Haartrachten

von Horst Wolf Müller

Foto © Frank Becker
Haartrachten

Mertes (beim Friseur, den man nicht sieht):
Du bist im Grunde umgeben von Perfektionisten. Ich mein dat jetzt nicht handwerklich, dat Sie mich nicht falsch verstehn. Meine Dachsparren liegen zentimetergenau. Und wenn der Tewes seine Metallwalzen drehen tut, geht es um jeden Millimeter. In dem Bereich ist der Mensch das Objekt der Technik. Oder sagen Se meinetwegen ein Opfer des Fortschritts.
Auch bei mir liegen die Dinge heut anders als vor zehn Jahr. Dat werden Sie mir ehrlicherweise gerne bescheinigen. Das Positive sehn Sie ja auch, so gut wie kein graues Haar, ausgenommen an den Schläfen. Von den Lichtungen am Hinterkopf haben Sie mir verbatim nix mitgeteilt, die mußt ich selber entdecken, in Ihrem Handspiegel, den sie ja immer sehr diskret halten, aber doch wahrheitsliebend.
Könnt einem letzten Endes egal sein, wie man auftritt, ist es aber nicht. Und warum ist es das nicht? Sie können es sich denken, mehr als jeder andere. Sie brauchen bloß in Ihre Nebenräume zu schauen, wo diese Heißlufthelme stehen, und schon weiß Mann Bescheid.
Waschen und Legen, hör ich immer und Haare verlängern und weiße Strähnen reinfummele. Oder sehen Se sich mal extreme Schnauzbärte an, exakt getrimmt wie Scheuerbürsten. Was teil Ihnen das mit? Die dermaßen geschönte Person befindet sich auf Partnersuche. Sie nennen das jetzt auch aufgehübscht oder aufgebrezelt, was ich eigentlich versteh.
 
Ich kann Ihnen nicht verübeln, wenn Sie jetzt auch eine Art Anfangsverdacht entwickeln. Witwer im zehnten Monat, dat muß bei gewissen Berufsgruppen Hintergedanken auslösen, speziell bei den Verschönerungsbetrieben, geben Sie das zu. Oder, wie die Politiker heute formulieren, räumen Sie das ein.
Mein Sohn Max sagt, ich wär am Ausschau halten, die Carmen dagegen meint, ich wär ein jagdbares Wild. Woraus Sie erkennen, dass die Jugend sich mit diskreten Ausdrucksweisen nicht mehr abgibt. Die sind so vollgesogen mit Seifenopern oder Comedy-Bimbam, dat ihnen die Ohren dröhnen. Die Welt besteht nur noch aus Beziehungskisten, und wehe du paßt nicht ins Schema Pilcher oder Gelenkklinik Gehstduwohl, dann bist du schon jenseits von Adam und Eva.
Und biste nicht selber für alle erkennbar auf Partnersuche, dann sind die dat für dich.
Ich hab zum Glück bloß zwei Kinder, entsprechend ist deren Fürsorge noch tragbar, aber nehmen Se meinen Freund Tillich, mit seinen fünf Pänz, jedes mit eigenem Bekanntenkreis, wat glauben Sie, Herr da Capo, wat die an lebenslustigen Damen anschleppen? Darüber hinaus inserieren die auch noch im Kölner Stadtanzeiger unter Kontaktwünsche. Sie haben keine Vorstellung, was für interessante Persönlichkeiten und auch Begabungen für Lebensgestaltung in dieser Stadt versteckt sind.
Einer beginnt seine Annonce mit dem Lied „Mädel ruck ruck ruck an meine grüne Seite… Was ich an Aktien hab, reicht für uns beide“.
Ich hab einmal eine Annonce beantwortet, rein zum Spaß, die Dame schriev, sie sitzt im Schiller-Archiv und kennt die Sachen von dem Mann beinah auswendig, aber Trost könnt sie bei Schiller nicht finden, der Kerl ist ihr zu kopflastig. Ja sind die Brüder dat nit all? Die geben dir doch nix fürs Herz, schreib ich zurück. Doch, Goethe gibt was fürs Herz. Lesen Sie bloß mal den Osterspaziergang. Hab ich getan, denn den Goethe hatt ich zehnbändig noch von meinem Vater zu stehen, der war Steuerberater und schaffte 300 Bücher an, kein Haupt- und Grundbücher, wie Sie vielleicht meinen, schrieb ich zurück. Und viele bereichern sich heute noch aus diesen Klassikern. Gehen Sie schon mal in den Drogeriemarkt? Was steht da auf den Tüten für ein Wahlspruch? Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein. Stammt von Goethe.
 
Na, unser Briefwechsel schlief dann wieder ein, besonders als sie hörte, daß ich ein Dachdeckergeschäft hab. Spezialität Kirchturmkuppeln. Wundern Sie sich nicht, schrieb sie, wenn ich die Flucht ergreife. Ein Mann, der zwischen Himmel und Erde herumturnt, würde mir meine Ruhe rauben. Richtig, entgegnete ich. Und überhaupt spendet ein Dachdecker keinen Trost. Was er geben kann, ist ein Gefühl der Freiheit.
War mein Abschiedsbrief, Herr da Capo. Machense doch bitte die Koteletten jet kürzer, man sieht ja sonst aus wie ein Heiratsschwindler. Und kein Spray, wegen der Atmosphäre. Und sollten Sie wirklich eine Frau im Fön han, die leise durchblicken ließ, daß sie aus der Pubertät lange raus ist, aber gern lachen dät und öfter beim Fernsehquiz mitmacht, und auch schon mal ne Kreuzfahrt machen möchte, sei es Wolga oder Dnjepr, und raffiniert kochen kann, dann ist die Dame mit Sicherheit überqualifiziert.
 


© Horst Wolf Müller - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2010
Redaktion: Frank Becker