Auto, Auto!

Wie zerlege ich konzertant einen Kadett E in 100 Minuten

von Frank Becker

Foto © Anna McMaster
Eine kleine Flex-Musik
 
Auto, Auto! – Oder:
Wie zerlege ich konzertant
einen Kadett E in 100 Minuten
 
 
Schlecht bei einem Unfall, aber gut für ein Konzert“ – „Auto, Auto!“-Erfinder Christian von Richthofen formuliert die Qualitäten des „Steinway unter den Autos“, eines Opel Kadett E mit Weitsicht und Kennerschaft. Die übermütige und aberwitzige Abwrack-Show, ein virtuoses Konzert mit ungewohnten Instrumenten, trittsicher getanzten Einlagen und mitreißendem Humor, doch nicht ohne gehobenen literarischen Anspruch, übertrifft alles, was man sich zuvor hätte erträumen lassen oder vorstellen können.
 
Zwei hochmusikalische Männer mit destruktivem Feingefühl – doch, doch, das geht bei diesem

Foto © Auto, Auto!
brachialen Akt planvoller kultivierter Zerstörung – phantastischen Einfällen, Temperament, Eleganz und sehr, sehr viel Humor tanzen, nein, nicht um das Goldene Kalb, sondern um einen perlweißen Opel, Modell LS. Sie tun es mit geradezu brasilianischem Rhythmus im Blut, wenn Christian von Richthofen und sein Partner Rolf Claussen auch solider norddeutscher Herkunft sind. Die Eröffnung greift gleich voll in die Schatzkiste der barocken Klassik, indem J.S. Bachs Toccata und Fuge von den beiden Herren im Frack a cappella mit scherzhaften Klang-Fußnoten intoniert wird. Gelegentlich sich einschleichende Ausflüge zu Ellington/Tiziols „Caravan“ öffnen bedacht das Spektrum zum Jazz.
 
Das folgende gut 100-minütige Feuerwerk von perkussiven Einfällen, ungewohnten Arrangements und intelligenten Interpretationen führt von „Hänschen klein“ für quietschende Finger auf der Heckscheibe und Schmirgelpapier feiner Körnung über die für Stimmen und Fahrertür arrangierte „One Car Samba“, frei nach Antonio Carlos Jobim und einen Marsch für Werkzeugkästen mit festem Schritt und Tritt zu einer mit den Händen auf Karosserie und Scheiben getrommelte Swing-Nummer vor der auch Cozy Cole den Hut gezogen hätte. Wir lernen bei einem wortreichen TÜV-Lamento im GröFaZ-Tonfall, woher der Begriff „Fahrzeug-Führer“ kommt und erleben Mozarts „Türkischem Marsch“, auf der Motorhaube getrommelt. Christian von Richthofen reißt mit einem atemberaubenden Solo für zwei Hände über geschlagene (sic!) 12 Minuten das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin, bevor er erschöpft auf der Haube niedersinkt und Gustav Schwabs „Der Ritt über den Bodensee“ vor brüchiger Windschutzscheibe deklamiert.
 
Eine Pause gönnen die Akteure sich und dem Publikum aus einsichtigen Gründen der Dramaturgie

Jill´s Theme - Foto © Hermes
zuliebe nicht. Langsam steigert sich nämlich die Auseinandersetzung mit dem Automobil: „Sex Machine“ für Autohupen, Knüppel und splitterndes Sicherheitsglas, ein effektvolles Medley aus „Der Exorzist“, „Shining“ und „König der Löwen“ rückt dem Wägelchen dichter auf den Pelz, eine ungeheure Axt und eine ebensolche Brechstange kommt zum Einsatz, und ein zärtliches Zwischenspiel mit Ennio Morricones „Jill´s Theme“ aus „Once upon a time in the west“ auf „singendem Blech“ ist nur Verschnaufpause. Einer Drehmoment-Schlüssel-Percussion und einem „liebevollen“ Flex-Feuerwerk folgt punktgenau das bei aller äußeren Gewalt zierliche Finale mit einem Pas de deux für zwei Vorschlaghämmer zu Pjotr Iljitsch Tschaikowskis Walzer aus „Schwanensee“. Wem da nicht die Lachtränen über das Gesicht laufen, kann weder für Musik noch für Opel ein Gefühl haben. Etwas liebevoll Schöneres ist wohl weder mit einem Opel Kadett E noch aus Pjotr Iljitsch Tschaikowskis Ballettmusik je gemacht worden. Da kann man sich die "1812" ebenfalls vorstellen.

Sollten Sie je die Gelegenheit haben, "Auto, Auto!" irgendwo zu erleben: gehen Sie hin - Großartig, genial! Dafür unsere höchste Auszeichnung, den Musenkuß.

Die nächsten
Termine unter: www.tob-manubuske.de
Ein Video sehen Sie hier: www.christianvonrichthofen.com
Weitere Informationen unter: www.christianvonrichthofen.com