Das tückische Brot

von Hanns Dieter Hüsch

© André Poloczek - Archiv Musenblätter
Das tückische Brot
 
Ich weiß gar nicht, ob Sie ein Pechvogel sind, oder sich dazu zählen? Ich meine, es gibt ja so Leute, die immer sagen: »Das konnte nur mir passieren!« Das, das sind also so Berufspessimisten. Ich bin kein Berufs­pessimist, aber ich sage auch oft: »Das konnte nur mir passieren!« Also Berufspessimist, das ist mir zu anstren­gend. Immer mit so 'm gebeugten Rücken, und mit so verbitterten Lippen und so verfolgungssüchtigen Falten auf der Stirn, also, das habe ich hinter mir. Ich glaube das wenigstens, also ich bilde es mir ein. Ich möchte mehr so 'n komischer Pechvogel sein, wissen Sie, dem alles Mögliche mißlingt, der sich aber dennoch dabei wohlfühlt, also ziemlich krank. Jedenfalls, also, die Geschichte mit den Tüten, die kennen Sie ja. Die habe ich Ihnen, glaube ich, schon mal erzählt. Ich komme jetzt in das Alter, wo ich aufpassen muß, daß ich mich nicht wiederhole. Neulich hat mir ein Freund inner­ halb von zwei Tagen dreimal dieselbe Geschichte er­zählt. Ich habe ihn aber nicht unterbrochen, ich habe gesagt, »der braucht das jetzt, komm laß ihn in Ruhe.« Das ist wichtig für sein Selbstwertgefühl und so.
Also die Geschichte mit den Tüten: Sie haben etwas ein­gekauft, Sie haben eine Einkaufstüte. Sie ist relativ schwer, Sie wollen sich einen Moment ausruhen, die Tüte absetzen, die Tüte lehnt sich nie an die Wand an, sie kommt immer zu Ihnen zurück. Das ist die Geschichte mit den Tüten. Ganz simpel, Sie haben's x­mal erlebt, haben Sie aber wahrscheinlich noch nicht verinnerlicht. Jedenfalls, was diese Tüten sich zur Zeit mit uns Menschen gegen Ende des 20. Jahrhunderts erlauben, ist eine Dreistigkeit sondergleichen. Ich habe schon den Trick angewandt, die Tüte vorher rumge­dreht, es hat keinen Sinn - sie kommt immer zu mir zurück. Eine Unverschämtheit, eine philosophische Er­niedrigung auf die Dauer! In dieselbe Schublade fällt auch folgende Geschichte. Wenn ich die Zeit anrufe, weil ich nicht weiß, ob meine Uhr noch geht oder ob sie vor- oder nachgeht usw., kommt bei mir jedesmal immer nur »und 58 Sekunden«, aus! Da kommt nie »13 Uhr 42 und fünf Sekunden«, da kommt immer nur »und 36 Sekunden«. Ich hab den Verdacht, daß die Sprecherin meine Stimme kennt und sagt: »Dem spiele ich einen Streich, der kriegt den ganzen Tag die Zeit nicht raus.« Das wird ganz bestimmt der Fall sein.
Die Geschichte mit dem Butterbrot, die kennen Sie auch, die Geschichte mit dem Butterbrot und ähnlichen Streicheleinheiten also. Das ist 'ne katastrophale Ge­schichte, das sage ich gleich vorweg. Aber ich möchte sie nicht für mich behalten. Ich denke, sie geht uns alle an, die wir das Abendland lieben und retten wollen. Also, ich mach mir' n Butterbrot, nicht groß hinge­setzt, habe ich gar keine Zeit zu. Ne, so an der Anrichte stehend - so zwischen drittem und viertem Frühstück. Ja, ja, man soll ja kleine Häppchen, aber öfter essen, sagt meine Frau immer. Lieber kleine Häppchen - aber öfter, nicht. Na, ja, ich schmier mir also das Brot mit Butter und Leberwurst oder Kräuterkäse, schneide es in vier Teile, dann habe ich vier Gänge, und ich mach