Schlechtes Wetter

von Hanns Dieter Hüsch

© Jürgen Pankarz

Schlechtes Wetter
 
Übrigens, ehe ich es übersehe, es kommt ja bald wieder die Zeit, wo Sie Ihre Tiere aussetzen können oder auch alte Menschen, da müssen Sie sich mal mit der Familie zusammenhocken, was da nun bei Ihnen rein von der Situation her Vorrang hat. Das kann man an einem Wochenende mal machen. Ja, die Übergänge in diesem Buch sind manchmal sehr abrupt. Aber so haben wir's doch immer gewollt, nicht wahr! Wann werden Sie wieder mal provokant, Herr Hüsch? Jetzt sind wir's mal, danke schön, vielen Dank. Nein, nein, ich meine, außerdem gehöre ich ja doch zu den Menschen, die es anderen nie recht machen kön­nen.

Ich hatte neulich ein Erlebnis. Ich weiß nicht, ob Sie den Kölner Hauptbahnhof ein bißchen kennen. Ich stand auf Gleis elf, das ist das letzte Gleis, wirklich das allerletzte Gleis. Und, da hole ich öfters meine Frau ab, und die kommt da mit so zwei bis drei Taschen, und
dann gehe ich ihr immer entgegen und gehe ihr ein bißchen zur Hand. Da stand ich so blöd rum und guckte so dämlich durch die Gegend und wartete. Auf einmal sprach mich ein Mann an und sagte: »Ah, der Herr Hüsch benutzt also auch die öffentlichen Ver­kehrsmittel.« »Ja«, sagte ich, »warum nicht, aber heute hole ich nur meine Frau ab.« »Was heißt denn nur«, sagte der Mann, »was heißt denn nur?« »Ja sicher«, sagte ich, »meine Frau ist natürlich mehr wert als nur.« »Ja, das wollt ich auch sagen«, sagte der Mann. Ich sagte: »Ich wollte ja nur damit sagen, daß ich heute nicht mit dem Zug fahre, sondern nur jemanden ab­hole, weil Sie gesagt haben: Ah, der Herr Hüsch benutzt also auch die öffentlichen Verkehrsmittel.« Darauf entstand eine kleine Pause, weil ich schon merkte, wie tief ich diesen Mann wieder enttäuscht hatte, nicht wahr. Es war die Woche der Enttäuschun­gen. Aber dann sagte ich doch, wohl mehr aus Ver­legenheit, nach 'ner kleinen Pause: »Sauwetter, heute.«Darauf sagte der Mann: »Find ich gar nicht.« Pause! »Na, ja«, sagte ich, »der ewige Regen.« Darauf der Mann: »Was wollen Sie eigentlich, wir haben schließ­lich November.« Das war damals die erste Regenzeit, ich weiß nicht, ob Sie sich noch erinnern können. September, Oktober, November '93. Das war damals die erste Regenzeit, September, Oktober, November. Und, da bin ich immer auf die Leute los und hab dann mit einem Freund zusammen die Leute gefragt: »Also, der Regen, finden Sie nicht auch, der macht einen ja mittlerweile ziemlich depressiv, nicht wahr?« Darauf sagten die meisten Leute, fast jeder zweite sagte zu mir: »Ja, aber Herr Hüsch, seien Sie mal nicht böse, der Bauer braucht den Regen.« Ich hab da immer schon drauf gelauert: »Der Bauer braucht...« Als es dann ein bißchen eisiger wurde, bißchen bitterer wurde, 'n bißchen winterlicher wurde, da habe ich folgendes gemacht, da bin ich auch auf die Leute zu und habe gesagt: »Ha, dieser Winter ist ja inzwischen widerlich, nicht wahr.« Worauf die meisten sagten: »Ja, aber wis­sen Sie, diese trockene Kälte ist mir doch lieber als das naßkalte Nieselwetter.« Tausende haben diesen Satz gesagt, Tausende, jederzeit. Sie haben den bestimmt auch gesagt, mindestens zwanzigmal, diesen Winter. Und dann wurde immer ein Wort dazu gesagt, was sonst selten vorkommt: »Diese trockene Kälte ist mir dann letzten Endes.., letzten Endes doch lieber als das naßkalte Nieselwetter.« Ich hab sogar bei Taxifahrern Souffleur gespielt. Da bin ich mit dem Taxi gefahren, ich saß vorne rechts neben dem Taxifahrer und dann habe ich den richtig provoziert und gesagt: »Wissen Sie, dieser Winter ist ja für Sie auch als Taxifahrer, Sie ste­hen ja immer stundenlang rum und warten auf Kund­schaft, das ist ja auch dann ziemlich widerlich, nicht wahr.« »Ja«, sagte der, »schon, aber, wissen Sie, ich muß Ihnen doch sagen, diese...« Ich sagte: »Diese trockene Kälte...« »Ja, diese trockene Kälte ist mir dann doch letzten Endes lieber als dieses naßkalte Nieselwetter.« »Ja, dieses naßkalte Nieselwetter.« Wahnsinn! Aber zurück auf Gleis elf. Der Mann stand ja immer noch da, nicht wahr. »Ja, was wollen Sie eigentlich. Wir haben schließlich November, das muß man sich nur mal klarmachen.« »Ja, sicher«, sagte ich, »das stimmt ja schon, aber ich habe auch schon Ende November noch schöne Tage erlebt, wo's nicht so ungemütlich war.«
 
»Ich hab schon ungemütlichere Zeiten erlebt«, sagte der Mann. »Ja schon«, ich war schon ganz kleinlaut, ich war schon völlig am Boden, nicht wahr, »aber es ist doch schon ganz schön kalt.« »Dann muß man sich eben warm anziehen.« »Natürlich«, sagte ich, »warm anz..., ist ja klar. Ich hab ja auch 'n Schal und Pullover. Sie haben ja auch 'n Pullover.« »Den habe ich immer an«, sagt der Mann, »den habe ich immer an.« Obwohl er mir gar nicht so aussah, als wenn er nur einen Pull­over für den ganzen Winter hätte. Und auf einmal machte mir die Sache Spaß und ich wiederholte: »Aber ungewöhnlich ist es doch.« »Reden Sie doch kein Blech«, sagte er, »Sie sind doch Schriftsteller.« »Ja, 'n bißchen schon, manchmal, aber deswegen muß ich doch frieren.« »Also, Ihnen kann man's wohl nie recht machen«, sagte er, »scheint die Sonne - ist's Ihnen zu heiß, regnet's - ist es Ihnen zu gefährlich, wenn es friert - kriegen Sie gleich das Zipperlein.« »So ist es, so ist es, ganz genau.« Und dann kam sein Stadt-Expreß. Auf dem Führerwagen stand oben groß drauf geschrieben: Bergisch-Gladbach. Ich sagte noch: »Danke für das Gespräch.« Aber er drehte sich schon gar nicht mehr um. Ja, und dann kam meine Frau und sagte: »Mein Gott, ist das heute wieder ungemütlich.« Und ich sagte: »Find ich gar nicht!«


© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus dem Band "Meine Geschichten" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Illustration stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung