße, den Krückstock wie eine Waffe auf seiner Schulter tragend.
 
Auf unserem Streifzug durch die Stadt kommen wir auch an der Bonner Universität vorbei. Sie liegt in einer schönen Grünanlage mit alten Bäumen. Im Schatten der Bäume lagern Menschen. Es sind Roma oder Sinti. Viele dunkelhäutige Kinder laufen herum, schreien in einer mir unverständlichen Sprache. Später sehe ich die Kinder im Zentrum auf dem Rathausplatz betteln. Sie halten Pappbecher von McDonald in der Hand, steuern flink wie kleine zerzauste Tiere auf die vor den vielen Lokalen stehenden Tische und Stühle zu. An den Tischen sitzen Menschen, verzehren Eis, trinken Bier oder essen irgendeine Spezialität. Die Kinder werden sofort vom Kellner weggejagt. Bevor sie weglaufen, machen sie drohende Gebärden, wütende Gesichter. Als der Kellner geht, kommen sie wieder. Manche haben Glück, bekommen Geld in den Pappbecher. Manche gehen leer aus, verschwinden blitzschnell in der nächsten schmalen Gasse.
 
In einer anderen schmalen Gasse finden wir dann auch das Beethovenhaus. Wir können es gar nicht übersehen. Überall auf den Straßen sind Hinweisschilder angebracht. Jetzt ist das Haus ein Museum und man kann es besichtigen. Das Museum besteht aus zwei, früher getrennten Häusern, wie wir nachlesen können. Beethovens Eltern bewohnten seit ihrer Heirat 1767 das kleinere, zum Garten hinausgehende Hinterhaus. Hier wurde Beethoven geboren. Das Geburtszimmer ist ein winziger Raum, mit niedriger Decke, in der heute nur ein Büste Beethovens auf einer Säule steht, 160 cm groß, genau so groß wie Beethoven war. Ich kann es nicht glauben, daß dieser Mann um 8 cm kleiner gewesen sein sollte als ich und bin froh, als ich Waldmüllers Portrait von ihm an der Wand sehe, zu dem ich nun aufschauen kann.
            Insgesamt sind es sieben Zimmer, die man besichtigen kann, teilweise mit alten Vitrinen ausgestattet, darin Dinge aus seinem Besitz liegen, leblos und zu Reliquien erstarrt. Ein Erinnerungsalbum haben seine Bonner Freunde ihm überreicht, als er endgültig nach Wien übersiedelte. Eine Seite ist aufgeblättert, eine Eintragung des Grafen Waldstein. Ihm verdankte Beethoven vor allem das Zustandekommen dieser Reise, um ihm den Wunsch, Mozart und Haydn kennenzulernen, zu erfüllen. Die Waldsteinsonate sollte uns für immer daran erinnern.        
Überall auch Instrumente. Eine Orgel, die aus der St. Remigiuskirche stammt, füllt einen ganzen Raum aus. Auf ihr durfte Beethoven schon als 10-jähriger Messen begleiten. Seine Viola liegt ebenfalls da, auf der er immer in der Hofkapelle spielte. Büsten, Bilder, Dokumente, Beethovens letzter Flügel, Beethovens Hörinstrumente des Mechanikers Nepomuk Mälzel, dem Erfinder des Metronoms, die wie Folterinstrumente wirken, die Lebendmaske des 42-jährigen, die Totenmaske des 56-jährigen, dazwischen fühle ich das Leid und seine schöne Musik, zweierlei, das für mich gut zusammenpaßt.
            Dieses Haus ist eines der wenigen Wohnhäuser Bonns das seine ursprüngliche Gestalt bewahrt hat und daher eine Vorstellung von den Lebensverhältnissen in jener Zeit vermittelt. So sagt man uns jedenfalls.
 
Ich springe kopfüber in ein anderes Zeitalter, als ich wieder vor das Haus trete und sich das laute, unmusikalische Stimmengewirr der vielen Touristen aus aller Welt  sofort Gehör verschafft.
 
 

© Friederike Zelesko - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2010