Angebot und Nachfrage bei treuen Seelen

von Karl Otto Mühl

Foto © Frank Becker
Angebot und Nachfrage
bei treuen Seelen
 
Eine Kabarett-Szene steht häufig vor mir: Die Eltern versuchen behutsam, dem schweigend und verstockt dasitzenden Jungen mitzuteilen, daß er das Auto des Vaters zu Schrott gefahren hat. Jedem Satz schicken sie voraus, daß er ja eigentlich nichts dafür kann, ja, daß es jedem schon passiert ist, daß es bemerkenswert ist, wie ruhig er alles hinnimmt. Schließlich verläßt der Junge schweigend den Raum. Erleichtert aufatmend sagen die beiden zueinander: „Gottseidank, wir haben doch nicht alles falsch gemacht bei der Erziehung.“
 
Hier aber einmal zu den Gefühlen und den Verhaltensmustern der Beteiligten: Was die Eltern möchten, ist die Liebe des Jungen – oder auch via Übertragung die ihrer Eltern -, auch um den Preis eines kaputten Autos. Selbst seine wohlwollende Duldung möchten sie keinesfalls durch Aggression verlieren. Um sich diesen Wunsch zu erfüllen, bezahlen sie den Preis.
 
Es ist dies eine Struktur, die mehr Beziehungs-Strukturen und Lebensbezirke berührt, als man annehmen möchte. Immer wieder findet man dieses Muster:
Jemand bietet einen Wert: Schmeichelei, Dienste, Geld - und möchte dafür Liebe. Meistens findet er dann einen mürrischen, arroganten oder großmütig annehmenden Partner, nicht selten aber Verachtung. Die beiden Parteien merken selten, fühlen aber meistens, daß der andere sie gar nicht differenziert als fühlendes Ich wahrnimmt. Es findet eine gestörte Objektwahrnehmung statt. Der verdient nicht viel Respekt, mag es in jedem der beiden denken, den Kerl interessiere ich ja überhaupt nicht.
 
Der Anbieter fühlt sich meistens insgeheim minderwertig. Das wäre ein Thema für sich. Mancher, der gerne ein Anbieter wäre, läßt es lieber, zu sehr fürchtet er Ablehnung, Niederlage, Demütigung. Aber auch er zahlt oft einen Preis, nämlich den Verzicht auf Nähe, Isolation.
Wie überlegen der Umworbene sich aber auch gebärdet, eines trifft meistens zu – er braucht so einen wie den törichten Liebhaber. Die beiden finden sich, der Falschmünzer, der bestechen will und der Umworbene, der wahrscheinlich gar nichts zu geben hat.
 
Die Diagnose ist immer Abhängigkeit.
 
Gab es die im Leben unserer Beispiel-Personen schon früh, schon immer? War da eine überfürsorgliche Mutter, deren Ziel leicht zu erraten war: Nicht Liebe wollte sie, sondern Dominanz. Will vielleicht der Anbieter trotz seiner scheinbaren Willfährigkeit auch dominieren, will er das Opfer besetzen? Will das Opfer vielleicht sogar besetzt werden und wehrt sich mit einem Rest von Autonomie?
 
Und nun, nachdem sichtbar ist, daß alle Beteiligten die Abhängigkeit fleißig üben, wird da vielleicht auch sichtbar, daß sie auch für sich ganz allein ganz schön abhängig sein können? Daß sie jede Aufgabe, jede Herausforderung als Bedrohung empfinden, als Drohung von Liebesverlust vielleicht, wenn sie ihr nicht durch sklavische Hingabe gerecht werden. Sind sie nicht zu Subalternen prädestiniert?
 
Auch in der Religionsgeschichte lassen sich solche Strukturen markieren. Der Verworfene, Sündige, der ununterbrochen um sein Seelenheil bangen sollte, wurde herausgestellt. Gleichzeitig sollte er Gott lieben..
 
Aber der Einzelne mag vielleicht Gewinn aus den obigen Überlegungen ziehen, wenn ihm etwas daran liegt Die Einsicht in die vielfachen Abhängigkeitsrollen, die nötigen und vor allem die verzichtbaren, kann ihm ein Stück mehr (bedingte) Freiheit geben. Und das ist ein schönes Gefühl, und die Kreativität könnte auch davon profitieren.
Die Alternative ist sicher nicht hochmütige Gleichgültigkeit gegenüber Anderen. Sie ist unter anderen Möglichkeiten wohl eher Vertrauen in die eigene Gefühlskraft. Und fast jeder hatte in seinem Leben Augenblicke, in denen er einem anderen waffenlos und offen gegenüber trat. Das waren vielleicht große  Augenblicke in unserem Leben.
 
 
© Karl Otto Mühl – Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2010