auch zwischen jedem Teil eine kleine Pause, 'ne kleine, und man soll ja auch jedes Teil gezielt und bewußt essen, jedes Teil, sonst ist das nicht gesund. Sonst ißt man einfach drauf los und hat ja nichts davon, jedes Teil, und wenn's noch so klein ist, gezielt und bewußt essen, als hätte man eine Riesenplatte vor sich. Das ist gesund. Und dann fällt plötzlich von den Vieren ein Teil runter auf den Boden oder auf die Hose, Wurscht, obwohl vielleicht Käse drauf ist. Das Brot fällt jedes­ mal, wenn es fällt, mit der geschmierten Seite, also mit Butter und Leberwurst nach unten, nie nach oben, nie nach oben, nicht wahr. Also, die geschmierte Seite liegt nie oben, sondern immer auf dem Teppichboden, auf dem Parkett oder, wenn ich sitze, auf der Hose oder auf der Zugspitze, öh, auf der Schuhspitze.
Ganz besonders schlimm sind ja die Brote mit Fleischsalat, das sind die ekelhaftesten Brote, Brote mit Fleischsalat. Neulich bin ich mit einem Transparent durch die Stadt gezogen. Vor lauter Wut stand da drauf: »Nieder mit dem Fleisch­salat, nieder mit dem...« Die Leute wußten gar nicht, für welche Partei ich Reklame machen wollte! »Nieder mit dem Fleischsalat.« Oder mit Fisch in Tomaten­sauce, das ist genau so schlimm, das ist ganz schlimm. Das ist fast noch schlimmer, da lebt ihr aber gefährlich, sage ich immer. Das steht ja auch auf der Seite drauf, auf der Konservendose. Haben Sie sicher schon mal gesehen, auf dieser Fischdose? »Der Bundesgesund­heitsminister: Lecker aber gefährlich!« Müssen Sie mal drauf achten. Ist Ihnen wahrscheinlich noch gar nicht aufgefallen. Ich meine, in der Eile der Zeit, in der Hek­tik des Tages, wie man so schön sagt, in der Hektik des Tages. Kommen Sie mir nur nicht physikalisch - mit dem Gesetz vom freien Fall, oder diesem Dings, wie heißt, wie heißt der Bursche mit diesem Murphyschen System. Das Brot kann ja auch mal an mich denken.
Aber es denkt nicht dran, nein, es fällt jedesmal voll auf die Schnauze, mit angemachtem Gervais, mir auf die Hose, die ich grade ganz frisch für meine Laudatio bei den Kleinkünstlern in Mainz angezogen habe. Und oft kann ich die Hose auch nicht mehr umtauschen, denn ich sitz schon im Intercity, und ich hab nur eine mit, dann sagt meine Frau jedesmal hinterher: »Wie kann man nur eine Hose mitnehmen, das ist doch, das ist... Wann wird dieser Mann endlich mal erwachsen, nimmt nur eine Hose mit, das ist doch wirklich kin­disch, ist doch absolut kindisch. Man nimmt doch mindestens zwei mit, es kann doch immer was pas­sieren, es kann doch immer was dazwischenkommen. Nimmt nur eine Hose mit, ich begreife..., da kann man zu Hause reden, reden, reden. Ist' ne Erziehungsfrage, nimmt nur eine... Milliarden Männer, dieser eine muß es sein, nimmt nur eine Hose mit. Das kann ich nicht, das werde ich nie begreifen«, sagt sie, »das werde ich nie begreifen, nicht wahr - ist jetzt über 70 und nimmt nur eine Hose mit. Mit 80 nimmt er wahrscheinlich gar keine mehr mit.« (Das habe ich gewußt, das habe ich gewußt, ja, daß Sie da lachen würden!)



© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus dem Band "Meine Geschichten"
in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung