Durchmischter Erfolg

Hoffmanns Erzählungen in Zürich

von Wolfgang Dunkel
Kein ‚phantastischer’ Hoffmann

Opernhaus Zürich, Premiere vom 13. März 2010
 

Nachdem sein Stern durch den deutsch-französischen Krieg 1870/71 zu sinken begann, schuf Jacques Offenbach mit seinem letzten Werk nach Motiven von E.T.A. Hoffmann die von ihm lang erstrebte große Oper. Es ist die neben Bizets Carmen meistgespielte französische Oper.
Offenbach erlebte die erfolgreiche Uraufführung im Februar 1881 an der Pariser Opéra-Comique nicht. Er starb, bevor er sein populäres Werk vollenden konnte, was seither für große Versionsvielfalt sorgte. Das Züricher Opernhaus entschied sich für die wohl authentischste Fassung, nämlich für die 2005 von Michael Kaye und Christophe Keck heraus gebrachte Edition, u.a. mit dem neuen Finale des Giulietta Akts.
 
Hoffmanns unglückliche Liebesgeschichten

Das Libretto stammt von Jules Barbier nach dem gleichnamigen Drame-fantastique von Jules

Foto © Suzanne Schwiertz
Barbier und Michel Florentin Carré von 1851, basierend auf drei Erzählungen des deutschen Dichters E.T.A. Hoffmann („Der Sandmann“, „Rat Krespel“, „Geschichte vom verlorenen Spiegelbild“) und seiner Novelle ‚Don Juan’ für die Rahmenhandlung: Beim Besuch einer Don Giovanni-Vorstellung hat der zwischen Kunst und Leben zerrissene Dichter Hoffmann auf der Bühne unverhofft seine ehemalige Geliebte, die Sängerin Stella, wiedererkannt. Tiefbewegt kehrt er in der Vorstellungspause in Lutters Weinkeller in Berlin ein, wo die eigentliche Opernhandlung beginnt.
Auf das Drängen von Freunden hin erzählt Hoffmann drei unglückliche Liebesgeschichten mit drei unterschiedlichen Frauen: Mit der perfekten Puppe Olympia, die sich als Automat „entpuppt“, mit der kranken Antonia, die sich buchstäblich zu Tode singt und der venezianischen Kurtisane Giulietta, die Hoffmann skrupellos sein Spiegelbild raubt. Hoffmanns Gegenspieler, der ihm verhaßte Stadtrat Lindorf, der ein Auge auf die Sängerin Stella geworfen hat, kehrt in den jeweiligen Geschichten in wechselnden „Bösewicht“-Figuren wieder und zerstört Hoffmanns Liebesglück.

Asagaroff solide für Langhoff

Mit diesem Hoffmann hätte Thomas Langhoff sein Regiedebüt in Zürich geben sollen, doch mußte er kurz vor Probenbeginn aus gesundheitlichen Gründen absagen. Zürichs Hausregisseur, Grischa Asagaroff sprang kurzfristig für ihn ein und konnte im bereits ausgearbeiteten Konzept wohl nur begrenzt eigene Akzente setzen. Das Bühnenbild (Bernhard Kleber) der Rahmenhandlung war in 50er Jahre Ästhetik schön und stellte Lutters Weinkeller passend dar. Die drei „Erzähl-Akte“ spielten in einem Einheits-Bühnenraum mit verglasten/verspiegelten Wänden. Weder Bühnenbild noch die Gesamtinszenierung steigerte sich analog den Erzählungen Hoffmanns, und es fehlten die „fantastischen“ Ideen, die gerade für eine Hoffmann-Produktion so wichtig sind. Wenigstens konnten die glamourösen Kostüme von Florence von Gerkan für optische und inhaltliche Auffrischung sorgen. So war die Inszenierung eine handwerklich gute Regiearbeit, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
 
Die Premiere und alle sonstigen Aufführungen dieses populären Werks waren seit Wochen so gut wie ausverkauft. Man war wohl auch gespannt auf Vittorio Grigolo, der nach seinem großen Erfolg in Verdis „Il Corsaro“ (siehe Premierenkritik vom 22.11.09), ein weiteres Rollendebüt in der tour-de-force Rolle des Hoffmann gab.
 
Problematische Töne

Um es vorweg zu nehmen: Grigolo schleuderte eine handvoll kerniger Spitzentöne heraus, was

Foto © Suzanne Schwiertz
Eindruck machte, fand aber kaum zu schwelgerisch-schön phrasierten Legatobögen, was bei dieser wunderschönen Stimme viel zu schade ist und bei der (eigentlich) sehr kraft raubenden Romanze „Oh Dieu, de quelle ivresse“ im Giulietta Akt besonders fehlte. Auffällig war auch das ständige Laut-/Leise-Singen, was öfter wie Markieren bei einer Probe klang und auf die Dauer eintönig wird. Letztlich ist dieser Gesangsstil aber eine Frage des persönlichen Geschmacks, wie auch das oft überdreht wirkende Agieren. Stärkerer Applaus für ihn beim Schlußvorhang, aber so gut wie kein Zwischenapplaus am Ende seiner einzelnen Nummern.
 
Weniger Geschmackssache als vielmehr problematisch war das Dirigat von David Zinman, dem Chefdirigent des Tonhalle-Orchesters Zürich, der an diesem Abend zum ersten Mal am Pult des Züricher Opernorchesters stand. Zwar konnte er einen transparenten Orchesterklang mit seinen stark gedehnten Tempi produzieren, strapazierte dabei aber Orchestermusiker und Sänger, beraubte die normalerweise zündenden Musiknummern Offenbachs ihrer aufregenden Wirkung und tat damit dem müde werdenden Publikum keinen Gefallen. Schon zu Beginn waren Koordinationsschwierigkeiten zwischen Orchester und Bühne unüberhörbar. Fast meinte man, er würde auf den Einsatz der Sänger warten, um dann hinterher zu dirigieren.
Das Orchester der Oper Zürich tat unter diesen Umständen sein Bestes und spielte wunderschön, kann aber viel mehr. Analoges gilt für den Chor und viele der Solisten, darunter auch Michelle Breedt (La Muse/ Nicklausse), die in dieser Inszenierung einen wenig bleibenden Eindruck hinterließ.
 
Sen Guo erfolgreich für Elena Mosuc

Wie schon als Zerbinetta in der aktuellen Ariadne-Aufführungsserie konnte Einspringerin Sen Guo  den meisten Applaus des Abends mit einem erstklassigen Vortrag der technisch höchst anspruchsvollen Olympia-Arie verbuchen. Sie sang diese Arie bereits vor vielen Jahren in der Tonhalle Zürich, gab aber ansonsten Ihr Spontan-Debüt in dieser Rolle.
Hier konnte einem die ursprünglich für alle vier Frauenrollen (Stella/Olympia/Antonia/Giulietta) vorgesehene Elena Mosuc besonders leid tun, ist doch ihr Debüt an der New Yorker MET im Oktober mit genau dieser Olympia-Rolle geplant. Eine Stimmbandentzündung zwang sie, sich auf das Sprechen der Dialoge und die schauspielerische Gestaltung zu beschränken, was ihr famos gelang, vor allem als überdrehte Marilyn-Monroe-Olympia-Puppe.
Von der Seitenrampe aus singend meisterten Raffaella Angeletti (Antonia/ Stella) und Riki Guy (Giulietta) als kurzfristig eingeflogener Ersatz ihre Rollen sehr passabel und berührend, doch gingen Ihre Stimmen in den Ensembleszenen stellenweise unter, vor allem bei Frau Guy. Es bleibt abzuwarten, ob sich beide Sängerinnen noch steigern, wenn sie in den Folgevorstellungen auch den szenischen Part übernehmen und sich auf die Tempi Zinmans einstellen können.
 
In Nebenrollen gut besetzt

Die vier Bösewichte (Lindorf/Coppélius/Le docteur Miracle/Le capitaine Dapertutto) sang der

Foto © Suzanne Schwiertz
französische Baßbariton Laurent Naouri, der mit dieser Interpretation sein Hausdebüt gab. Der für diese Rollen zu sympathisch wirkende Sänger tat sein Bestes, teuflisch zu wirken, was ihm nicht ganz gelang. Dafür entschädigte er mit schöner Stimme und einer besonders wohltuenden französischen Diktion.
Die Nebenrollen waren allesamt gut bis sehr gut besetzt: Giuseppe Scorsin (Crespel) gab einen glaubwürdigen, innig gesungenen Vater Antonias. Benjamin Bernheim beeindruckte als souveräner Spalanzani mit einem kernigen Tenor. Davide Fersini gab einen sehr souveränen Lutter. Die Interpreten der drei Studenten waren mit Thierry Duty (Nathanaël), Kresimir Strazanac (Hermann) und dem klangschönen Pablo Ricardo Bemsch (Wilhelm) sehr gut besetzt. Ebenso Adam Palka als Le capitaine des Sbires. Nach anfänglicher Unsicherheit konnte Wiebke Lehmkuhl (La voix de la tombe) mit satter Stimme punkten. Martin Zysset (Andrès/Cochenille/Frantz/Pitichiaccio) und Cheyne Davidson (Schlémil) waren gut, konnten aber in dieser Inszenierung keine spannenden Momente einbringen.
 
Nach knapp 4 Stunden gab es freundlichen, aber sehr kurzen Beifall für alle Beteiligten, inklusive dem Inszenierungsteam. Die krankheitsbedingten Umstände relativieren zwar jede Kritik, doch ist es letztlich immer das Ergebnis, das zählt. Anders als die meisten Züricher Produktionen ist dieser Hoffmann wegen der eher durchschnittlichen Inszenierung und des Dirigats nur für absolute Grigolo Fans eine Reise wert.
 
Interessanterweise bringt die Züricher Oper im Anschluß ein weiteres Offenbach-Werk zur Aufführung: Die „opéra-bouffe“ Barbe Bleue (Ritter Blaubart) in einer Produktion des erstklassigen Züricher ios (Internationales Opernstudio). Premiere ist am 22. April.

Informationen:
www.opernhaus.ch

Redaktion: Frank Becker