Am Hindukusch und anderswo

Jasna Zajček - "Unter Soldatinnen - Ein Frontbericht"

von Jürgen Kasten
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Meine Vorurteile gegen Soldaten will ich hier mal außer Betracht lassen und auch gar nicht wissen, was junge Männer zur Bundeswehr zieht. Warum aber melden sich Frauen, oft erst 18, 19 Jahre alt, zum Dienst an der Waffe? Ich war sehr gespannt auf dieses Buch und erhoffte mir Antworten.
 
17.000

Doch zunächst Fakten, von der Autorin gesammelt: Derweil versehen 17.000 Frauen Dienst bei der Bundeswehr, darunter 3.400 Offiziere. Im Jahre 2000 erwirkte eine Frau vor dem Europäischen Gerichtshof für sich und andere das Recht, in allen Einheiten tätig zu werden, also auch im Kampfeinsatz. Ende 2009 standen in Afghanistan 4.200 deutsche Soldaten, einschließlich 190 Frauen.
Jasna Zajček ist eine erfahrene Journalistin, die aus vielen Krisengebieten der Welt berichtete. Ihre Recherche für dieses Buch beginnt sie in der Marineschule Mürwick, wo sie zwei Monate lang an der harten und kräftezehrenden Grundausbildung teilnimmt. Sie porträtiert dort drei junge Frauen, die das finanzierte Studium und eine Offizierslaufbahn lockte. Die eine sehnt sich nach Seefahrerabenteuern, einschließlich Piratenjagen vor Somalia, die andere möchte später wissenschaftlich arbeiten, die dritte gibt auf, weil sie sich das alles nicht so anstrengend vorgestellt hat. Die Autorin führt Tagebuch, schildert minutiös den harten Drill. Die Frauen werden nicht geschont, bekommen keine „Extrawürste“. Gehorsam und Disziplin werden gefordert und widerspruchslos akzeptiert.
 
Im Bewußtsein des Risikos

Weitere Recherchestationen sind die Azoren auf dem Segelschulschiff „Gorch Fock“, ein patroullierendes Kriegsschiff vor der Küste Libanons, der Kosovo, Bosnien,  Karthum, Sudan und das ostafrikanische Dschibuti. Die Truppen in Afghanistan durfte Jasna Zajček nicht besuchen. Wegen der Kundus-Affäre wollte man dort keine Presse mehr haben. Offensichtlich war es nicht immer einfach, Soldatinnen im freien Gespräch zu erleben. Viele bürokratische Hürden waren zu nehmen, und der allgegenwärtige Presseoffizier immer in der Nähe. Trotzdem gelangen der Autorin einige beeindruckende Portraits von Soldatinnen, in der Mehrzahl Offiziere oder Offiziersanwärterinnen. „Frauen, die ihren Mann stehen“, flapsig gesagt, oder wie es eine von ihnen selber sagte: „So Tussi-Mädchen können wir hier nicht gebrauchen“. Beschreibt Jasna Zajček ihre Gesprächspartnerinnen, benutzt sie mehrfach Attribute wie „groß und stämmig mit praktischer Kurzhaarfrisur“. Walküren, könnte man meinen. So ist es aber nicht. Einige reden freimütig über ihre Gefühle, über Heimweh und Trennungsschmerz. Alle haben sich für mehrere Jahre verpflichtet, viele streben einen Stand als Berufssoldatin an, einen krisensicheren Job. Sicher? Nur einmal erwähnt die Autorin, daß die Frauen in vollem Bewußtsein, getötet werden zu können oder selbst töten zu müssen, den Dienst an der Waffe verbringen.
 
Gleichberechtigt

Da Zajček nicht selber nach Afghanistan durfte, sprach sie mit Männern aus ihrem persönlichen Umfeld, die dort stationiert waren. Hier wird deutlich, was es für die Soldaten bedeutet, Deutschland am Hindukusch zu verteidigen: Von Angst ist die Rede, von Schlaflosigkeit, Nervosität und Traumata über abgerissenen Gliedmaßen, übermäßigem Alkoholgenuß, Übergewicht durch Nichtstun und über den Tod wird geredet.
Ein Fazit: Jasna Zajček hat selbstbewußte, ehrgeizige und meist junge Frauen getroffen, die von den unterschiedlichsten Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten der Bundeswehr angezogen wurden. Ein Schuß Abenteuerlust ist allen gemein. Vom Sinn ihrer Einsätze in den Krisengebieten der Welt zeigen sie sich überzeugt. Gleichberechtigung scheint kein Thema zu sein, sie ist selbstverständlich.
 
Empfehlenswerte Untersuchung

„Bin ich wirklich bereit, für ´Volk und Vaterland` zu töten und zu sterben? – was sind die wahren Motive?“, diese Fragen wurden nur angerissen. Trotzdem war dieses Buch für mich faszinierend, weil noch einmal deutlich wurde, wo „wir Deutschen“ überall in der Welt unter Waffen stehen und was wir dort eigentlich wirklich machen. Spannend und erhellend wurde es immer dann, wenn die Autorin dezidiert das Lagerleben der unter Ausschluß der Landbevölkerung lebenden Soldaten schilderte.
Das ist nicht wirklich ein Buch über Soldatinnen, vielmehr  eins über die Bundeswehr und ihrem Agieren unter Nato- oder UN-Flagge in den Kriegs- und Krisengebieten der Welt. Ein aufschlußreiches Buch, das sowohl Kritiker wie Befürworter der Auslandseinsätze bedient. Es sei jedem politisch interessierten Menschen empfohlen.
 
Jasna Zajček - "Unter Soldatinnen - Ein Frontbericht"
© 2010 Piper Verlag GmbH, München
256 Seiten, broschiert, ISBN: 978-3-492-05369-3, € 14,95 (D), € 15,40 (A)
 
Weitere Informationen: www.piper.de

Redaktion: Frank Becker